Ausflug zu Hoffmann bei Poetry.de

gummibaum · 17.12.2010, 13:17

Da sitze ich nun, disparat mit mir selbst, im Tollhause, starre die Wand an, gehe wohl auch unsinnig herum, schaue aus dem vergitterten Fenster. Mein Herz scheint tot. Kaum aber geht die Türe auf, fahre ich herum, es durchzischt mich: "Coppelius! Bin ich nicht einmal hier vor dir sicher?". Die Augen gehen mir in hellen Flammen auf, als hätte man glühenden Sand hineingestreut. Dann aber weine ich, erleichtert, weil ich den Wärter erkenne, die hämischen Züge den milderen weichen, fast als wäre mein lieber Vater wiedererstanden.
Man hat mich gestern hierher gebracht, ich erwachte kurz danach aus der Ohnmacht, ohne zu wissen, was geschehen war. Da sehe ich Clara an meinem Bett: ihre tiefblauen Augen, der klare Engelsblick tauen mich etwas auf. Und sie sagt mit großer Festigkeit: "Bleibe nur ruhig, mein Liebster, rege dich nicht wieder auf, wir werden deine Krankheit gemeinsam meistern." Und dann erfahre ich, dass ich in einem Anfall von Tollwut meinen eigenen Professor fast erwürgt hatte. Ich ahne erst schwach den Zusammenhang und verspreche Clara nun endlich, allem Schreiben von Gedichten für immer zu entsagen. Und sie küsst mich auf die Stirn und das heißt, bald heiraten wir ja.

Ach, Olimpia, ich werde nie heiraten. Ich habe dir meine Seele geschenkt in unwiederholbaren süßen Momenten des Schweigens, im Tanz. Und du hast sie mit dir genommen. Nichts als eine lächerliche Puppe, ein Automat, bist du gewesen, der nichts fühlt. Dein Vater hat mich kaltherzig betrogen in seinem Forscherwahn, zum Versuchskaninchen gemacht. Meine Augen habe ich dir hingegeben, damit du siehst wie ich sehe und nun bin ich eigentlich blind. Zerrissen tappe ich in der Welt umher, seit ich weiß, dass man dich zerreißen konnte, dich dumme Maschine aus kleinen Rädchen ... und wie eine Maschine werde ich selber morden, den, der mir noch Liebe schenkt.

Xanthippa · 19.12.2010, 13:14

Der Sandmann

Finde es schön, wie du die Augenmotive reingebracht hast.
Lest ihr das grade in der Schule?

gummibaum · 21.12.2010, 18:34

Danke, Xanthippa. Ja, wir lesen es gerade in der Schule.

Gruß gummibaum

Peacefrog · 21.12.2010, 20:33

Zitat:

Zitat von gummibaum

Meine Augen habe ich dir hingegeben, damit du siehst wie ich sehe und nun bin ich eigentlich blind.

Einfach Herrlich! Vielen Dank für die Gedanken im Wort!

Thing · 21.12.2010, 21:51

Halli Hallo, gummibaum!

Mich, als E.T.A. Hoffmann-Liebhaber hast Du sehr beeindruckt.
Eine wundervolle Leistung, ein Wurf!

Thing

gummibaum · 23.12.2010, 15:18

Hallo Peacefrog und Thing,

danke noch für eure Worte. Schöne Weihnachten. LG gummibaum

17.12.2010, 13:17	#1
gummibaum Dabei seit: 04/2010 Alter: 70 Beiträge: 10.909 Meine Geschichten	Ausflug zu Hoffmann Da sitze ich nun, disparat mit mir selbst, im Tollhause, starre die Wand an, gehe wohl auch unsinnig herum, schaue aus dem vergitterten Fenster. Mein Herz scheint tot. Kaum aber geht die Türe auf, fahre ich herum, es durchzischt mich: "Coppelius! Bin ich nicht einmal hier vor dir sicher?". Die Augen gehen mir in hellen Flammen auf, als hätte man glühenden Sand hineingestreut. Dann aber weine ich, erleichtert, weil ich den Wärter erkenne, die hämischen Züge den milderen weichen, fast als wäre mein lieber Vater wiedererstanden. Man hat mich gestern hierher gebracht, ich erwachte kurz danach aus der Ohnmacht, ohne zu wissen, was geschehen war. Da sehe ich Clara an meinem Bett: ihre tiefblauen Augen, der klare Engelsblick tauen mich etwas auf. Und sie sagt mit großer Festigkeit: "Bleibe nur ruhig, mein Liebster, rege dich nicht wieder auf, wir werden deine Krankheit gemeinsam meistern." Und dann erfahre ich, dass ich in einem Anfall von Tollwut meinen eigenen Professor fast erwürgt hatte. Ich ahne erst schwach den Zusammenhang und verspreche Clara nun endlich, allem Schreiben von Gedichten für immer zu entsagen. Und sie küsst mich auf die Stirn und das heißt, bald heiraten wir ja. Ach, Olimpia, ich werde nie heiraten. Ich habe dir meine Seele geschenkt in unwiederholbaren süßen Momenten des Schweigens, im Tanz. Und du hast sie mit dir genommen. Nichts als eine lächerliche Puppe, ein Automat, bist du gewesen, der nichts fühlt. Dein Vater hat mich kaltherzig betrogen in seinem Forscherwahn, zum Versuchskaninchen gemacht. Meine Augen habe ich dir hingegeben, damit du siehst wie ich sehe und nun bin ich eigentlich blind. Zerrissen tappe ich in der Welt umher, seit ich weiß, dass man dich zerreißen konnte, dich dumme Maschine aus kleinen Rädchen ... und wie eine Maschine werde ich selber morden, den, der mir noch Liebe schenkt.

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19.12.2010, 13:14	#2
Xanthippa Dabei seit: 02/2007 Ort: Würzburg Alter: 31 Beiträge: 20 Meine Geschichten	Der Sandmann Finde es schön, wie du die Augenmotive reingebracht hast. Lest ihr das grade in der Schule?

21.12.2010, 18:34	#3
gummibaum Dabei seit: 04/2010 Alter: 70 Beiträge: 10.909 Meine Geschichten	Danke, Xanthippa. Ja, wir lesen es gerade in der Schule. Gruß gummibaum

21.12.2010, 21:51	#5
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Geschichten Meine Favoriten	Halli Hallo, gummibaum! Mich, als E.T.A. Hoffmann-Liebhaber hast Du sehr beeindruckt. Eine wundervolle Leistung, ein Wurf! Thing

23.12.2010, 15:18	#6
gummibaum Dabei seit: 04/2010 Alter: 70 Beiträge: 10.909 Meine Geschichten	Hallo Peacefrog und Thing, danke noch für eure Worte. Schöne Weihnachten. LG gummibaum