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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 16.06.2022, 21:19   #1
männlich Flocke
 
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Standard Der Klang

Der Klang

Es fällt mir schwer, das rechte Wort zu finden!
Ich suche, doch die Blumen tragen blau.
Ich will kein Bild mit Zwang in Reimform binden.
Doch manchmal bleibt ein Satz und passt genau!

In solch Momenten, die – wenn sie gelingen -
dir sagen, „schön, dass sich dein Herz bewegt!“,
hör ich mit Glück den einen Ton nachklingen,
der mich berührt und mit mir geht, der lebt.

Was wächst in mir? Was will mir nahe sein?
Was stimmt mich hoffnungsvoll, dass ich jetzt sage,
„Ich kann dem trauen, was ich in mir trage!“

Noch ist es nur ein Pochen wie auf Stein.
Der Klang, der Träumen Kraft gibt, kommt zu Tage.
Er schenkt mir Mut, dass ich mehr Leben wage!



© Flocke
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Alt 16.06.2022, 21:28   #2
weiblich Ilka-Maria
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Beiträge: 31.103

Hut ab!

Ich würde gerne mehr dazu sagen, aber mir bleibt bei so viel Meisterklasse die Spucke weg.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.06.2022, 20:19   #3
männlich Ex-petrucci
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Oh, lieber Flocke! Wie schön.
Ich freue mich, wenn jemand in der Lage dazu ist, Lyrik zu atmen.
Ganz toll. :-)
Ex-petrucci ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.06.2022, 20:36   #4
männlich Epilog
 
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Standard Lieber Flocke

... ich kann mich den vorangegangenen Kommentaren nur anschließen.

Um es vielleicht noch ein wenig zu präzisieren, noch zwei Anmerkungen dazu:

1. Es ist besonders schön, dass Du die wortwörtliche Identität des Sonetts als "Klanggedicht" hier selbst zum Thema machst und durch wunderbar klingende Reime und Assonanzen untermalst.

2. Die Unterart mit den 4:2 verteilten Versendungen in den Terzetten (hier im Schema cdd cdd) werde ich fortan als "Flocke-Sonett" titulieren, da Du sie mindestens schon zum zweiten Mal hier einstellst - eine andere Bezeichnung ist mir zumindest nicht bekannt.

Ansonsten hat bei allen Kommentaren wohl Dein erster Vers seine Berechtigung: "Es fällt mir schwer, das rechte Wort zu finden"

Einen schönen Abend wünscht

Epilog
Epilog ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.06.2022, 21:04   #5
männlich dunkler Traum
 
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... die Neugier trieb mich, dies zu lesen, ein Gedicht "Der Klang". Sehr gelungen, ansprechend, überraschend - ich hatte etwas anderes erwartet und zieh gern meinen Hut.

wünsche schöne Träume und das Wagnis Leben
dunkler Traum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.06.2022, 12:26   #6
männlich Flocke
 
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Beiträge: 177

Erst mal danke ich euch Ilka-Maria, petrucci, Epilog und dunkler Traum für euer aufbauendes Feedback!
Es hat mich verlegen gemacht, aber auch erleichtert. Ich wollte immer mal ein wirklich gutes Gedicht schreiben. Einige Indizien sprechen ja dafür, dass es mir in diesem Fall gelungen ist. Es ist, als ob mir jemand aus dem Off auf die Schulter geklopft hätte: "Gut gemacht!" Und ich kann frei durchatmen.

Hi Ilka-Maria,
du trägst also Hut! Gut zu wissen. Ich bin mir sicher, dass dir selten im täglichen Leben die Worte fehlen.

Hi petrucci,
"Lyrik atmen" - ein schönes Bild. Wie du weißt, dauert eine solche Gestimmtheit leider oft nur Momente. Aber manchmal – daran arbeiten wir ja alle - können solche Augenblicke, eingefangen werden.

Hi Epilog,
tatsächlich hatte ich ein kleines Aha-Erlebnis, als ich in deinem Beitrag las.
Ich habe zu keinem Zeitpunkt meiner Arbeit bewusst daran gedacht, dass ich über den Klang in einem "Klanggedicht" geschrieben habe. Das passt!

