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Alt 15.06.2022, 01:37   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Für Tabitha

Ich schau auf die Uhr: Erst zwölf magere Zeilen,
und schon zieht die Sonne die Vorhänge zu.
Der Text liest sich flau, da gibt’s nichts zu feilen,
und meine Idee ist per se ein Tabu.

Kein Stoff für die Spießer und Konservativen:
Zu viel Religion und ein Unmaß an Blut,
an Bosheit, Intrigen und menschlichen Tiefen,
an höllischem Feuer und teuflischer Wut.

Ich knülle die Seiten dem Ofen zum Futter,
doch Tabby, mein Weib, reißt sie mir aus der Hand:
Schreib weiter, beschwört sie, dein Stil schmilzt wie Butter,
und Horror bringt Leser um Schlaf und Verstand.

Ich schreibe und forme aus Worten ein Mädchen
und nenne es Carrie. Ich gebe ihm Macht
und spinne alsdann um ihr Schicksal das Fädchen,
das zu ihrem Schutz ein Inferno entfacht,

und kämpfe verbissen den Kampf meines Lebens,
besiege den Drachen mit Wort und mit Satz.
Das Ende beweist: Nichts daran war vergebens.
Ich schuf mir ein Werk. Es erwies sich als Schatz.

Seitdem bin ich Autor, geächtet, gelitten,
beklatscht und bespuckt als ein Schreiberling.
Ich schöpfe den Horror aus all euren Sitten.
Erfolgreich! Gestatten: Mein Name ist King.

15.06.2022
__________________

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Alt 15.06.2022, 10:08   #2
Ex-Pennywise
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Moin Ilka,

als ob ich hier als "Pennywise" wortlos wieder verschwinden würde...
Ich liebe King. Ich entnehme dem Ganzen, dass Du seinen Schreibstil auch sehr schätzt. Es mag Leute geben, die mit der sehr ausschweifenden Phantasie von Stephen King Probleme haben. Ich hingegen bewundere gerade diese Phantasie. Dazu kommt, dass er unglaublich bildlich schreibt. Ein besonderes Beispiel dafür sehe ich in "Das Mädchen", das im Grund nichts mit Horror zu tun hat.
Zuletzt habe ich "Das Institut" gelesen. Mich inspiriert sowas ungemein.
Deine Hommage (ich fasse es als solche auf) wird ihm meiner Meinung nach gerecht.
Tabitha schreibt ja selber. Ich weiß gar nicht, ob sie ihn zum Schreiben bewegt hat und in wie fern sie Einfluss auf Carrie hatte. Von ihr müsste ich auch mal etwas lesen.

"Ich schau auf die Uhr: Erst zwölf magere Zeilen,
und schon zieht die Sonne die Vorhänge zu.
Der Text liest sich flau, da gibt’s gar nichts zu feilen,
und meine Idee ist per se ein Tabu."

Wäre da das kleine Ergänzungswörtchen nicht dem Lesefluss dienlich?

Mir hat es jedenfalls gefallen. Auch von der Idee her.

Gruß

Pennywise
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Alt 15.06.2022, 11:52   #3
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Pennywise Beitrag anzeigen
Dazu kommt, dass er unglaublich bildlich schreibt. Ein besonderes Beispiel dafür sehe ich in "Das Mädchen", das im Grund nichts mit Horror zu tun hat.
Kenne ich. King hat nicht nur Horror-Romane geschrieben, sondern alle Genres bedient.

Zitat:
Zitat von Pennywise Beitrag anzeigen
Tabitha schreibt ja selber. Ich weiß gar nicht, ob sie ihn zum Schreiben bewegt hat und in wie fern sie Einfluss auf Carrie hatte.
Nachdem, was ich darüber erfahren habe, war "Carrie" Kings Einstiegswerk. Damals hatte er noch Selbestzweifel und warf seinen Entwurf weg. Aber seine Frau fischte die Seiten aus dem Papierkorb, fand das Gelesene gut und ermunterte ihren Mann, weiterzuschreiben.

Ich hatte mir vor meinem ersten Flug nach New York den Roman im englischen Original gekauft und war bis zur Landung in JFK damit durch. King hat aber auch ein Buch über das literarische Schreiben und seinen Blick auf dieses Handwerk verfasst, wobei er mit manchen starren Regeln rigoros bricht.

Letztendlich sind seine Romane der Beweis dafür, dass der Leser bestimmt, was in der Literatur gefragt ist und Erfolg hat. Die preisgekrönten Werke gehören nur selten dazu.

Zitat:
"Ich schau auf die Uhr: Erst zwölf magere Zeilen,
und schon zieht die Sonne die Vorhänge zu.
Der Text liest sich flau, da gibt’s gar nichts zu feilen,
und meine Idee ist per se ein Tabu."

