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Alt 01.09.2022, 14:52   #1
Hera Klit
 
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Standard Alle Lust braucht stete Steigerung.

Alle Lust braucht stete Steigerung.


(Kurzbiografie der Untergrunddichterin und Genderaktivistin Hera Klit)


Untertitel: Warum ich so gut bin, trotz meines dornenreichen Weges.


Geboren im Getto eines unscheinbaren Rieddorfes in der Nähe von Büchners Geburtsort unweit des mächtig strömenden Vater Rhein, pulsierten in meinen Adern schon von früh auf ähnlich revolutionäre Wallungen, wie sie schon den großen Dichter des Danton auszeichneten. Wie oft pilgerte ich zum Geburtshaus des hohen Ahnen, um die richtige Gesinnung in meinem Herzen und meiner Seele zu pflegen und zu fördern, und auch ich gedachte der Obrigkeit im nahen Darmstadt mit tiefem Groll und ich sehnte die Revolution herbei.

Gleichzeitig verdiente ich mir auf den Feldern meines Herrn Vater die nötigen Groschen, um per Bahn nach Tübingen reisen zu können. Dort besuchte ich den Turm meines zweiten Idols und Ahnherren Hölderlin. Darin geschah mir ein Erweckungserlebnis der besonderen Art und folglich formte sich mein Charakter unter der Richtschnur dieser beiden großen Deutschen.


Auf der einen Seite das dramatisch kämpferische Element des gottgleichen Georg Büchner und auf der anderen Seite das träumerisch lyrische Element des nicht im mindesten weniger göttlichen Hölderlin. Diese beiden disparaten Strömungen meines inneren Geistes- und Seelenflusses wurden Säulen meines sich unaufhaltsam entwickelnden Genius. Einem Menschen mit einem solchermaßen riskant geprägten Innenleben ist es unmöglich, den Weg des bigotten Bürgers oder des einfältigen Bauern zu beschreiten, denn der Ruf nach dem Höheren und nach Gerechtigkeit klingt in ihm und zwingt ihn unablässig, den Griff nach den Sternen zu wagen, um manch heiligen Lorbeer auf die gedankenschwere Stirn herab zu ringen.


Auf dem Felde der Liebe - soweit mir die Dichtkunst überhaupt Raum dafür ließ- versuchte ich manches Weib meinem Charakter und meiner unsteten Seelenlage anzupassen, was leider letztlich von wenig Erfolg gekrönt war. Ich musste erkennen, dass es zwischen mir - der ahnungsschweren Dichterin des kommenden Zeitalters- und dem flatterhaften Frauenvolk leider an dem nötigen Klebstoff mangelt. Wie lang und bang wurden mir die Stunden an der Seite dieser herausgeputzten Kleiderständer, die zu meinem großen Verdruss zumeist mit schnatterndem Unsinn und dem kramen in depressiven Stimmungen zugebracht werden mussten.

Enttäuschung reihte sich an Enttäuschung, bis ich endlich feststellte, dass ich doch das rechte Weib für mich selbst sein sollte, das nur heraus muss ans Licht der Welt. Doch genau wie ich einst den Weg zwischen den Titanen Büchner und Hölderlin als den mir gemäßen erkannte, erkannte ich nun unter dem hilfreichen Einfluss der international bekannten Videokünstlerin Caiden Hall, dass ich auch auf dem Sektor des Geschlechtlichen, den Zwischenweg zu wählen, gut beraten sei. Das Dazwischen, wurde somit zu meinem eigentlichen Element. Fortan stellte ich mit einigem Erfolg dem Manne nach und eine nicht eben ruhige, aber erfahrungsreiche Zeit begann, in deren Verlauf ich erkennen musste, dass alle Lust steter Steigerung bedarf. Diese neuerliche Erleuchtung und Erweckung rückten endlich wieder die Dichtkunst in das Zentrum meines Wollens und Wirkens. Doch ich ging in den Untergrund, denn nur von dort, so hoffte ich, ist eine Revolution und/oder Reformierung der darniederliegenden Dichtkunst und der maroden Gesellschaft möglich. Das Tageslicht der Verlage, Literaturpreise und der marktschreierischen sogenannten Kritiker kann nichts als aufgeblähte oder niedergeschmetterte Egos hervorbringen. Gesegnet, wer das frühzeitig erkennt.

Dass ich während meines irrlichternden Suchens auch für ein Brotstudium und für ein Studium Universale zu eigenem Vergnügen vielfach an den Darmstädter Universitäten Station machte, hätte hier eigentlich unerwähnt bleiben können. Ich setze es aber der Vollständigkeit halber hinzu, ohne mir auf derartige Landläufigkeiten auch nur das Geringste einzubilden. Meine Feinde mag es warnen, meine Freunde mögen es mir verzeihen.

Ob diese Studien meinen Geist und meine Seele mehr hemmten als förderten, vermag ich schlechterdings nicht zu sagen, aber sicher haben mir meine Theologiestudien, die ich leider auch betrieb, schwere Gewichte an die Füße gehängt, die womöglich noch heute meine Schritte hemmen.


Wie sagte schon Bukowski, ein Freund aus jüngeren Tagen, sinngemäß, „Bis ein Genie die Kurve kriegt, rennen hundert Unglückliche ins Verderben.“ Wie wahr!



(Eine Fortsetzung muss evtl. folgen)
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