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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 04.11.2025, 04:47   #1
männlich TravisBeamer
 
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Standard Amy

Mit ihrer Stimme hat sie Zeit verbogen,
in Soul, in Jazz und in Sopran.
Sie fiel in einen leisen Wahn,
letztendlich ausgelöst im Rad von Drogen.

Ihr Haus steht leer am Fuß von kleinen Bergen,
voll Andacht geht man dort vorbei.
Zuletzt entsprang ein stummer Schrei
geheimnisvoll aus ihren großen Werken.

In der gefühlten Einsamkeit verfiel sie
dem Kokain als üble Saat.
Es griff sogar nach ihrer Art,
zufrieden war sie bei Konzerten wohl nie.

Sie tauchte ein in hochprozent'ge Meere
und ihre Lichter gingen aus
im Schutz der Zimmer von dem Haus,
gefangen in von Ruhm bestimmter Schwere.

Es schrieb nur Stunden später jede Zeitung
von nämlichem finalen Akt,
ihr Tod war nun ein klarer Fakt
und sorgte für Bestürztheit nach Verbreitung.

Geändert von TravisBeamer (04.11.2025 um 15:53 Uhr)
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Alt 04.11.2025, 14:20   #2
männlich Epilog
 
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Standard Hallo Travis

mit dem ebenso tragischen wie absehbaren Tod von Amy Winehouse (mittlerweile auch schon wieder beinahe 15 Jahre her ...) greifst Du in Zeiten des ständig noch anwachsenden Medienhypes ein sicher wichtiges und dennoch ungewöhnliches Thema auf.

Gleich den ersten Vers
Zitat:
Zitat von TravisBeamer Beitrag anzeigen
Mit ihrer Stimme hat sie Zeit verbogen,
finde ich gelungen und gewissermaßen "vielversprechend" - so ganz wird das Versprechen dann aus meiner Sicht doch nicht ganz eingehalten. Weitere einzelne Verse wie
Zitat:
Zitat von TravisBeamer Beitrag anzeigen
Sie fiel in einen leisen Wahn,
oder
Zitat:
Zitat von TravisBeamer Beitrag anzeigen
Zuletzt entsprang ein stummer Schrei
zeichnen recht beeindruckend den leider ziemlich vorgezeichneten Weg in den Abgrund nach, bis es am Ende heißt
Zitat:
Zitat von TravisBeamer Beitrag anzeigen
ihr Tod war nun ein klarer Fakt
.

Man darf in dem Zusammenhang nicht vergessen, dass Amy Winehouse ihre (Alkohol)Sucht auch in einem ihrer bekanntesten Songs "Rehab" mit dem berühmten "No, no, no" selbst verteidigt und belobigt hat. Ich will damit keineswegs sagen "selbst schuld", aber ihre eigene fehlende Willensstärke spielten hier mit dem üblen Einfluss ihres Umfelds/Lebenspartners wie auch der sensationslüsternen Erwartung der Medien/der Öffentlichkeit aufs Engste zusammen. Am Ende steht dann ein extrem lakonisches "Hat sie es endlich wahr gemacht!", das auch aus Deiner seltsam gestelzten Schlussstrophe rüberklingt.

Zitat:
Zitat von TravisBeamer Beitrag anzeigen
in Alt, in Mezzo und Sopran.
Naja, AW ist ja allseits für ihre fantastische Soulstimme gelobt worden - ich kenne mich damit nun wirklich nicht gut aus, aber der Hinweis auf die klassischen Gesangstimmen oder -lagen scheint mir hier nicht so treffend (kenne mich auch eher mit Dorothee Mields aus). In Bezug auf den umfassend praktizierten Stimmumfang kommen mir im Zeitraum vor 20-30 Jahren eher Lisa Stainsfield oder Anastacia in den Sinn - vielleicht kann mich ein echter Soulexperte hier verbessern.