Wäre da das kleine Ergänzungswörtchen nicht dem Lesefluss dienlich?
Findest du? Ich weiß nicht recht. Mal sehen, ob noch jemand etwas dazu sagen kann.
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Alt 15.06.2022, 13:11   #4
weiblich Inka
 
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Beiträge: 302

Das Wörtchen "gar" wäre von meinem Gefühl her zu viel
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Alt 15.06.2022, 14:06   #5
Ex-Pennywise
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Du bleibst halt ansonsten konsequent bei diesen 12 Silben. Nur in der einen Zeile nicht. Das ließ mich kurz stolpern.

Gruß

Pennywise
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Alt 15.06.2022, 14:19   #6
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Pennywise Beitrag anzeigen
Du bleibst halt ansonsten konsequent bei diesen 12 Silben. Nur in der einen Zeile nicht. Das ließ mich kurz stolpern.
Okay, es geht also ums Silbenzählen. Aber "gar" ist halt ein unschönes Füllwort, das inhaltlich nichts beiträgt.

Wie wäre es mit

Zitat:
Der Text liest sich flau, daran ist nicht zu feilen,
Wäre das ein Kompromiss?
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Alt 15.06.2022, 14:29   #7
männlich MonoTon
 
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Beiträge: 1.102

Ich glaube fast dass uns die Autorin eine kleine Falle stellen wollte mit dem Vers.

Ich schau auf die Uhr: Erst zwölf magere Zeilen,
und schon zieht die Sonne die Vorhänge zu.
Der Text liest sich flau, da gibt’s nichts zu feilen,
und meine Idee ist per se ein Tabu.

xXxxXxxXxxXx
xXxxXxxXxxX
xXxxXxXxxXx
xXxxXxxXxxX

im Schriftbild gebe ich recht, es fehlt optisch und oberflächlich betrachtet eine Unbetonte in Z3, aber tatsächlich fehlt sie nicht, sie ist nur Stumm durch einen Phonetischen Effekt.
Ich persönlich mag absolut keine Elisionen, bzw Auslassungen in Texten, aber meiner Meinung nach ist eine solche hier sehr gut Eingesetzt worden.
Dazu noch der Hinweis auf ein "Tabu" welches sich auf eine Idee bezieht.
Sehr geschickt will ich meinen.
Gibt's - Gibt es

Mir persönlich würde nicht einleuchten, warum ich nach einer Auslassung in Form einer Elision, ein platzhaltendes anderes Wort dafür einfügen sollte.

Für mich stellt sich eher die Frage ob Ilka ihren Text als Anapäst oder Amphybrachis definiert, die optische variable sagt mir Amphybrach, aber rein phonetisch betrachtet sind die Lesepausen kaum vorhanden, was eher einen Anapäst vermuten lässt. Auch wenn der allererste Satz eine Amphybrache Lesart impliziert, da in ihm ein klarer Bruch auszumachen ist.

Ich gehe soweit zu behaupten dass die duale lesart gezielt erstellt wurde
Jeweils Z1 - Z3 sind im Stil des Amphybrachen lesbar,
während aber Z2 - Z4 problemlose Anapäste darstellen, da ihnen die Zäsur oder auch Lesepause fehlt.
Ich hoffe man kann mir soweit Folgen.

lg Mono
MonoTon ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.06.2022, 16:31   #8
Ex-Pennywise
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Beiträge: 599

Ich bin ja aus diesen hochtechnischen Gesprächen meist raus. Ich gehe da nach Gefühl. Auch wenn ich selber schreibe. Und meistens scheint das Gefühl in letzter Zeit auch richtig zu sein. Silbenzählen klingt immer so ein bißchen abwertend. Für mich -persönlich wohlgemerkt- ist es immer ein Stolperstein, wenn das zu 95% durchgezogen wird und dann an einer Stelle nicht. Außer es ist, um inhaltlich etwas hervorzuheben. Aber das erschließt sich mir an der Stelle nicht.
Wenn man übrigens aus "gibt's" ein "gibt es" an der Stelle macht, müsste das "es" betont auagesprochen werden. Zumindest wenn man dem Rhythmus folgt. Das passt aber vom herkömmlichen Sprachgebrauch und der alltäglichen Betonung nicht.

@Ilka
Ja, ich finde Deinen Vorschlag so wesentlich eleganter.
Ex-Pennywise ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.06.2022, 07:28   #9
weiblich DieSilbermöwe
 
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Hallo Ilka,

das ist ein tolles Gedicht! Allein schon die Idee, für die Frau ein Gedicht zu verfassen, ohne die die Welt um Kings Bücher ärmer wäre, ist fantastisch.
Ich mag besonders seine Kurzgeschichten.

Zitat:
Letztendlich sind seine Romane der Beweis dafür, dass der Leser bestimmt, was in der Literatur gefragt ist und Erfolg hat. Die preisgekrönten Werke gehören nur selten dazu.
Richtig.

Von der Form her finde ich es völlig in Ordnung, interessante 12-Silben-Diskussion und im ersten Vers erscheint die Zahl 12 im Text. Auch wenn das vielleicht ein Zufall ist.

LG DieSilbermöwe
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
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