Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Forum durchsuchen Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 12.07.2022, 10:54   #1
männlich Flocke
 
Benutzerbild von Flocke
 
Dabei seit: 12/2016
Ort: NRW
Beiträge: 177


Standard Verrückt ist wie normal; nur anders!

DEIN HAAR SCHMECKT NACH FLIEDER

„Du gehst auf die Toilette! Sofort!“, sagte die Mutter.
Verflucht! Sie hatte sich wieder heimlich angeschlichen.
„Aber, ich habe gerade einen neuen Virenscanner geladen“, muckte ich auf, „ich mach erst mal 'ne Pause!“
„Du musst zur Toilette, ich bin deine Mutter! Mir machst du nichts vor!“, beharrte sie.
Ich wollte nicht, ich musste nicht, und sollte doch.
„Nein! Es geht nicht! Ich kann nicht!“, antwortete ich und stand auf.
Sie sah mich an. „Dem Herrn ist es zu viel! Er hält es nicht aus. Der Herr will wegrennen,“ stellte sie fest.
„Nein, das will ich nicht!“, schrie ich. Ich war sicher, sie wusste, dass ich sie anlog. Sie konnte Gedanken lesen. Meine Hose quietschte. Sie war immer noch nass.
"Du musst zur Toilette! Sofort!", sie zeigte auf die Tür.
Ich orientierte mich in die Gegenrichtung, setzte mich an den Bettrahmen und griff nach meinem Gürtel, um mich an das Bett zu fesseln. Sie schüttelte den Kopf und ging. Ihre kurzen Schritte hallten im Flur, so als würde sie Knallerbsen auf den Boden schmeißen.
Ich atmete durch und ließ mich gänzlich zu Boden sinken. Wieder stieg mir dieser seltsame Geruch in die Nase; ich sollte wirklich mal die Wäsche wechseln. Aber dazu müsste ich meine Klamotten ausziehen. Das wollte ich auf keinen Fall! Charly rührte sich nicht, er war die Ruhe selbst. Ich streichelte sein Fell, kratzig war es und rauh.

Der Tag heute war scheußlich. Schon heute morgen in der Früh hatte mir die Mutter meine Hose einfach weg genommen - ohne zu fragen! Während ich noch schlief! Meine schwarze Cordhose! Einfach so!
„Sie stinkt!“, hatte sie mir erklärt, „da liegt 'ne neue, habe ich dir letzte Woche bei C & A bestellt.“
„Die Hose ist noch gut, sie ist noch gut!“, stieß ich hervor und rannte in Panik los – zum Badezimmer; doch die Waschmaschine lief schon. Ich drückte mehrfach auf die Aus-Taste und hoffte, dass die Öffnungssperre auf diese Weise schneller ein Ende fand. Die Mutter kam wie ein Schatten von hinten und griff meinen Nacken.
„Du machst meine Waschmaschine kaputt!“ Sie presste meinen Hals und schimpfte. Ihre Finger waren wie aus Draht geflochten. Sie riss mich von hinten. Ich hielt mich an der Luke fest.
Und auf einmal, da durchströmte mich eine Kraft wie ein Strahl, der als Stahl aus meinen Hoden kam. Ich erhob mich wie ein Titan, schüttelte mich unwillig und die Mutter fiel von mir ab, als wäre sie bloßes Ungeziefer.
„Lass das, Till!“, rief sie scharf. Sie rappelte sich auf und holte tief Luft:
„Was machst du da mit deiner Mutter? Aufgeopfert habe ich mich für dich, und jetzt das!“
Sie ging zur Badezimmertür und blieb dort für mindestens eine halbe Minute stehen. Bedächtig fuhr sie sich durch die Haare und glättete ihre Kittelschürze. Dann lächelte sie mich an.
„Heute mittag gibt es Gulaschsuppe!“ Sie schien recht angetan und nickte mir zu, „die magst du doch!“
Nein, ich hasste sie.
Als sie sich danach von mir abwandte, verschloss ich hinter ihr die Badezimmertür. Der Verschluss der Waschmaschine öffnete sich beim zweiten Versuch wie von alleine. Ja , da lag sie, meine gute Hose, inmitten des feuchten und warmen Wäschehaufen. Vorsichtig wrang ich sie über dem Waschbecken aus. Die Hose trug sich dann angenehm und erfrischend. Sie kühlte und bandagierte meine Beine, was mich sogleich beruhigte.
„Du erkältest dich“, hörte ich sie von draußen rufen. Sie wusste, was ich tat. Sie wusste immer, was ich tat. Bestimmt machte sie wieder für morgen neue Pläne. Sie machte immer Pläne für mich. Die Mutter verstand einfach nicht, warum ich die Kleidung nicht wechseln wollte. Da half ihr auch kein Gedankenlesen. Immer wieder klaute sie mir meine guten Sachen. Gestern musste ich sogar meine Nike Air aus der gelben Tonne ziehen!