Ups, hier kommen gleich die Handwerker. Ich hoffe, ich schaffe später noch ein paar Bemerkungen zu sprachlichen Eigentümlichkeiten des Textes.

Bis dahin beste Grüße

Epilog
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Alt 04.11.2025, 15:35   #3
männlich TravisBeamer
 
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Mit deinem letzten Einwand hast du wohl teilweise recht, wobei ich damit ausdrücken wollte, dass sie ein großes Stimmspektrum besaß, was nun mal nicht von der Hand zu weisen ist. Sie würde manchmal auch mit einem Mezzosopran verglichen werden, habe ich nachgelesen. So habe es nochmal geändert an der Stelle.

Freundliche Grüße,
Travis Beamer
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Alt 04.11.2025, 16:14   #4
weiblich Ilka-Maria
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Handwerklich ist das Gedicht, soweit ich es auf Rhythmus und Reim geprüft habe, in Ordnung. Irritationen entstehen beim Lesen an einigen Stellen trotzdem, und zwar wegen der Wortwahl, die zuweilen sperrig oder nicht schlüssig daherkommt.

Das beginnt schon im ersten Vers: "Mit ihrer Stimme hat sie Zeit verbogen, ..."

Hier fehlt mir der Artikel "die Zeit". Zwischen "Zeit" und "die Zeit" ist nämlich ein semantischer Unterschied. Wenn ein Mensch davon spricht, er habe "Zeit gebraucht", "Zeit verschwendet" oder "Zeit in den Sand gesetzt", dann meint er einen unbestimmten Abschnitt an Zeit (der vielleicht besser nutzbar oder erfolgreicher hätte sein können), von dem aber niemand weiß, wie lange die Dauer dieser Zeit gewesen ist. Wenn dieser Mensch aber sagt, er habe "die Zeit im Wartezimmer mit Lesen genutzt" oder "die Zeit für die Abgabe der Prüfungsarbeit eingehalten", handelt es sich um einen bestimmten Abschnitt an Zeit, der möglicherweise eine Stunde oder auch sechs Stunden umfasst hat. Wenn Amy Winehouse "Zeit verbogen hat" (also maßgeblich beeinflusst hat), dann sicherlich nicht auf eine unbestimmte Zeit oder gar in der Unendlichkeit der kosmischen Zeit, sondern innerhalb ihrer, nämlich Amys, Lebensspanne und in einer bestimmten Zeit, und deshalb müsste es "die Zeit" heißen.

Noch ein Vers, der Grund zum Meckern gibt:
"Zufrieden war sie bei Konzerten wohl nie ..."

Erstens ist das Mutmaßung, denn wie zufrieden Amy mit ihrer Arbeit war, konnte nur sie genau (vielleicht noch ihr Manager) wissen. Mit dem Wörtchen "wohl" kann man in vielen Bereichen arbeiten, aber mit der Referenz auf psychologische Befindlichkeiten außerhalb der eigenen sollte man vorsichtig sein. Außerdem ist "bei Konzerten" zu ungenau. Gemeint sind ihre eigenen Konzerte, nicht die von Bob Dylan oder Johnny Cash. Das sollte dann aber auch dort stehen.

Gleichwohl hat Travis hier ein Thema vorgetragen, das eine Branche entlarvt, die man nicht kritisch genug sehen kann. Darin liegt sein Verdienst, dieses Gedicht geschrieben und uns präsentiert zu haben. Es muss zu denken geben.

