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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 08.07.2022, 12:43   #1
männlich Nöck
 
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Standard Schneewittchen macht ernst

Schneewittchen starrt wütend nach unsteter Nacht
auf sieben verwilderte Zwerge.
Sie haben erneut in die Betten gemacht,
ihr stehen die Haare zu Berge.
Sie haben gesoffen und kotzten sich voll,
Schneewittchen ist sauer und platzt schier vor Groll,
ihr Leben ist ganz schön beschissen.

Sie kocht einen Eintopf aus Eisenhutkraut
und lässt alle Zwerge probieren.
Kaum haben die Sieben ein wenig gekaut,
beginnen sie röchelnd zu stieren.
Nach bangen Minuten ist alles vorbei,
Schneewittchen ist happy dank tödlichem Brei,
jetzt kann sie sich endlich verpissen.

Sie rafft das Geschmeide, die Zwerge sind reich,
und wendet sich hastig nach Norden.
Da schaut sie nach hinten, erschrickt und wird bleich,
es ist nicht so einfach, zu morden.
Die Zwerge, sie leben und nähern sich schnell,
verschleppen Schneewittchen ins nächste Bordell,
und ganz ohne schlechtes Gewissen.

Schneewittchen muss büßen, der Freier sind viel,
jetzt würd sie den Apfel gern essen.
Wer kommt und beendet das grausame Spiel,
der Prinz hat sie längst schon vergessen.
Da ruft sie ein Unhold zu sich in das Bett,
mit warziger Nase und wabblig wie Mett,
Schneewittchen sinkt bleich in die Kissen.

Doch da schellt der Wecker, Schneewittchen erwacht,
schon schreien die Zwerge nach Futter.
Jetzt ist in der Holden ein Zweifel erwacht,
sie hadert „Bin ich ihre Mutter?“
Sie kocht einen Eintopf aus Eisenhutkraut,
es wurde auch Zeit, dass sie sich mal traut,
sich endlich zu emanzipieren.


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Alt 08.07.2022, 12:51   #2
männlich Heinz
 
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Lieber Nöck,
köstlich! Allein der Gedanke, dass sich die Brüder Grimm vor Lachen die Schenkel zerklopfen, lässt die Hoffnung keimen, dass Du noch bei mehreren ihrer Märchen die wahren Hintergründe aufdeckst.
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 09.07.2022, 11:56   #3
männlich Nöck
 
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Lieber Heinz,

ich werde mein Bestes tun, um dich nicht zu enttäuschen.

Danke und einen lieben Gruß
Nöck
Nöck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.07.2022, 16:47   #4
männlich Anaximandala
 
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Ich finds cool, ein bisschen Märchen: Hinter den Kulissen.
Ich glaub im Original sollen die alten Märchen ja auch teils heftige Geschichten gewesen sein.

Bestimmt gibt es üble Geschichten hinter der perlweißen Märchenfassade


Im Knusperhaus im tiefsten Wald,
Der Jäger grad die Hexe knallt,
Lieber als Schnewittchen jagen,
Wollt er's bei der Alten wagen,
Ihre Zuckerstange schlecken,
In ihr seine Wurst verstecken,
Märchenhaft sieht anders aus,
Nem Porno gleicht's im Knusperhaus.

Der Edle Prinz auf seinem Ross,
Als er erreicht das Dornenschloss,
Fand hinter Mauern das Dornrös'chen,
Wie's sich spielte an ihr'm Mös'chen.
Sie hat vom Schlaf die Nase voll,
Und ist dafür ganz liebestoll,
Nach 100 Jahren tiefem Schlaf,
Ist selbst im Märchen niemand brav.

Viele Grüße
Anaximandala ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.08.2022, 07:14   #5
männlich Nöck
 
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Hei Anaximandala,

früher ging es sicher deftiger zu als heute, ob so, wie in deinem Antwortgedicht, vermag niemand zu sagen.

