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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken. |
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05.05.2013, 09:35 | #1 |
Gast
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Dann sterb´ ich eben.
Dann sterb´ ich eben.
©Hans Hartmut Karg 2013 Auf meiner Haut wuchs er ein langes Jahr: Ein Knoten, langsam, aber ohne Schmerzen. Es wurde mir doch bang. Mit grauem Haar Fasste ich Mut, denn das ging mir zu Herzen. So ging ich zu den Besten, an die Uni-Klinik Und wollte, dass man das „Ding“ operierte, Denn ich wollte niemals ein Krebsgeschick, Weil die Gesundheit ich stets anvisierte. So kam nach langem Warten ich zu einer Ärztefrau. Ich saß da, wartete und wartete – sie telefonierte Mit einem Arztfreund in der Charité, der sehr genau Ihr mitteilte, wie werbend andere man gut vorführte. In fünf Minuten teilte sie dann mit, Dass sie zu einem Eingriff raten würde. Das alles, ja, geht alles mit ´nem kleinen Schnitt Und eine Helferin stünde betäubend Pate. Als ich aus 80 Kilometern wieder kam, Um diesen Eingriff endlich vorzunehmen, Da sagte sie zu mir, nach ihrem Plan Wolle sie doch zuerst ´ne Probe nehmen. So wurde mir die Probe rasch entnommen, Das alles gegen meinen Willen als Privatpatient, Denn ich war eigentlich nur her gekommen, Damit man mich von diesem Knoten trennt. Nach einem Monat musste ich dann wieder kommen, Weil man angeblich viel zu wenig auswertbares Material. Aus dem Tumor wurde die zweite Probe nun entnommen. Ich kam also erneut – und hatte keine andere Wahl. Doch wuchsen mir nun plötzlich drei Tumore Und ich bekam endlich die Diagnose: Der Tumor machte auf der Haut bösartig Furore, Es war schon ´ne verrückte Chause. Die drei Tumore wurden operativ entfernt, Doch erst drei Monate nach meinem Erstbesuch. Da habe ich als Patient endlich gelernt, Was auch bei mir ein Vorschussbruch. Als dicker Mensch musste ich immer lange warten, Wenn ich nun zur Beratung vorgeladen. Erst nach drei Stunden konnte ich erwarten, Dass man mich abrief zu den Ärztepaten. Nun wuchsen mir plötzlich sechs weitere Geschwülste: Der erste Tumor hatte offenbar gestreut. Als ich das sagte, gab man mir aufs Kühlste Die Antwort, mit der man nur ruhestellt die alten Leut´: „Das gibt es nicht, dass dieser Tumor streut. Er ist begrenzt, die Lymphe ist in Ordnung.“ So kam ich zu CT und Ultraschall halt heut´ Und wollte für mich keine Überforderung. Man tastete die Lymphen ab und fand da nichts. Auch das CT zeigte nun nur sechs Hautregionen, Auf denen die Geschwülste wuchsen – und sonst nichts: Man musste die Nichtstreubarkeit betonen! Doch jetzt wollte man Knochenmark entnehmen, Und unter großen Schmerzen wurde es mir abgenommen In vier(!) Ampullen – ich musste mich wirklich schämen, Weil ich so laut geschrien und danach völlig benommen. Dann machte man ein MRT von meinem Arm, Der Riesenlärm war schlimm und unerträglich. Ach, dass der Herrgott sich doch nur erbarm´! Ich litt unter dem Krach ja ganz unsäglich! So wuchs in mir langsam die stille Wut: So große Stücke hatte ich auf dieses Haus gehalten. Nun nahm es mir den ganzen Lebensmut, Ich konnte nichts und nirgends mitgestalten. Noch immer ließ man mich für Audienzen lange warten: Erst wenn die Wartepoints ganz voll, begann man mit Beratung. Das ging dann schnell, denn vor dem Abend wollte man ja starten, Von den Patienten war kaum einer jemals recht jung. So nahm man nach August dann im Dezember Sechs weitere Tumore aus dem alten Leib. Und weiter ging der Operationskalender: Im März schnitt man drei Knoten aus dem malträtierten Leib. Die Rechnungen, sie waren immer detailliert und hoch. Nur wer jetzt gut versichert war, der konnte auch bezahlen. Das riss in das Gesundheitswesen ja ein Riesenloch: Als Bürger standen für mich an die nächsten Wahlen. Mindestens ein Dutzend Ärzte hatten mich nun untersucht, Nur zwei hatten mich schließlich operiert. Von Professoren, die recht gut verdient und recht betucht, Hatte mich keiner jemals angesehen, richtig visitiert. Als man erneut nach meinem Knochenmark verlangte Und ich den Eindruck, dass man scharf nur darauf war, Weil man moderne Gen-Blut-Diagnostik noch nicht kannte, Da weigerte ich mich und stand jetzt für mich auf: „Dann sterb´ ich eben, ich will jetzt nicht mehr, “ So sagte ich der Ärztin, die mich überzeugen wollte. Denn dieses, ja, mein Leben hatte es zu schwer, Weil man als Patient mir kaum Beachtung zollte. So lebte ich mit meinen Narben und Gebrechen, Und ich verweigerte die weitere Behandlung. Ich lebte meinem Ende hin mit dem Versprechen, Dass es hier gab für mich nur die Verschandelung. Die Apparate müssen laufen, sonst sind sie Verlust, Privatpatienten müssen möglichst oft erscheinen. Am Ende bleibt dem Menschen nur der Frust Und Augen, die in aller Stille mutlos weinen. |
05.05.2013, 22:12 | #2 |
Lieber DrKarg,
diese Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem wirken sehr autentisch und der bittere und tragische Wunsch, dann sterb ich eben, nur allzu verständlich. LG gummibaum |
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05.05.2013, 22:21 | #3 |
Hierzu: Ivan Illich: Die Nemesis der Medizin.