Viele junge Menschen setzen das Stehen im Rampenlicht der Bühne oder vor der Kamera am Filmset mit Glamour, Erfolg und Reichtum gleich. Sie träumen selber von einer Karriere im Showgeschäft (und blamieren sich dann vor Dieter Bohlens Jury). Die knallharten Bedingungen hinter den Kulissen sehen sie nicht. Nicht alle, aber ein großer Teil der Superstars geht kaputt, oft schon in jungen Jahren. Ihre Manager wollen Geld verdienen, und wenn sie Potential sehen, das ausgeschöpft werden kann, machen sie Verträge und melken die Kuh bis zum Zusammenbruch. Die nächste steht längst bereit, sich melken zu lassen. Diese Manager machen Verträge, die letztendlich der Star mit Konventionalstrafen bezahlt, wenn er sie vor Erschöpfung nicht einhalten kann. Also lässt er sich mit Drogen und Alkohol aufputschen. Der Manager kassiert, aber er zahlt nicht. Der Star zahlt die Endrechnung, oft mit seinem frühen Tod. Amy war nur einer unter vielen.

Wer genauer darüber Bescheid wissen möchte, sollte sich den Film "The Rose" mit Bette Middler in der Hauptrolle anschauen. Der Film ist Fiktion, aber an das Leben von Janis Joplin angelehnt. Darin wird fundiert veranschaulicht, wie hart es in dieser Branche zugeht. Vom Glamour bleibt da nichts mehr.

Liebe Grüße an Travis, dem diese Hommage an Amy Winehouse offensichtlich ein Anliegen war.

Ilka
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Alt 04.11.2025, 16:29   #5
männlich Epilog
 
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Standard Wir haben uns auf Teufel komm raus gereimt ...

Nachdem meine neue Waschmaschine erfolgreich angeschlossen worden ist, kommen nun noch einige Anmerkungen von mir zu Form und Sprache. Du kennst es ja vielleicht von mir, und ahnst es schon anhand des obigen, verballhornten Zitats von H.R. Kunze, dass dabei doch eher die kritischen Aspekte im Mittelpunkt stehen.

Bei einigen Reimpaaren stellt sich mir doch die Frage, ob ihnen ein tieferer Sinn zugrundeliegt oder ob Reimwort 2 ganz einfach unbedingt das Reimwort 1 ergänzen muss.
Zitat:
Zitat von TravisBeamer Beitrag anzeigen
Ihr Haus steht leer am Fuß von kleinen Bergen,(...)
geheimnisvoll aus ihren großen Werken.
ist hier ein typisches Beispiel, das halt trotzdem nicht wirklich gelungen ist. Ich verstehe auch grundsätzlich nicht den Bezug zu AWs Wohn- oder Sterbeort, gibt es da einen besonderen Bezug, den ich nicht kenne?

In Strophe drei lautet der umarmende Rein der Verse 1 und 4 "iel sie" mit Betonung auf der ersten Silbe, sodass "wohl nie" nicht funktioniert. (Natürlich kann man ganz bewusst das "sie" betonen, aber das wäre sowohl metrisch als auch sinngemäß entstellend). Stattdessen wäre irgendwas mit "Spiel sie" oder auch "Gefühl sie" passender, wodurch auch m.E. der ganze letzte Vers an Poesie gewänne.

Zitat:
Zitat von TravisBeamer Beitrag anzeigen
Sie tauchte ein in hochprozent'ge Meere
und ihre Lichter gingen aus
im Schutz der Zimmer von dem Haus,
gefangen in von Ruhm bestimmter Schwere.
Hier passen zwar die Reimwörter, aber inhaltlich und von der Wortwahl her finde ich insbesondere die Verse 1 und 2 angesichts des tragischen Geschehens ziemlich bedenklich (AW wurde laut Wiki durch 4,16 Promille Alkohol im Blut getötet). Solche Stellen sind es immer wieder, die mich unwillkürlich, aber auch sehr bitter schmunzeln lassen, während Du dann (meistens) sagst, das sei vollkommen ernst gemeint.

Die sprachliche Eigenart der letzten Strophe hatte ich ja bereits kurz angedeutet: Sie bringt zum einen den völlig emotionslosen Medienrummel zum Ausdruck, schafft aber mit der seltsamen, substantiell gestelzten Wortwahl der letzten Zeile ("Bestürztheit nach Verbreitung") eine extreme Distanziertheit, die - gewollt oder nicht? - die Absurdität des gesamten Geschehens noch hervorhebt.

