Erneut gewagt

[gummibaum]

Liebste Ayse,

ich weß nicht, was ich dir noch mehr schreiben soll, als immer nur: "Ich liebe dich!" Ich habe es angedeutet und rausgeschrieen, ich habe mein Leben vor deine Füße geschüttet mit allen Einzelheiten, damit du mir glaubst. Du weißt längst, dass ich verheiratet bin, dass ich fünf Kinder habe und dreimal so alt bin wie du. Du warst ein ganzes Jahr (!) in meiner Klasse und du hast mir, obwohl ich klein und dicklich und sehr vergesslich bin (ich musste jede Stunde wieder nach deinem Namen fragen) doch kurz danach schon gesagt: "Herr Balzer, ich vermisse dich so!" Ja, das muss doch endlich reichen für uns beide und, wenn ich so hoffnungsvoll vorgreifen darf, noch für einiges mehr. Denn ich wünsche mir Nachwuchs. Soviel zum Beweis, dass ich nur dich will und immer bleibe.

Du aber scheinst zu zögern. Ich sehe dich gar nicht mehr in der Schule, seit ich dich neulich so packte. Wie konnte ich anders? Du lachtest mir zu im Flur, da brannte mein Herz. Ich warf den Stapel Klausuren hin und tanzte mit dir im Arm dich züngelnd durchs Lehrerzimmer. Fandst du das schlimm? So bin ich nun mal. Und mich traf es wirklich wie ein erhörtes Gebet. Im Unterricht war mir danach etwas komisch. Ich stellte Fragen und sang dazu, warf Küsse in die Luft und fuchtelte streng mit dem Notenbüchlein. Die Schüler waren dennoch vergnügt und wünschten mir alles Gute. Sie trugen mir auch die Tasche nach. Das Selbstgerspräch macht so vergesslich.

Ja, und dann noch was! Ich vermisse dich so. Ich leide! Im fand im Mädchenklo zwar viele Herzchen, doch keines mit meinem Namen. Ich wühlte drei Stunden verzweifelt in alten Schülerakten. Nur alte Zeugnisse von dir. Kein Foto. Nichts Handgeschriebenes. Aber doch wenigstens deine Adresse! Ich stand schon dreimal heimlich vor eurem Klingelbrett, las deinen Namen. Heute habe ich dir ein blaues Blümchen auf die Fußmatte gelegt. Aber ich bin so unsicher jetzt, dass ich nur deinen Namen, nicht meinen dazu schrieb.

Ob dich der Altersunterschied stört? Oder dass ich Familie habe? Glaub mir, ich kann so jung sein! Meine Kinder tadeln mich oft, weil ich bei Tisch der Allerkindischste bin und beim Kichern wahnsinnig sabbere. Wenn ich kurz danach (bei ihrem ernsthaften Gespräch) ganz sanft und rosig einschlafe, wollen sie mich ohnehin alle lieber bald los sein. Ich träume in ihrer Gegenwart mit offenen Augen von dir. Und nachts? Sei getrost. Ich liege im Arbeitszimmer und meine Decke heißt "Ayse". Ich flüstere ihr meine heißen Wünsche zu und sie ist mir in allem zu Willen. Wir haben unheimlich Spaß. Ach, könntest du erst an ihrer Stelle sein!

Darum gebe ich auch die Hoffnung nie auf. Morgen werde ich dir diesen Brief zustecken. Übermorgen vielleicht schon wirst du mich Türkisch lehren und Kochen und erste Suren aus dem Koran. Wir werden still Händchen halten, die Disco besuchen und glücklich sein. Und wenn mich dein Vater nicht aufschlitzt ud meine Familie, wie ich erwarte, ganz froh ist, sind wir...in ewiger Pirouette...die seligsten Kinder!

In unbestechlicher Hoffnung
Dein alter Lehrer Thomas (Balzer)

[Lux]

Hallo Gummibaum,

beim Lesen überkam mich ein unangenehmes Gefühl, Herr Balzer stößt mir sauer auf.
Sollte es das sein, was dein Text bewirken wollte, dann gelingt es ihm sehr gut, beschreibt er doch die "gewagte", die sexuell ambitionierte Liebe eines Lehrers zu seiner Schülerin.
Aber vielleicht fehlt mir auch einfach etwas Kontext, hilfst du mir weiter?


Liebe Grüße
Lux

[gummibaum]

Liebe Lux,

wenn dir der Herr sauer aufstößt, ist die Reaktion richtig. Er ist peinlich naiv, in seiner Distanzlosigkeit unangenehm. Aber auch ein Clown, dessen
Verblendung, so wie er sie durchhält, für mich Komik hat.

Gruß gummibaum