Ich lernte ihn kennen, als ihn schon ein Tumor im Gesicht zeichnete. Er lehnte jede ärztliche Behandlung ab. |
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06.05.2013, 07:56 | #4 |
abgemeldet
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Herr Dr. Karg, ich grüße Sie!
Als ich gestern dieses Gedicht zum ersten Mal las, war ich sehr betroffen und dachte mir, wie schrecklich es wäre, wenn der Schreiber mit dem Lyrischen Ich identisch wäre. Es steht mir nicht zu danach zu fragen. Und Ihr Gedicht wirft genau diese Frage auf und baut in mir genau die Hilflosigkeit auf, die ich immer empfinde, wenn mir jemand von einer unheilbaren Krankheit oder sogar dem Tod erzählt. Die Hilflosigkeit, die als ersten Impuls Sprachlosigkeit hervorruft und als nächsten dann oft ein Weggehen, weil ich nichts zu sagen habe im Angesicht des Schrecklichen. Ich finde es entsetzlich, wie ausgeblendet das Thema "Tod" in unserer Gesellschaft ist. Wie die, die sterben allein gelassen werden, zu oft. Ich wünsche Ihnen, daß nicht Sie es sind, über den sie hier schreiben und wenn doch, daß Sie gehalten werden von liebevollen Menschen und das bekommen, was Sie im Innersten wünschen. Herzlich WEISSschwarz |
06.05.2013, 08:42 | #5 |
Dabei seit: 07/2006
Ort: Mauritius, stella clavisque maris indici
Beiträge: 4.887
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Lieber Dr. Karg,
ein interessantes Thema, daß Sie hier wieder mal tabulos angehen. Der Tod gehört ja bekanntlich zum Leben, warum also nicht darüber schreiben, sterben müssen wir schliesslich alle mal. Das klingt jetzt möglicherweise etwas salopp, ist aber keineswegs so gemeint. Ich habe grossen Respekt vor dem Inhalt ihres Textes, dem unendlichen Leid und dem letztendlich herbeigesehnten Tod. Es ist Ihnen mal wieder gelungen, einen sehr persönlichen Inhalt ohne falsches Pathos, ohne Theatralik, so daß Ihr Gedicht für jeden Leser - eigentlich - nachvollziehbar sein sollte. Ich mußte bei Ihrem Text an "Die Frauen von Nidden" denken, mit dem eindringlichen Schlußvers: "Schlage uns still ins Leichentuch, Du unser Segen, einst unser Fluch." Ja, diese Thematik haben Sie berührt, auf eine Art die ich mir besser nicht vorstellen kann. Herzliche Grüße Ihr Fan Girl Corazon De Piedra |
06.05.2013, 11:59 | #6 |
@ Ilka-Maria und Nitribitto
Ich glaub, ich steh im Wald. Sagt mal, wenn Ihr Euch im Krankenhaus trefft: Schreit Ihr Euch dann auch über das Bett eines Schwerkranken hinweg an? @ Dr.Karg Die Zeiten, als man in der Medizin als fühlender Mensch behandelt wurde, sind wohl vorbei. Die Art, wie mit Dir umgesprungen wurde, ist unverzeihlich. Ich selbst hab übrigens als Kassenpatientin die gegenteilige Erfahrung gemacht: Vor drei Monaten suchte ich verzweifelt nach einem Termin bei einem Facharzt. Den frühesten bekam ich sechs Wochen später. Da half kein jammern, klagen und bitten - früher nicht möglich. Bis mein Hausarzt eingriff und den Termin für mich machte: Da ging es plötzlich innerhalb von zwei Tagen. Sicher gibt es auch andere Ärzte - aber die sind nicht leicht zu finden. Und in einem gebe ich Dir uneingeschränkt Recht: Es gibt schlimmeres als den Tod. LG Persephone |
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07.05.2013, 09:30 | #7 |
Gast
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Re: Dann sterb´ ich eben.