Hi dunkler Traum,
kann ein dunkler Traum "schöne Träume" haben? Kann er auch selbst ein schöner Traum sein, der das Wagnis aufnehmen will, lebendig zu werden?


____________________________________________

Wenn ich noch Zeit finde, werde ich erzählen, wie ich an dem Gedicht erst monatelang rumwerkelte, ohne ein befriedigendes Ergebnis zu erhalten. Und wie ich dann aus einer letzten ungenauen Vorstufe, die mich höchst unzufrieden machte, in kurzer Zeit das vorliegende Sonett entwerfen konnte.


Liebe Grüße Flocke
Flocke ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.06.2022, 00:58   #7
männlich Flocke
 
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Dabei seit: 12/2016
Ort: NRW
Beiträge: 177

Zur Genese des Sonetts "Der Klang"


Wenn ich ein Gedicht schreiben möchte, dann habe ich meist einen ersten Entwurf schnell geschrieben. Viel mehr Zeit verbringe ich damit, den Text zu überprüfen und zu verbessern. Das kann über Monate gehen. Bei dem Gedicht „Der Klang“ schaute ich sogar über Jahre hinweg immer mal wieder auf den letzten Entwurf und änderte einige Begriff, oder Zeilen, oder setzte neue Ideen ein, verwarf sie, fing an anderer Stelle wieder an …., änderte die Strophenreihenfolge; ich zog mein ganzes Register, hoffend, dass es mir irgendwann beim Herumprobieren, „stimmig“ erscheinen würde.
Nur: das Sonett „Der Klang“ wurde nicht fertig. Ich resignierte, weil ich immer nur in meinen Anläufen bestenfalls ein Na-ja-es-geht-so-Niveau erreichte..
Ich ließ es lange liegen.

Vor ca. 3 Wochen schrieb ich an einem Abend an einer völlig anderen Geschichte, die in der Psychiatrie spielte. Müde geworden wollte ich ins Bett. Die fast fertige Psychiatriegeschichte wollte ich am nächsten Tag posten.
Nun, bevor ich den PC ausschaltete, schaute ich auf die Liste meiner Gedichte. Das tat ich öfters. Irgendwas in mir lockte mich, das Gedicht „Der Klang“ auf den Schirm zu holen. Ich hatte es über ein Jahr lang nicht mehr in den Händen gehalten.
Es gefiel mir überhaupt nicht, ich spürte sogar heftigen Widerwillen, es anzuschauen.
Den Text dieser letzten Vorstufe des Gedichtes, das ich in diesem Thread dann veröffentliche, findet ihr direkt in der übernächsten Zeile:
Der endgültige, der richtige und gute Text steht natürlich am Anfang dieses Threads.


Der Klang

Z 1; Es ist nicht leicht, das rechte Wort zu finden!
Z 2: Ich suche, doch die Blumen tragen blau.
Z 3: Ich will kein Bild in Reimform zwanghaft binden.
Z 4: Doch manchmal fällt ein Satz, er ist genau!

Z 5: Das sind Momente, die – wenn sie gelingen -
Z 6: dir sagen, schön, dass es dein Herz bewegt.
Z 7: Mit Glück hörst du den einen Ton nachklingen,
Z 8: der dich berührt und in dir überlebt.

Z 9:“Was wächst in mir und lässt mich weitergehen?
Z 10: Was schenkt mir Mut, dass ich mit Hoffnung frage,
Z 11: kann ich dem trauen, was ich in mir trage?

Z 12: Es ist der Klang, er ist, er bleibt bestehen.
Z 13: Was Träumen Kraft gibt, kommt mit ihm zu Tage,
Z. 14: der zarte Wunsch, dass ich mehr Leben wage!“

Das Vorstufengedicht kam mir im Vergleich zu dem endgültigen Gedicht unrund, falsch und zusammengeschustert vor.