Gut und interessant finde ich den formalen Aufbau der Strophen mit "normalen" elfsilbigen Auftakt- und Abschlussversen sowie zwei "verkürzten" Achtsilbern dazwischen. Das bringt die Dinge teilweise besser auf den Punkt und schafft mehr Aufmerksamkeit beim Leser. Bei den sonst von Dir zumeist gewählten Langzeilern ist das oft mühevoller.

Beste Grüße

Epilog
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Alt 04.11.2025, 16:38   #6
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[QUOTE=Epilog;616408



Hier passen zwar die Reimwörter, aber inhaltlich und von der Wortwahl her finde ich insbesondere die Verse 1 und 2 angesichts des tragischen Geschehens ziemlich bedenklich (AW wurde laut Wiki durch 4,16 Promille Alkohol im Blut getötet). Solche Stellen sind es immer wieder, die mich unwillkürlich, aber auch sehr bitter schmunzeln lassen, während Du dann (meistens) sagst, das sei vollkommen ernst gemeint.

Beste Grüße

Epilog[/QUOTE]

Das letzte mal fügte ich noch an, dass ich an der Stelle schon zum Schmunzeln bringen wollte. In dem Fall wollte ich nicht zum Schmunzeln bringen, in dem Fall wollte ich sowas wie eine Distanziertheit schaffen und hielt es für poetisch vertretbar, denn wenn man ins Wasser fällt gehen die Lichter aus. Vielleicht ist diese Stelle wirklich ein Streitpunkt. Vielleicht hätte ich es doch anders formulieren sollen. Ich mag es auf jeden Fall, wenn du kommentierst, denn das bedeutet, dass ich im Großen und Ganzen einen Nerv getroffen habe.^^
TravisBeamer ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 04.11.2025, 16:41   #7
männlich TravisBeamer
 
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Und Ilka danke für diesen langen Text, der den Unterschied zwischen Zeit und die Zeit erklärt, wobei ich, um meinen Beitrag zu verteidigen, anmerken will, dass Musik einem helfen kann, man sie mit sich trägt und so die genaue Dauer der Zeit in diesem Fall verschwimmt.

Freundliche Grüße,
Travis Beamer
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Alt 04.11.2025, 16:43   #8
weiblich Ilka-Maria
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Ach herrjeh, was donnert auf Travis ein! Das ist ja wie ein Urgewitter. Ich hoffe, er kommt ohne Berührung mit der Elektrizität dieser Kritik gesund in seinem Oberstübchen an und findet sich darin noch zurecht (rein vorsorglich: das ist humorig gemeint).
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Alt 05.11.2025, 17:37   #9
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Hallo Travis,

das ist ein wirklich interessantes, gut geschriebenes Gedicht. Ich mochte Amy und ihre Musik.

Zu Reimen und Rhythmus ist ja schon viel gesagt worden, mir scheint nur,
eine Strophe lässt sich nicht so flüssig lesen:

Zitat:
In der gefühlten Einsamkeit verfiel sie
dem Kokain als üble Saat.
Es griff sogar nach ihrer Art,
zufrieden war sie bei Konzerten wohl nie..
Ich bekomme da keinen wirklichen Lesefluss hinein, aber das kann natürlich auch an mir liegen.

LG DieSilbermöwe
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.11.2025, 18:11   #10
männlich TravisBeamer
 
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Das ist schön, dass du es als interessant empfindest.
Die angesprochene Strophe ist tatsächlich etwas, über das ich länger nachgedacht habe, denn eigentlich ist man gewillt, es auf ''nie'' zu betonen, muss es aber auf ''wohl'' betonen. Das ist die Krux. Vielleicht fällt mir noch was besseres ein.

Freundliche Grüße,
Travis Beamer
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