Liebe Dichterinnen und liebe Dichter,
das Gedicht geht natürlich von der Erfahrungsbetroffenheit meiner Person aus. Wie es mit mir weitergeht, das weiß ich nicht. Aber dahinter steht die Erfahrung mit dem Moloch Universitätsklinik, in dem man als Einzelmensch verschwinden muss. Die persönliche Erfahrung im System kann einem den Lebensmut rauben..... Herzliche Grüße R. R. Karg |
07.05.2013, 18:06 | #8 |
abgemeldet
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Lieber Herr Dr. Karg,
was da geschehen ist, ist himmelschreiend! Ich wünsche Ihnen Kraft auf dem weiteren Weg mit der Krankheit zu gehen. Kraft und Hilfe. Sie sitzen hier an einer unschätzbaren Quelle, dem Internet! Suchen Sie, googeln Sie, machen Sie sich auf Ihren ur-eigenen Weg der Heilung! Auch die Krebsberatungsstellen sind hilfreiche Begleiter in dieser Zeit! http://www.krebsinformationsdienst.d...ngsstellen.php Ich wünsche Ihnen, daß Sie Ihren Weg finden, daß Sie heil werden können! Herzlich WEISSschwarz Geändert von Ex WEISSschwarz (07.05.2013 um 21:12 Uhr) |
08.05.2013, 08:10 | #9 |
Gast
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Re: Dann sterb´ ich eben.
Lieber WEISSschwarz,
danke für die liebenswürdige Anteilnahme - und für die guten Tipps! Herzliche Grüße R. R. Karg |
08.05.2013, 09:43 | #10 |
abgemeldet
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Lieber Dr.Karg,
mir gehen deine Zeilen sehr zum Herzen. Ich wünsche Dir Kraft und Mut! Unsere Zeit ist in Gottes Händen. Dort wo die Menschen machtlos sind, kann Gott Wunder vollbringen, wenn es Sein Wille ist. Ich wünsche Dir vom Herzen alles Gute und freue mich auf Deine neue Gedichte. Liebe Grüße Tanja |
08.05.2013, 09:58 | #11 | |
Hallo DrKarg,
von der Seele zu schreiben ist in der Lyrik kein Tabu, sondern ein Muss - das hat alle großen Dichter ausgezeichnet. Was aber nicht heißt, dass ich dich zu den "Großen" zähle - viel wichtiger ist es Größe zu zeigen. Es ist also vollkommen legitim, wenn Du hier deine Geschichte erzählst. Gedichte, die sich durch gefühlte Leidenschaft auszeichnen, sind fast immer auch authentische Geschichten. Handwerklich betrachtet ist dein Gedicht bestenfalls Durchschnitt, aber wenn man genauer hinsieht, finden sich wunderbare Passagen, wie z.B. Zitat:
Gedichte zur/über die Bürokratie zwingen einem die "technische" Sprache förmlich auf. Da bleibt wenig Freiraum für die Poesie. Dir persönlich wünsche ich, dass Du die Hilfe bekommst ,die Du dir wünschst und die Du auch brauchst. Viele Grüße, A.D. |
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10.05.2013, 04:38 | #12 |
Gast
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Re: Dann sterb´ ich eben.
Liebe AndereDimension,
danke für die schönen Komplimente und für die kritische Begleitung meines Gedichtes. Ich möchte nicht als groß erscheinen, jedoch der Wahrheit meiner eigenen Identität verpflichtet bleiben. Ich hoffe, mir kann geholfen werden.... Herzliche Grüße R. R. Karg |
10.05.2013, 19:56 | #13 |
Deine Zeilen Tanja Wagner gingen mir zu Herzen.
Lieber Doc, ich wünsche Dir Hoffnung, die in aller Stille Kraft schenkt. Was Du durchmachst - trifft mich sehr... Alles Liebe Dir |
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11.05.2013, 07:48 | #14 |
Gast
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Re: Dann sterb´ ich eben.
Liebe marlenja,
für die guten Wünsche danke ich, weil ich sie sehr gebrauchen kann! Ein Einzelschicksal, das sich mitteilen kann, ist wenigstens in der Lage, sich zu offenbaren und Erlebtes erfahrbar zu gestalten. Wie viele andere Einzelschicksale gibt es jedoch, die nur vermuten, was ihnen angetan wird/wurde, und die doch nicht in der Lage sind, dies auszudrücken.... Herzliche Grüße R. R. Karg |
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