Ich vergleiche nun, das Gedicht der Vorstufe mit dem Endprodukt, das diesem Thread den Namen gab.
(Zitate aus der Vorstufe habe ich kursiv gesetzt.)
(Zitate aus dem fertigen Sonett habe ich fett markiert.)

Ich las die erste Zeile und sofort war mir klar, was mich an ihr so störte:
Z 1: Es ist nicht leicht, das rechte Wort zu finden!
Der Satz ist viel zu allgemein formuliert. So konnte kein persönlicher Bezug zum Leser entstehen. Ich wusste sofort eine bessere Alternative:
Z 1: "Es fällt mir schwer, das rechte Wort zu finden!"
Diese Variante klingt in meinen Ohren viel besser. Die Anstrengung, das „rechte Wort“ zu finden, die Mühe, die das lyrische Ich dafür aufbringen musste, war jetzt spürbar geworden. Das lyrische Ich wirkt deswegen in der Endfassung viel menschlicher und motivierter als in der Vorfassung. Mir und auch den potentiellen Lesern dürfte es leichter fallen, dem Gedicht zu folgen als in dem nivelliertem Beginn der Vorfassung.
Z 3: "Ich will kein Bild in Reimform zwanghaft binden."
Wieder konnte ich gleich spüren, was an diesem Satz völlig daneben war:
Er sagte eindeutig, dass das lyrische Ich nicht einen Reim mittels eine Zwangshaltung, also einer psychischen Störung, setzen will. Aber eigentlich will das lyrische Ich doch nur sagen, das das Reimen sich ganz selbstverständlich anhören soll und nicht bemüht wirken soll. Der Satz:
Z 3: „Ich will kein Bild mit Zwang in Reimform binden.“
drückt diesen Wunsch ganz ungezwungen aus. Warum ist er mir nicht vorher eingefallen?

Z 5: „Das sind Momente, die – wenn sie gelingen -
Z 6: dir sagen, schön, dass es dein Herz bewegt.“

Hier herrschte Pronomensalat. Redet das lyrische Ich sich selbst an oder ein Gegenüber? Heißt es nicht korrekt "mein Herz"? Passt dann aber noch das andere Pronomen „dir“ sagen. Wäre nicht „mir“ sagen besser. Es findet sich keine Ordnung, nur umherirrende Pronomen.

Z 7: „Mit Glück hörst du den einen Ton nachklingen,
Z 8: der dich berührt und in dir überlebt.“

Wieder ist das Pronomenchaos zu sichten! Spricht das lyrische Ich sich selbst mit du an oder spricht es jemanden anderen an? Und warum hatte ich das Verb "überleben" ausgewählt? Warum sollen diese „Momente“ nur in mir leben und ohne mich sterben?
Als ich dann nach kurzem Überlegen auf die Idee kam, eine direkte Rede in die Strophe einzubauen, verabschiedeten sich die wirren Formulierungen wie von selbst. Und die Strophe machte Sinn. So steht sie auch in der Endfassung.
Z 5: „In solch Momenten, die – wenn sie gelingen -
Z 6: dir sagen, „schön, dass sich dein Herz bewegt!“,
Z 7: hör ich mit Glück den einen Ton nachklingen,
Z 8: der mich berührt und mit mir geht, der lebt.“

Die beiden Quartette waren jetzt klar formuliert, so dass mir das zentrale Manko der beiden Terzette ins Gesicht sprangen:

Z 9:“Was wächst in mir und lässt mich weitergehen?
Z 10:Was schenkt mir Mut, dass ich mit Hoffnung frage,
Z 11:kann ich dem trauen, was ich in mir trage?

Z 12: Es ist der Klang, er ist, er bleibt bestehen.
Z 13: Was Träumen Kraft gibt, kommt mit ihm zu Tage,
Z. 14: der zarte Wunsch, dass ich mehr Leben wage!“



Ich hatte also das Wort "weitergehen" gewählt. Was für ein schwaches unkräftiges Wort, um zu zeigen, was passiert, wenn dieser Klang vernommen wird, wenn eine Lebensänderung möglich ist, das volle Leben möglich scheint: das Lyrische Ich kann dann … „weitermachen!“ Weitermachen wie bisher? Bääh!

