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Alt 15.09.2022, 01:46   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Pretty und ich

Ich dachte. alles liefe wie geschmiert: Nach meiner Lehre bekam ich eine dufte Stelle im Laden einer Verkaufsstation mitten in der Stadt. "In bester Kundenlauflage", so nannte man es damals. Wir verkauften Luxustechnik, von Digitalkameras bis zu hochwertigen Fernsehgeräten mit Trinitron-Bildröhren, gestochen scharf. Die Flachen kamen erst später. Um meinen BMW, einen Firmenwagen, beneideten mich alle meine ehemaligen Mitschüler, die sich für andere Berufe entschieden hatten. Die keinen Kunden Honig um den Bart schmieren mussten, nicht wie ich jeden Tag bis acht Uhr ausschlafen konnten und im grauen Kittel oder in Latzhosen den Tag verbrachten statt wie ich in Anzug und Krawatte.

Im dritten Jahr lief das Geschäft schlecht. Erst strich man mir den BMW, dann den Job. Ich wurde arbeitslos. Meine Freundin, die ich ohne Trauschein für meine Frau hielt, brachte Zwillinge zur Welt, verließ mich und verklagte mich auf Unterhalt. Den ich letztendlich zu bezahlen hatte, nebst den Anwalts- und den Gerichtskosten für meine Klage, meine Kinder sehen und eine zugewiesene Zeit mit ihnen verbringen zu dürfen.

Ich ging zur Umschulungsberatung. "Pflegekräfte sind rar. Das hat Konjunktur." Also ließ ich mich umschulen und wurde Altenpfleger. Dieser Beruf war eine Offenbarung, denn ich machte ihn gerne. In meine Alten war ich verliebt, pflegte jeden von ihnen mit Hingebung, litt mit jedem, dem es schlecht ging und starb mit jedem, der dahinging.

Aber ich hatte Verpflichtungen, und deshalb nahm ich den Nachtdienst wahr, weil er höher bezahlt wurde als der Dienst am Tag. Den wollten aber – angeblich - alle haben, und so sah ich mich nach geraumer Zeit Anfeindungen ausgesetzt, obwohl gar nicht jeder den Nachdienst hätte übernehmen können, denn die meisten meiner Kollegen hatten Familien und schwebten zwischen mehr Geld und mehr Zeit. Es war die reine Missgunst.

Inzwischen darf ich auf richterlichen Beschluss meine Kinder sehen. Ich kann aber nicht mehr für sie sorgen, weil ich meinen Job wegen "sozial nicht einvernehmlichen Verhaltens" verloren habe und auf Stütze bin.

Meine Wohnung habe ich auch verloren. Die Nachbarn nahmen Anstoß daran, dass mein Rottweiler auf der Liste der Kampfhunde steht – was immer darunter zu verstehen ist. Meine Pretty ist jedoch sanft wie ein Lamm und die beste Freundin, dich ich jemals hatte. Meine Nachbarn wollten sie trotzdem nicht dulden und hängten mir ein Verfahren an, um uns loszuwerden. Sie traten als Ankläger und Zeugen auf, ich war allein. Deshalb glaubte der Richter ihnen, nicht mir, und er verurteilte mich wegen einer vorgetäuschten Handgreiflichkeit, die ich nicht begangen hatte.

Jetzt ziehen wir um die Häuser, die Pretty und ich. Nachts schlafen wir im Feien auf Karton und sammeln alles Mögliche ein, um den Winter durchzustehen. Die Pretty und ich. Manchmal weiß ich nicht, wo ich ihre Rationen auftreiben soll. Dann gehe ich zu den Schlachtern und frage nach Abfällen. Pansen und Hirn bekomme ich, manchmal auch ein paar zerspante Innereien, die bei der Verwurstung abgefallen sind und zusammengekehrt wurden. Die gebe ich der Pretty, während mir der Magen knurrt und ich die Hand aufhalte.

Was sonst kann ich noch tun, als die Hand aufzuhalten?

Hauptsache, ich bekomme ab und zu genug in den Bauch, um zu überleben. Und um Pretty satt zu kriegen, das – nein, die - Einzige, Ehrlichste, Treueste und Wertvollste, die mir geblieben ist. Die mich auch dann noch liebt, wenn ich gegen den Wind stinke, weil mir die paar Cent für die öffentliche Toilette fehlen, um mir den Schritt und die Achselhöhlen zu waschen.

Auf meine Pretty ist Verlass.Wenn sie eines Tages nicht mehr bei mir ist, bin ich verloren.

14.09.2022
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
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