LG Nöck
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Alt 14.08.2022, 18:54   #6
weiblich Schreibfan
 
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Großartig, Noeck. Hat mich zu einem Gedicht über Dornröschen inspiriert. Wird auch gleich gepostet.
Ich mag den dunklen Sarkasmus in deinem Gedicht. Hätten die Zwerge halt mal auf Selbstversorger umgestellt
Schreibfan ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.08.2022, 00:27   #7
Ex-Pennywise
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Beiträge: 599

Hey Nöck,

ich hab mich wirklich weggeschmissen. Ich finde das richtig gut. So locker geschrieben und dennoch hältst Du sehr gut die Form und die Metrik.
Wie zur Hölle kommt man auf diese Geschichte? Einmalig.
Mach auf jeden Fall mit anderen Märchen weiter. Ich bin wieder dabei.

Gruß

Pennywise
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Alt 16.08.2022, 07:23   #8
männlich Nöck
 
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Hei Schreibfan,

Zitat:
Zitat von Schreibfan
Hätten die Zwerge halt mal auf Selbstversorger umgestellt
so sind die Männer eben, ob klein oder groß. Dornröschen werde ich mir gleich anschauen.

LG Nöck


Hei Pennywise,

Zitat:
Zitat von Pennywise
Wie zur Hölle kommt man auf diese Geschichte?
plötzlich hat man eine Eingebung und dann sprudelt es fast von ganz alleine.

Zitat:
Zitat von Pennywise
Mach auf jeden Fall mit anderen Märchen weiter
Mal schauen.

LG Nöck
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Alt 16.08.2022, 21:57   #9
weiblich Schreibfan
 
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Ist das eigentlich eine bestimmte Gedichtform, Noeck? Das Reimschema gefällt mir nämlich gut

LG Schreibfan
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Alt 16.08.2022, 22:54   #10
männlich MonoTon
 
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Ich würde auf Ballade oder Königsgesang/Chaucerstrophen tippen, durch die Septinen.

Dann dachte ich an einen Endecasilabo wegen den Elf Silben zu beginn. Aber das Muster hielt sich nicht ein.
Also gehe ich davon aus, dass das Reimschema ababccd vielleicht irreführen möchte und es sich einfach um einen Kreuzreim mit angehängten Terzetten handelt?
Das Reimschema hat den Charakter einer Sonette wobei der letzte Reim offen bleibt.

Ich mag es Formen zu bestimmen, aber hier bin ich etwas ratlos.

Auf Jedenfall passen Form und Inhalt sehr gut zusammen und während ich das Schreibe kommt mir noch die Lutherstrophe in den Sinn, auf die das Reimschema noch zutreffen würde. Wobei der Inhalt mehr den Charakter eines Limericks hat und parodierend wirkt. Alles in allem, es ist lustig.

Lg Mono
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Alt 17.08.2022, 04:23   #11
männlich Heinz
 
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Im Knusperhaus im tiefsten Wald,
Der Jäger grad die Hexe knallt,
Lieber als Schnewittchen jagen,
Wollt er's bei der Alten wagen,
Ihre Zuckerstange schlecken,
In ihr seine Wurst verstecken,
Märchenhaft sieht anders aus,
Nem Porno gleicht's im Knusperhaus.


Bei einer leichten Verschiebung der Verse und der Erhöhung der Taktzahl sowie der Berichtigung der Schreibweise bei Schneewittchen könnte man die versteckte Genialität Nöcks feststellen:

Im Knusperhaus im dunkeln tiefsten Wald
da wollte er ganz geil Schneewittchen jagen.
so en passant hat er die Hexe noch geknallt,
das wollt der Jäger immer schon mal wagen.
Der Schrei der Hexe durch die Bäume hallt,
als gings bei ihr, der Hex, um Kopf und Kragen.
Im Grimmschen Märchen sieht das anders aus:
Dem schärfsten Porno gleichts im Knusperhaus.