Das lyrische Ich begegnete dem „Klang“, der ihn zu einer Metamorphose animiert. Er könnte seinen eigenen Weg gehen, endlich „leben“! Der Weg ist ja vorgezeigt, doch dieses lyrische Ich bleibt verzagt. Es mag sich nur wenig Vertrauen in die verstärkt spürbare Lebenskraft und den neu entdeckten Sinn zumuten, es bleibt zutiefst skeptisch:
Z 11: „Kann ich dem trauen, was ich in mir trage?“

Dementsprechend gebiert das Gedicht am Ende nur ein „zartes“ Wünschlein, mehr nicht. Kaum vorstellbar, dass das Wünschlein das lyrische Ich zur einem veränderten Leben motivieren könnte.

Ganz anders entwickelt sich die innere Haltung des lyrischen Ichs in der Endfassung. Hier geschieht die Wandlung: Ja, ich benenne mein gewachsenes Vertrauen, ich habe die Kraft, ich wage jetzt mehr Leben!
Z 11: „Ich kann dem trauen, was ich in mir trage!“
Z 14: „Er schenkt mir Mut, dass ich mehr Leben wage!“


Zuletzt erinnerte ich mich daran, dass ich schon einmal früher versucht habe, die symbolische Bedeutung des Stein in dem Sonett miteinzubeziehen.
Z 12: Noch ist es nur ein Pochen wie auf Stein.
Mir gefällt die doppelte Botschaft in diesem Symbol:

Das was als neue Kraft im lyrischen Ich heranwächst, hat einerseits die Festigkeit, die Beständigkeit und die Schwere eines Steines. Und andererseits pocht diese Kraft auf den Stein, um ihn aufzulösen und und ihn aus seiner Starre zu transformieren.
Ein Pochen wie auf Stein kündigt ein befreites Leben an.
___________________________________

Auf den ersten Blick scheinen die beiden Varianten sehr ähnlich. Wie sich zeigte, sind sie aber dennoch recht unterschiedlich, gerade was ihre Botschaft angeht.
Das lyrische Ich der Vorstufe bleibt verzagt, resigniert und traut sich nicht. Der Klang rüttelt an seiner Welt, es schenkt ihm eine Riesenchance, endlich ein erfülltes Leben zu leben; das Ich aber nimmt die Chance nicht an, es ändert nicht sein Leben.
Ganz anders in der Endfassung: Der Klang findet sein Ziel, er wird angenommen, das lyrische Ich gewinnt Reife und vollzieht eine Transformation hin zu einem befreiten Leben.



Der Abschluss


Ich bin verblüfft, wie schnell ich das Gedicht von der Vorstufe in die endgültige Fassung überführen konnte. Es dauerte rund zwei bis drei Stunden. Zuvor hatte ich immer wieder an dem Sonett rumprobiert und blieb ohne Genugtuung. Ich weiß nicht, wie und warum es zu diesem Drehmoment kam, das zu einem stimmigen Abschluss führte. Aber nach langem Irren und Suchen verstand ich auf einmal die Logik des Gedichtes. Ich erkannte, was das lyrische Ich bremste. Die fehlende Konsequenz in der Darstellung, das Zögern, das Halbherzige, das Ängstliche, von dem sich das lyrische Ich über lange Zeit nicht lösen konnte, spiegelt ziemlich exakt auch meine Innenwelt. So bin ich auch. Im Gedicht gedieh irgendwann die Klarheit und das Vertrauen. Ich hoffe, dass das lyrische Ich mir nur ein wenig vorangeht und ich zu ihm Kontakt halten kann und die von ihm vorgebene Richtung auch einschlage.

Das Gedicht wurde mit jeder Zeile, die ich betrachtete und korrigierte mit noch mehr Energie aufgeladen, die mich in weitere Verbesserungen und Veränderungnen leitete, so dass es sich leicht und wie selbstverständlich entfaltete.

Liebe Grüße Flocke
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