Charlie ließ sich noch eine Weile von mir kraulen. Sein Fressnapf sah übel aus, klebrig und versifft. Ich legte den ausgetrockneten Wassernapf über seinen Teller. Dass er nichts davon mehr fraß. Die Mutter muss mehr auf sein Futter achten!
Als ich danach in die Küche trat, tat die Mutter so, als hätte sie mein Kommen nicht bemerkt. Sie schaute an mir vorbei und sprach kein Wort.
Der säuerlichen Duft der Gulaschsuppe stieg in meine Nase, mir wurde speiübel. Ich stellte das Fenster auf Kipp; ich tat das, obwohl ich wusste, dass sie keine kalte Luft mochte. Sie hustete dann auch sofort auf.
„Ich hole mir vorm Essen noch schnell einen Riegel Marzipan vom Türkenkiosk! Von dem um die Ecke. Soll ich dir die neue 'Brigitte' mitbringen?“
Jetzt schaute sie mich an, überlegte kurz und entschied sich, noch einmal leidend zu husten.
„Der haut mir nicht ab!“, hörte ich sie denken.
"Wenn da so ist, dann kriegt sie halt nichts zum Lesen!", hielt ich dagegen.
Und dann konnte ich nicht mehr an mich halten und es brachen in mir alte Dämme:
"Aber nein, Hände waschen, Zähne putzen, Pipi machen, viel trinken!" Ich hoffte, dass ich nicht laut gedacht hatte. Und weiter tobte es in mir:
„Immer diese ewigen Vorhaltungen, diese Sprüche! Nicht zu stoppen. Das dauernde Gekeife, jeden Tag, jeden Tag! Unerträglich! Ich könnte sie an die Wand ... , ich könnte sie schütteln, ihr eine klatschen, ihr voll in den fetten ... !“ Kühle Luft zog durch mein Hirn. Irgendwo plätscherte eine Klospülung.
Alles ist gut - ich bin so cool!
„Dein Haar schmeckt nach Flieder“, klang es leise, aber bestimmt in meinem Ohr.
Ich setzte die Sonnenbrille auf und zog die Mütze mit dem Gummizug über. Die Hände steckte ich tief in die Taschen meiner braunen Regenjacke. So war ich gerüstet, vorbereitet. Mühelos würde ich so der Welt trotzen können.
„Was bin ich cool!“, entfuhr es mir.
"Was bin ich cool!"
„Hast du dir die Zähne geputzt?“ Ich hatte gewusst, dass sie das fragen würde.
Hoffentlich vergaß sie, mir den Schal umzulegen. Aber nein, sie vergaß es nicht.
Ich wollte noch schnell bei Charly vorbeischauen, bevor ich mich auf den Weg machte. Vielleicht wollte er ja mit. Sein Fell glänzte. Aber er blieb liegen. Dieser faule Stinkstiefel! Dann soll er halt bleiben, wo er ist."
"Stinktier, erbärmliche Ratte, du!", zischte ich in seine Richtung.
Soll die Mutter sich um ihn kümmern.
„Ich geh jetzt!“, rief ich ihr zu.
„Verlauf dich nicht!“ Der letzte Satz schubste mich auf die Straße!

Endlich war ich draußen, unangenehm kalt war sie, die frische Luft. Die ersten Schritte waren wie immer schwer. Nur nicht verwirren lassen. Ich wollte einen guten Rhythmus finden. Ich durfte ja nicht die Plattenränder auf dem Bürgersteig berühren. Dazu musste der jeweilig angehobene Fuß exakt in der Mitte der Steinplatten gesetzt werden. Ich wusste, dass ich scharenweise bei meiner Fußgängerprüfung beobachtet wurde. Aber ich bin perfekt, ich war und bin der Weltmeister aus Stahl; mein Strahl drängt in einem Fluss aus meinem Darm, als wärs der goldene Schuss. In meinen Hoden kribbelte es, als liefe ich barfüßig über zu heißen Sand.
Da, Achtung! Direkt vor mir lag frischer Vogelschiss auf der Straße, und es geschah bewusst, - ich sage: bewusst, es war mein absoluter Wille - ich trat hinein. Es war meine spontane Entscheidung auf diese perverse Provokation. Und auf einmal waren mir die alten Regeln egal, und lustvoll stieg ich voll auf die Ritzen, soll die Mutter mir doch nachschauen; ich war unbesiegbar, ich war Achill, zwei Meter groß. Mir konnte keiner was.
Da erblickte ich sie, diese geile Bitch von nebenan; sie kam mir entgegen, ich kannte sie: hochhackige Schuhe, kurzer Rock, wackelnder Hintern, ein Traum in Rot. Nein, als sie näher kam, sah ich es; sie trug doch wieder nur diese Flachtreter, Hosen und Mantel. Sie nickte mir zu, ja sie lachte, sie lachte mich aus; ich senkte den Blick und wurde rot. Sie wusste Bescheid!

