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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 25.02.2006, 03:44   #1
elbino
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 5

Standard Stadtpanorama

Stadtpanorama


***


Prolog: Der Rattenkönig kommt
I: Der Traumwandler
II: Der gute Christ
III: Mephistos Braut
Epilog: Der Rattenkönig geht


***


Prolog: Der Rattenkönig kommt

Er hat schon früh sich selbst gekrönt,
Im Land aus Traumesscherben.
Das Trunkesleid ist er gewöhnt,
Sein Reich bleibt künstlich ihm geschönt,
Wird wirren Kopfes sterben.

Er trägt im Untergrund die Kron’,
Dort ist er Herr der Ratten.
Im Pappkarton hält er den Thron,
Hier liegt sein Heim seit Jahren schon,
Verbirgt sich scheu im Schatten.

Am Morgen zieht er aus zur Jagd,
Um Gaben zu erhalten.
Des Königs Kleid ist längst betagt,
Die Schuh’ vom Fußvolk angenagt.
So wird des Amt’s er walten.

Mit alter Haut, vom Sturm zerweht,
Streift stets er durch die Gassen.
Weiß nicht, wie tief er wirklich steht,
Sieht nur, dass Vieles kommt und geht,
In seinen trauten Straßen.


***


I: Der Traumwandler

So folg’ ich meinem engen Gang,
Im flackernden Laternenschein.
Der Mond setzt an zum Abgesang,
Doch noch zieht Frost mir ins Gebein,
Vom Wind mit hartem Eisesklang.
Warum nur ließt du mich allein?

Im Schal verberg’ ich das Gesicht,
Mein Mantel färbt mich schwarz bei Nacht.
Das Tagwerk ist mein einzig’ Licht,
Da dies ein Dasein möglich macht,
Wenn’s auch kein Leben mir verspricht.
Hab lang vorm Schlaf an dich gedacht.

Dann seh’ im Keller jener Stadt
Ich armes Volk ganz unbedeckt,
Sollt’ glücklich sein, werd’ stets doch satt.
Solch’ Bild hat Mitleid mir geweckt,
Mit kleiner Spende rück’ ich’s glatt.
Hab tief im Herzen dich versteckt.

Schon treib’ ich fort im grauen Meer,
Folg’ meinem Zyklus, Tag um Tag.
Im seelenlosen Städterheer,
Hört niemand, wenn ich weinend klag’.
Der Schmerz wäscht bald mich seelenleer,
Wenn ich dich weiter in mir trag’.


***


II: Der gute Christ

Im Segensschmerze keimt die Lust,
Seit ich von jener Pracht gewusst.
In dieser Stadt schneit’s aus der Hand
Weht hoch die Stirn, benetzt das Hirn,
Schon spricht der Teufel aus der Wand.

Mein werter Freund, nimm diesen Rat:
Üb’ Rache für der Menschen Hohn.
Siehst du dies Weib? So geh’ zur Tat,
Dann wird sie deiner Qualen Lohn.
Nun setz’ den Stich, komm’ labe dich!


Auf dich, oh Satan hör’ ich nicht,
Denn folg’ ich heilig weißem Licht,
Das sich zur Bahn so prächtig eint.
Es strahlt mit Kraft, wo Elend klafft,
Bis dann der Herrgott mir erscheint.

Dein Straßenheim ist bitterkalt,
Doch schenk ich dir ein wärmend’ Fell.
Siehst du im Mantel die Gestalt?
Ein träumend Mann, erleg’ ihn, schnell.
Das Kleid für dich, und ihn für mich!


Des Meisters Wort ist mir Gesang,
Schweb’ tanzend vor, zu meinem Fang.
Die Kling’ schnellt vor, so himmlisch rein.
Für mich das Gut, dem Herrn das Blut,
Dann zieh’ ich fort im Mondenschein.


***


III: Mephistos Braut

Bei Nacht, wenn alles selig ruht,
Blickt sie jammernd in den Grund.
Gebadet in der Trauerflut,
Schlägt für sie die letzte Stund’.
Dann stürzt sie sich mit falschem Mut,
Lautlos Richtung Straßenschlund.

Sie gab sich einstmals ihm zur Frau,
Dennoch ließ sie ihn allein.
Er ward’ erdolcht, im Städtegrau,
Schläft nun still bei seinem Stein.
Nun folgt sie ihm vom Brückenbau,
Wünscht, sie wäre wieder sein.

Ein seelenloser Menschenguss,
Steht beim toten Leib gedrängt.
Erst, als die Menge ziehen muss,
Mephisto seine Braut empfängt.
Denn Freitod schließt im Höllenfluss,
Dessen Qual sie ewig sengt.


***


Epilog: Der Rattenkönig geht

Des Königs Klarsicht ruht schon lang,
Tief im Trunk ward sie verscharrt.
Gezogen am Verderbensstang,
Wurde er vom Rausch genarrt.

Er sah des Träumers letzten Schlaf,
Ungeregt saß er anbei.
Als Todeslicht den Christen traf,
War’s ihm gänzlich einerlei.

Als heut’ des Herrn der Fliegen Weib,
Gottgeschmähtes Blut vergoss,
So hielt’s ihn auch nicht zum Verbleib,
Wich denn abwärts in sein Schloss.

Jetzt liegt er selbst im letzten Krampf,
Ratten um ihn mit Gekreisch.
Denn starb die Leber längst im Kampf,
Schenkt dem Volke nun sein Fleisch.

Ein weit’res Schicksal färbt sich matt,
Längst doch fällt nicht dieser Fluch,
Der alle Menschen dieser Stadt
Einhüllt, in sein dunkles Tuch.
elbino ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.02.2006, 14:15   #2
Copper
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 14

Also... das ist stark!

Ein lyrischer Rundumblick. Ohne den Überblick zu verlieren. Und wunderbar vernetzt. Schöne Worte.
Copper ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.02.2006, 14:18   #3
AgentOrange
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 17

Ich mags ... wirklich ganz groß!
AgentOrange ist offline   Mit Zitat antworten
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