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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken. |
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02.11.2022, 08:24 | #1 |
Forumsleitung
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Der Hexenanwalt (annno 1625)
Ich bin müde, furchtbar müde,
habe mich um viele Stunden in der Diskutanten Runden und zu Katharinas Güte mich bemüht, sie der Verbrechen, deren man sie angeklagt, hochnotpeinlich zwangsbefragt, heissen Atems freizusprechen. Doch mein Wort gilt keinen Heller. Brennt die Hexe! schreit die Meute und hat daran ihre Freude, wie die Richter aus dem Keller Kathrin auf den Marktplatz führen, sie an einen Pfosten binden, und wie ihr Sinne schwinden, als die Schergen Holzglut schüren. Hilflos stehe ich dabei. Eng umringt von jenen Ligen zwischen Stadt- und Land-Intrigen, hör ich Katharinas Schrei, als die Flammen sie umgarnen und den schönen Leib umarmen. Doch ich muss die Zunge hüten, will nicht selbst im Feuer brüten. In dem Spiel um Macht und Pfründen hatten wir die schwächsten Karten, keinen Zutritt mehr zum Garten voller Früchte, frei von Sünden. Denn dein Schicksal war beschlossen und längst in die Form gegossen: Brennt die Hexe! Lasst sie brennen und den Buhl beim Namen nennen! 02.11.2022 |
02.11.2022, 11:27 | #2 |
Hi Ilka,
das ist großartig. Gefällt mir sehr gut ! Die Perspektive eines Hexenanwalts ist hier sehr elegant versprachlicht, ohne den Tiefgang zu verlieren. Die historischen Ausdrücke machen das Gedicht glaubhaft. Die Reime sind geschmeidig und der Fluß wunderbar harmonisch. Die Pointe ist durch den Text hergeleitet und großartig auf den Punkt gebracht ! Schon die Einleitung packt dich ganz: "Ich bin müde, furchtbar müde" mes compliments Dionysos |
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02.11.2022, 23:23 | #3 |
Gefällt mir! Zwei Anmerkungen:
...habe mich um viel Stunden in der Diskutanten Runden... Ein kleines "e" könnte man an die "viel" Stunden anhängen, das wäre im Sinne des Sprachrhythmus... In dem Spiel um Macht und Pfründen hatten wir die schwächsten Karten, keinen Zutritt mehr zum Garten voller Früchte, frei von Sünden. Das klingt recht rätselhaft: Was für ein Garten soll das sein, "frei von Sünden"? Gruß Ottilie |
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03.11.2022, 00:24 | #4 | |
Zitat:
Zudem denke ich, das "diskutanten" klein geschrieben wird, da der Artikel sich auf "Runden" bezieht und "diskutanten" hier als Adjektiv genutzt wird. Anstatt "diskutanten" hätte ich auch desformanten oder nonformanten als Adjektiv sehr interessant gefunden, wobei das eher interpretationsbedingt abhängig ist und vielleicht als zuviel assoziative erscheint. Mir kam der Gedanke, da in deinem Text von "Diskussion" die Rede ist, im damaligen Zeitbezug nützte aber keine Diskussion. Die Menschen waren auf der Grundlage von "desinformation" und Aberglaube und Missgunst blind für Logik. LG Mono |
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03.11.2022, 00:44 | #5 | ||
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Zitat:
stimmt natürlich, das ist vertippt gewesen und jetzt korrigiert. Zitat:
Danke für deinen Beitrag. LG Ilka |
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03.11.2022, 00:58 | #6 | ||||
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Zitat:
Zitat:
Ich habe darüber andere Informationen. Natürlich wurde im 17. Jahrhundert - und auch davor - verhandelt und diskutiert, und oft verbrachten die Beschuldigten lange Zeit im Kerker, Turm usw. Das war schon deshalb der Fall, weil die Vertreter der Kirche Anklagen wegen Hexerei besonders sorgfältig geprüft hatten und nicht so schnell im Verurteilen waren wie die weltliche Justiz. Giordano Bruno, wegen Ketzerei verurteilt, verbrachte sogar viele Jahre im Kerker, ehe das Urteil im Jahr 1600 vollstreckt wurde. Ich muss auch widersprechen, dass jede Anklage zwangsläufig tödlich endete. Immerhin hatte es Johannes Kepler geschafft, seine Mutter erfolgreich zu verteidigen und vor dem Scheiterhaufen zu bewahren. Der Pater Friedrich Spee ist dadurch bekannt geworden, dass er für die beklagten Frauen eintrat und durchaus mit logischen Argumenten versuchte, gegen den Aberglauben seiner Zeit anzukämpfen. Er diente meinem Gedicht als Vorbild. Zitat:
Zitat:
Besten Gruß Ilka |
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03.11.2022, 21:25 | #7 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.877
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Liebe Ilka-Maria,
ein großartiges Gedicht! Eine Frage bleibt: Wurden Hexen auf dem "Schafott" verbrannt? Ich meine, hier wäre "Scheiterhaufen" als Beschreibung der Hinrichtungsstätte angebrachter. Aufs Schafott kamen diejenigen, die enthauptet wurden. Liebe Grüße, Heinz |
03.11.2022, 23:02 | #8 | |
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Zitat:
das ist richtig, aber das Wort "Scheiterhaufen" ist für meinen Vers zu lang. Das ist aber nur ein Grund dafür, dass ich einen Kompromiss gemacht habe. Es gibt noch zwei weitere Gründe, die mir die Mogelei gerechtfertigt erscheinen lassen: Grund eins: Ursprünglich bedeutete Schafott (früher auch "Schaffot" oder wahlweise "Schavot" geschrieben) ein Podest aus Holz, das als Schaugerüst für Verbrecher, aber auch als Bühne für Marktschreier diente. Erst später wurde daraus das Blutgerüst, auf dem man Menschen enthauptete. Laut dem Grimmschen Wörterbuch der deutschen Sprache gibt es den Begriff "schaffot" aber auch in der Nautik, dort bezeichnet er den am Vorderrand des Quarterdecks oder der Schanze eines Schiffes, wo sich an beiden Seiten die Treppen befinden, die in die Kuhl (ungedeckter Teil des obersten Decks) hinabführen. Grund zwei: Nicht alle Verurteilten waren zum Erleiden des Feuertods bei lebendigem Leib verdammt. Oft gewährte man ihnen die Gnade des vorherigen Erwürgens, das heißt, man brauchte eine Kombination aus Galgengerüst und Scheiterhaufen, der dann so hoch war, dass der Scharfrichter eine Leiter an den Mast stellen musste, an den der oder die Verteilte gebunden war. So beschreibt z.B. Wolfgang Lohmeyer in seinem Roman "Die Hexe" die Hinrichtung der historisch verbürgten Katharina Henot, nach der in Köln eine Straße und eine Schule benannt sind und von deren Schicksal mein Gedicht inspiriert ist. Aber auch für sich allein konnte ein Scheiterhaufen ziemlich hoch sein. Ich füge mal zwei Bilder bei, wie Künstler das gesehen und festgehalten haben. Besten Gruß Ilka |
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05.11.2022, 14:50 | #9 |
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Ich habe die fragliche Strophe jetzt doch überarbeitet, weil sie mir - außer dem "Schafott" - an einer anderen Stelle nicht recht gefallen hat.