Die Hände in den Taschen und den Blick auf den Boden gerichtet, rannte ich fast schon zum Türkenkiosk um die Ecke. Ich mochte den Laden. Wir beide, der Türke und ich, waren ein gutes Team! Ich gab ihm das Geld und er reichte mir im Gegenzug das Marzipan. Er fragte nie nach, und ich musste nie den Mund aufmachen und reden. Ich zeigte auf das, was ich wollte. Das reichte! Doch heute grinste er mich offen an. Auch die zwei Kunden guckten; warum? Ich ließ mir nichts anmerken.
„Dein Haar schmeckt nach Flieder!“ sagte jemand hinter mir. Ich drehte mich, da war keiner! Sie waren unsichtbar! Es war offensichtlich. Dass ich es vorher noch nicht bemerkt hatte! Es ließ sich nicht leugnen. Die Menschen schienen heute ganz verändert. Ja, die Frage war zu stellen, waren es überhaupt Menschen?
Ich riss ihm das Marzipan aus der Hand; ich verzichtete sogar auf das Wechselgeld. Ich sah nicht auf, aber ich wusste, alle drei grinsten mir nach. Und draußen wurde es nicht anders. Die Passanten gingen frech und hemmungslos auf mich zu. Dauernd musste ich ausweichen. Sie starrten mich an, sie tuschelten hinter mir her, sie zeigten auf mich und wähnten sich dabei unbeobachtet. Aber mich konnten sie nicht täuschen; kleine schnelle Schritte, den Kopf eingezogen, den Oberkörper gekrümmt, so schützte ich mein inneres Kraftzentrum, so eilte ich … und stolperte!
Da hat mir doch jemand das Bein gestellt. Ich knallte voll auf meine Stirn, die Hände waren in den Hosentaschen eingeklemmt. So konnte ich mich nicht abfangen. Musste ich sie jetzt wirklich aus den Taschen nehmen, um mich von diesem dreckigen Pflaster hochzustemmen. Ich hatte meine Handschuhe nicht dabei und dann fassten sie mich auch noch an, Fremde berührten mich! Ich wollte – das war eine Voraussetzung meiner überragenden Intelligenz - nicht infiziert werden! Ich atmete ein, mein Oberkörper wuchs in einem gespenstischen Maße auf das Doppelte, meine Stimme schwoll an, bis sie grollte. Ich sprengte mit meiner Atmung die zupackenden fremden Hände einfach hinweg.
Und dann war ich war frei; ich, Till, der Titan.
Wer kann mir was? Selbstbewusst wie ich nun war, setzte ich meinen Gang fort. Meine Präsenz, sie war nun so gewaltig, dass die Entgegenkommenden zur Seite ausweichen mussten. Sollten sie doch grinsen! Ja, es ist wahr, ich habe diese Situation gemeistert, ich wuchs an ihrer Herausforderung! Ich war der Dämonenbezwinger, der Schifferstädter Dietrichringer, der Dominatrix. Wer will da noch behaupten, alleine wäre ich nicht lebensfähig?