Eindeutig handelt es sich hier um edle Stanzen, die uns beim Lesen freudetaumelnd den mörderischen Inhalt vergessen lassen. Stanzen =
fünfhebige Jamben mit männlichen und weiblichen Kadenzen, Reimschema:
abababcc

Liebe Grüße,
Heinz

Geändert von Heinz (17.08.2022 um 06:10 Uhr)
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Alt 17.08.2022, 08:54   #12
männlich Nöck
 
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Zitat:
Zitat von Schreibfan
Ist das eigentlich eine bestimmte Gedichtform
Ja, es ist eine Ballade. Schau dir mal Goethes "Totentanz" an.


Zitat:
Zitat von MonoTon
Auf Jedenfall passen Form und Inhalt sehr gut zusammen
Dank sei Johann Wolfgang von Goethe, sein Totentanz hat mich schon als Kind fasziniert.


Zitat:
Zitat von Heinz
Bei einer leichten Verschiebung der Verse und der Erhöhung der Taktzahl sowie der Berichtigung der Schreibweise bei Schneewittchen könnte man die versteckte Genialität Nöcks feststellen
Goethe war genial, ich habe mich lediglich an seinen Rockzipfel gehängt.


Schön, dass euch dieses Reimschema angezogen hat, ich habe mehrere Gedichte danach geschrieben.

LG Nöck
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Alt 17.08.2022, 09:54   #13
weiblich Schreibfan
 
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Das es eine Ballade ist, ist mir klar. Das ist die Gattung. Mich interessiert die Form, also das Reimschema etc. Ist das eine feste Form?
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Alt 17.08.2022, 11:46   #14
männlich Nöck
 
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Zitat:
Zitat von Schreibfan
Ist das eine feste Form?
Goethe dichtete je Strophe in sieben Verszeilen ababcc mit einem unabhängigen siebten Vers. Bei ihm sind es durchgehend vierhebige Daktylen, ob mir das auch gelungen ist, habe ich nicht geprüft.

Und ob das eine feste Form ist, weiß ich leider nicht.
Nöck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.08.2022, 13:50   #15
männlich MonoTon
 
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Ich hab das Gedicht von Goethe, der Totentanz, auf deinen Hinweis hin jetzt ein Mal angeschaut und gleich zu Beginn fiel mir etwas auf.
Die erste Zeile der ersten Strophe beginnt mit einer metrischen Auslassung, wenn es denn ein 4 hebiger Daktylus sein soll, die sich so im Gesamttext nicht wiederholt. Was für mich auf einen Ausfallschritt hinweist. Eine Besonderheit die den Blick umlenkt in diesem Danse Macabre.
xXxxXxXxxX


Dieser "Ausfallschritt" legt das Augenmerk besonders auf den Türmer und auf die mittlere 4. Strophe in der er diesen Türmer, als schnell türmend darstellt und sein flüchten näher in den Vordergrund stellt.


Insofern man die 7. Zeile unabhängig auslegen soll würde ich auf ein Schweifreim-artiges Reimschema tippen, (ababcc-d) ist nur die Frage, ist die 7.Zeile ein wichtiger Zusatz, oder ein hinkender Fuß der wie das 5. Rad am Wagen steht? Was trägt sie bei außer einer gewissen Loslösung? Die Antwort ist simpel, sie dient der Zuspitzung. Das i-tüpfelchen das sagt, wenn ich schon das fünfte Rad am Wagen bin, will ich auch die Pointe tragen, egal ob die eigentlich in der letzten Strophe sein sollte.
Die Gefahr dabei ist nur oft, das man damit dem Ende die Pointe nimmt, da man alles schon vorher verpulvert hat und sich zur Klimax hin kaum steigern kann.
Das ist hier aber in Nöcks Gedicht nicht der Fall, seine Pointen sind gut gesetzt und gleichbleibend lustig. Zudem waren die 7. Zeilen in jeder Strophe nötig um die länge des Textes nebensächlich und kurzweilig erscheinen zu lassen.

Lg Mono
MonoTon ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.08.2022, 06:12   #16
männlich Nöck
 
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Hei MonoTon,

deine Interpretation des 7. Verses hat was, Goethe wusste das allerdings schon immer. Diese Zeile ist bestens dazu geeignet, jede Strophe pointiert zu verstärken.

LG Nöck
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