Wer das Gedicht und die Kommentare jetzt erst liest, bitte nicht verwirren lassen, dass darin kein Schafott mehr vorkommt. Ansonsten hat sich inhaltlich nichts verändert, es gab lediglich eine kleinere formale Anpassung. |
05.11.2022, 19:29 | #10 |
Hallo Ilka-Maria,
sehr schöne Zeilen. Ich musste gleich an den Tatsachenroman von Manfred Böckl ‚Die Hexe soll brennen‘ denken, der sehr detailliert den Hexenprozess gegen die 12-jährige Katharina Grueber beschreibt. Beste Grüße Manni |
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05.11.2022, 19:55 | #11 | |
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Zitat:
Ich konnte in meinen jüngeren Jahren gewappnet mit solchen Themen umgehen. Mittlerweile bin ich dünnhäutig geworden. Es ist schwierig, die Zeit aus der Perspektive der Menschen des 17. Jahrhunderts zu verstehen, die unser Wissen noch nicht hatten und glaubten, es gäbe Geister, Dämonen, Hexen, Zauberer und den Teufel. Für sie waren das keine Sagen- und Märchenfiguren oder Allegorien aus religiösen Schriften. Ein Buch wie der "Hexenhammer" war für die Richter und Schöffen eine wissenschaftlich fundierte Anleitung, Hexen und Zauberer zu entlarven. Wir haben heute leicht Kopfschütteln, hineingeboren in eine Zeit, in der man die Ursachen von Seuchen kennt, alles über Tornados weiß, Menschen auf den Mond geschickt hat und nukleare Waffen bauen kann. Wir können und dürfen die Menschen von damals wegen ihres Aberglaubens nicht verurteilen, aber wir sollten eine Lehre daraus ziehen: Wir dürfen uns keine Angst einjagen lassen, die uns willfährig machen soll. |
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05.11.2022, 20:42 | #12 |
Ja, es ist allzu leicht, die Menschen von damals einfach abzuurteilen; als grundlos dumm darzustellen und dergleichen. Ein sehr gutes Beispiel sind ja die Hexenverfolgungen. Es war ein Prozess, der sich über viele Jahrhunderte erstreckte hatte. Und dann kam der Hexenhammer. Davor war es noch recht kompliziert, eine Hexe als solche zu überführen oder sogar hinzurichten. Oftmals wurden die Denunzianten selber überführt, weil sie nicht wirklich Beweise vorlegen konnten vor einem weltlichen Gericht. Aber dann stand es ja alles Schwarz auf Weiß geschrieben, versehen mit einer Päpstlichen Bulle. Ich habe das Buch in meinem Regal stehen. Gleichzeitig abscheulich und faszinierend. Doch was einen immer wieder zur Hoffnung antreiben sollte, sind eben Menschen wie Friedrich Spee. Neben allem Aberglauben gibt es auch immer wieder Vernunft.
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05.11.2022, 21:37 | #13 |
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Ach Manni, ich bin heilfroh, im heutigen Zeitalter geboren und aufgewachsen zu sein. Davon, dass die Rechte der Frauen eingeschränkt waren, bekam ich gar nichts mit, weil ich Eltern hatte, die darauf keine Rücksicht nehmen konnten, gleichberechtigt lebten und mich wie eine Prinzessin großzogen, obwohl wir der Arbeiterschicht angehörten.
Ich war ein völlig freies Mädchen, und alles, was Frauen in der Geschichte widerfuhr und was sie zu meiner Zeit rechtlich nicht hatten, wusste ich nicht. Das lernte ich mit Staunen erst später kennen. Vielleicht war es mein Glück, dass ich es nicht wusste. Denn das machte mich wehrhaft. Ich war meine Freiheit gewohnt, und wo immer und wann immer versucht wurde, mich an die Kette zu legen, bin ich geflüchtet. Aus meiner Ehe, aus Liebschaften, aus einigen Jobs ... Zickig, aufmüpfig, unbeugsam, nicht zu zügeln, störrisch, eigensinnig, aufbegehrend, eitel und hochmütig ... Ich wäre eine optimale Kandidatin für den Scheiterhaufen gewesen. |
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