Die Mutter erwartete mich schon an der Tür,
„ich habe mir Sorgen gemacht!“, sagte sie.
„Ich bin ein Tiger!“, flüsterte ich und drückte mich schnell an ihr vorbei. Klein und drahtig, einer abgemagerte Ratte gleich griff sie meine Schulter.
„Du warst immer noch nicht auf der Toilette“, sagte sie böse, „du kriegst Hodenkrebs, wenn du nicht regelmäßig aufs Klo gehst. Denk an deinen Vater!“ Sie schob mich ins WC.
„Die Farbe deiner Haare schmeckt nach Ginster, ich liebe das Klo, da ist es finster!“ antwortete ich ihr. Ich sang es ihr kraftvoll entgegen.
Und wieder einmal zog sie am Reißverschluss meiner Hose und griff hinein in das Zentrum meiner Macht, wohl um mein Leben zu retten, mich zu entwässern und mich zu erleichtern.
„Die Mutter weiß, was gut für mich ist!“ sagte ich oder war es dann doch sie, die diesen Satz sprach? Ich war so klein, so klein. Doch auf einmal, da stieg eine Energie in mir hoch, eine strahlende Kraft. Wie ein Strahl aus Stahl explodierte sie in meinen Hoden, wandelte mein Bauchfleisch in Kraftnahrung, härtete den Rumpf, bemächtigte sich meiner Arme und streckte meine rechte Faust in Richtung Decke. Gerne wollte die geballte Faust von oben her mit einem Hieb den Kopf der Mutter zerschmettern, doch der Stahl zog den Arm unbeirrt in Richtung Himmel. Black Power!
Ich reckte auch noch die geballte Faust, nachdem sie meinen Penis schon längst abgeschüttelt hatte und gegangen war. Ich schwebte.

Als ich dann wieder in mein Zimmer fand, tanzen schwere Gedanken in meinem Gehirn.
„Können Götter morden! Kommen Ungetaufte in den Himmel?", fragte ich mich. Ich war so müde und ich entschied, erstmal zu ruhen. Die Luft löste sich, löste mich, löste mich auf, die Augen fielen herab. Ruhe und Unendlichkeit, kein Flieder, kein Ginster, nicht finster – nur Stille, mein Wille.
„Dein Haar schmeckt nach Flieder – oder war es Ginster!“ Die Stimme hinter meinem Ohr hatte mich nicht vergessen. ...
Aber es stank gottserbärmlich! Vielleicht hatte die Mutter doch recht mit der Wäsche.

Kaum dachte ich an sie, da stand sie schon an der Zimmertür; und, es war wie immer! Unerbittlich trug sie den Teller auf der Hand wie der Pfarrer die Monstranz:
„Du musst was essen, denk an deinen Vater!"
Die Gulaschsuppe dampfte. Sie schaute kurz auf Charly.
„Bist du ihn immer noch nicht los geworden?“, fragte sie, „dass du nichts wegräumen kannst!“
Charly rührte sich nicht. Sie machte einen raschen Schritt auf ihn zu und stieß ihn mit zwei, drei Tritten unter das Bett. Dort, wo er gerade gelegen hatte, war es feucht. Zwei, drei Maden krochen ihm eilig nach.
Dann befüllte die Mutter in einer eleganten, beiläufigen Schöpfbewegung den Löffel mit dem Gulasch und zielte mit ihm auf die Mitte meinens Kopfes. Routiniert und elegant vollzog sie diese Bewegung wie in einem alten Ritual der schwarzen Magie. Ich strahlte sie an.
Ich wusste jetzt, sie würde die Stimme niemals hören können. Sie war unwürdig. Ich öffnete den Mund, spreizte meine mächtigen Kiefer!

Und dann wuchs sie hervor, die Kraft wie ein Strahl, der als Stahl aus den Hoden kam, ein goldener Pfahl! Ich erhob mich zu meiner ganzen, zu meiner wahren Größe.
Ich! Ich bin Motherfucker Till, I Kill Bill, der Titan!
Niemand darf Charly anfassen!

Geändert von Flocke (12.07.2022 um 14:54 Uhr)
Flocke ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.07.2022, 14:51   #2
männlich Flocke
 
Benutzerbild von Flocke
 
Dabei seit: 12/2016
Ort: NRW
Beiträge: 177


Standard Verrückt ist wie normal; nur anders!

Anmerkung:
ich habe dann in den letzten 4 Stunden noch einige Textstellen umgeschrieben. (immerhin habe ich diesmal nicht den ganzen Beitrag wieder rausgenommen!)
Liebe Grüße Flocke
Flocke ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Verrückt ist wie normal; nur anders!

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche


Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Anders Anders Anders undefined Gefühlte Momente und Emotionen 2 31.08.2017 19:44
Was ist eigentlich Normal? LolXDlol Die Philosophen-Lounge 42 22.09.2015 22:45
Ist -Schwulsein- normal? Twiddyfix Die Philosophen-Lounge 148 07.06.2014 10:54
Verrückt ist nur, wer was draus macht Lex Geschichten, Märchen und Legenden 0 06.12.2005 17:54


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.