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03.12.2011, 01:07 | #1 |
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Eines Abends im Supermarkt
Eines Abends im Supermarkt
In der Kaufarena gegen Abend; vom Tag ausgezehrte Charaktere treffen sich zur Stressralley in den Gängen der Regale, brauchen genau den Platz, auf dem ich stehe, den Einkaufswagen quer im Gang. Vor der Kassenschlange zwei Dummys; gestresster Vater mit Sohn, die den Platz freihalten für die Mutter, die schnaufend mit der Warenkutsche um die Ecke biegt und sich vor mir einreiht, mich ignorierend, der ich auf dem Weg zum potentiellen Kundenmörder bin, Adrenalin bereits in Arbeit. Verzogene Blagen dieser Intellektuellenblase turnen an meinem Einkaufswagen, irgendeiner will nur mal durch, die Alte hinter mir packt schon ihre drei Teile aufs Band, an mir vorbei greifend, während ich in Gedanken meuchelnd meine Aggressionen abbaue. Und dann, über die Kasse hinweg, zur Packzone hin, trifft mich ein Blick, länger als erlaubt, aus Augen, die mir die vielen Jahre aus dem Gesicht streicheln, klar und groß, und eine Taubheit schleicht durch meine Sinne. Und nicht die Hormone expandieren, sondern verkümmertes Frohlocken im Herzen schleicht sich ins Gehirn, und Bauchgefühl verdrischt den Geist. Und ein Lächeln reist zu mir, ohne Mitleid und Trost, so liebe - und verheißungsvoll, so warm und zärtlich wie ein Kuss, macht mich bewegungslos und stumm. Dann nimmt sie ihre Taschen, ihren Blick noch immer auf mir ruhend, als hörte sie mein stummes Flehen, nicht weg zu schauen, und sie lächelt mir immer noch meine Jugend zurück, bis ein kaum merkbares Nicken mit Abschied droht, aber auch Zuneigung verspricht. Dann geht sie fort und verschwindet aus dieser toten Welt aus Plastikkarten und Konsummutanten, als würde Gott seinen Mund öffnen und sie aus meinem Leben hauchen wie etwas, das mir nicht zusteht. „Kundenkarte? Sammeln Sie Punkte? Guten Morgen, sind Sie wieder da?“ Die Kassiererin schaut mich mitleidig an. Einkaufswagen rasseln ineinander, Weihnachtslieder bringen die tägliche Verzweiflung zurück, Lautsprecheransagen mit verblödeten Lockangeboten schreien mich an, die Tyrannei des Alltags erwartet meine Aufmerksamkeit. Ich zahle, raffe alle Waren wild in Tüten zusammen, renne wie ein Ladendieb zum Ausgang, so stark und mutig, so entschlossen, so verzweifelt dieses Gefühl behalten wollend, so lächerlich, so wichtig. So stürze ich in die frostige Dämmerung, die Griffe der Einkaufstaschen reißen, und dieser verfluchte, ewig wieder kehrende Moment der Glücklosigkeit verstreut meine Waren auf dem Parkplatz, und Flaschen und Dosen rollen und rollen. und zwingen mich wieder in diese so gehasste Resignation. Ich senke niedergeschlagen den Kopf, und ich wünschte, ich könnte sie zerstören, diese strunzdoofe, primitive, kaputte Plastikwelt mit den tumben, höhnischen, blöden Hackfressen. „Ich glaube, dieser Rotwein ist gar nicht so schlecht“, sagt eine warme Stimme. Das Lächeln aus der Welt, in der es Leben gibt, reicht mir eine Flasche, die am Boden lag. Zwei Kinder eilen herbei und tragen meine Lebensmittel zusammen. Ich schäme mich. Ich schaue in diese aufmerksamen Augen, so glücklich unfähig, etwas zu antworten. Sie hat auf mich gewartet, denke ich. Und ich liebe diese furchtbare Welt und dieses sinnlose kurze Leben, und dieses unglaubliche alles verschlingende egoistische Gefühl, das alles, wirklich alles, verändert. Jeronimo |
03.12.2011, 09:29 | #2 |
Forumsleitung
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Das ist sehr gut geschrieben, Jeronimo, mit einem eigenen, klar erkennbaren Stil - alle Achtung. Nicht nur die Beschreibungen sind treffend (obwohl ich einige ihrer Bewertungen nicht teile), auch wird ein unterschwelliger Zynismus hörbar, denn der Protagonist kann sich dieser Plastikwelt nicht entziehen.
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03.12.2011, 10:04 | #3 |
Hallo Jeronimo!
Ich habe mich feige mit meinem Kommentar zurückgehalten, bis jemand die richtigen Worte fand, denn mein schwaches Vokabular wäre dafür nicht geeignet. Jetzt kann ich frech sagen: Ich stimme Ilka-Maria voll und ganz zu. megdw, Martho |
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03.12.2011, 17:58 | #4 |
gesperrt
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Hallo Ilka-Maria,
Deine Kommentare sind immer sehr fundiert und deshalb freut es mich auch sehr, dass es Dir gefallen hat. Und Deine Annahme mit dem Zynismus ist richtig. Vermutlich bin ich Hobby-Zyniker, vermeide aber den einzelnen zu verletzen und treffe daher alle. Hallo Martho, mir geht es oft so, dass ich einen Beitrag gut finde, aber mich nicht entsprechend dazu artikulieren kann, und ich warte dann auch, bis sich jemand findet, der es mir vor macht. Aber wichtig ist ja nur, dass etwas gefällt. Und für diese Ansicht danke ich Dir sehr. Jeronimo |
03.12.2011, 18:35 | #5 |
Hallo Jeronimo,
ich finde Deine Erzählung hier auch wunderbar, weil sie wahrscheinlich auch ein jeder leicht nachempfinden kann, schätze ich mal Also wer kennt nicht dieses Gedrängel an den Kassen in Supermärkten und dazu die vielen genervten anteilsnahmlosen Gesichter? Wenn ich an Kaufland am Samstag Abend denke, da leuchten bei mir alle Alarmglocken, darum gehe ich lieber immer morgens los, da sind meist die Fröhlicheren unterwegs, kommt mir jedenfalls so vor Ich hab es immer oft das ich mich dabei erwische, wenn ich so hilflos wirkende ältere Menschen z.B. sehe die irgendwie in dem Gedrängel verloren scheinen, dann fühle ich mich immer dazu verpflichtet diesen fremden Menschen mit einem Lächeln oder einem kleinen aufmunternden Gespräch zu begegnen um sie ein wenig abzulenken und versuche somit wahrscheinlich etwas von meiner Ruhe zu vermitteln... Tolle Deine Geschichte! |
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04.12.2011, 00:21 | #6 |
gesperrt
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Hallo Rebird,
ich persönlich finde es immer sehr liebevoll (ohne mir etwas einzubilden), wenn einem ein(e) Fremde(r) im Vorübergehen ein Lächeln schenkt - einfach so. Meistens ist das eine Geste der Aufmunterung, ein Mutmachen. Bei älteren Menschen ist das völlig unverfänglich, bei Jüngeren sicher auch eine Geste der Sympathie. Ja, und es wirkt auch beruhigend. Dankeschön für Deinen Kommentar! Jeronimo |
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