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Alt 05.02.2022, 23:27   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Eine einfache Geschichte

Romy war großartig gewesen. Wie immer, seit sie Österreich und dem deutschen Film den Rücken gekehrt hatte. Selbst in einem kleinen Film von Claude Sautet, einer einfachen Geschichte, in dem sie unprätentiös auftrat, schlicht gekleidet und mit streng zurückgekämmtem Haar. Einem Film, der auch so hieß: „Eine einfache Geschichte.“

Nach dem Kino war Station in der Weinstube obligatorisch. Komisch, dass weder Annette, noch Marion oder ich Rotwein tranken. Immer nur weißen. Aus Gläsern, in denen man normalerweise Thommys mittelscharfen Senf zu Hause hatte.

In der Weinstube stand ein altes Klavier, auf dem ein langhaariger Typ schräge Töne produzierte, bis der Inhaber des Lokals ihn unter Tränen bat, damit aufzuhören, um nicht bereits vor Mittelnacht die Ladenkasse schließen zu müssen. Das wäre schade gewesen, dann wir waren gerade bei unseren zweiten Gläsern und richtig in Stimmung. Zwei Typen, die offensichtlich auch in Stimmung waren, setzten sich zu uns, auf Tuchfühlung, denn Tische gab es zwischen uns nicht. Quatschten uns an, woher wir denn seien und was uns so interessiere. Wir erzählten von Frankfurt, vom Kino und von Romy. Die taten dann so, als verstünden sie was davon. Hatten auch schon Bud Spencer auf der Leinwand gesehen, wussten aber nicht, dass der ein gertenschlanker Schwimmer bei den Olympischen Spielen gewesen war.

Und dann besaß dieser Kerl mir gegenüber die Frechheit, mir seine Hand aufs Knie zu legen, obwohl ich einen Ehering trug. Ich war nahe dabei, ihm eine zu kleben. Aber höflich, wie ich erzogen war, forderte ich ihn, auf, die Hand wegzunehmen. „Das ist nur ein Test“, redete er sich aus seinen plumpen Verführungskünsten heraus. „Ich mache gerade eine Studie darüber, wie Frauen auf Komplimente von Männern reagieren.“

„Aha,“ erwiderte ich und klebte ihn jetzt wirklich eine, weil er seine Pfote immer noch auf meinem Knie hatte. Und da ich trotz meiner achtundfünfzig Kilo ziemlich schlagkräftig war, blühte seine Gesichtshälfte in schönstem Rosa auf. Um der Parität willen knallte ich ihm auf die andere Wange auch noch eine. „Sieht besser aus.“ Da hatte er’s endlich kapiert und ließ mein Knie los.

„Scheiß Spießerweib!“ Er schnaubte wie ein Ross, das den dritten Oxer geschmissen hatte. „Was für eine blöde Kuh!“ Zutiefst beleidigt fasste er seinen Kumpel, der sich manierlich benommen hatte, bei der Schulter. „Wir gehen!“

Der erhob sich artig, nahm den letzten Schluck aus seinem Glas und folgte seinem Freund aus der Weinstube. „So wird das nie was, du Blödmann“, hörte ich ihn zischen.

„Wie?“

„Nur so. Will ja nix gesagt haben, Blödmann.“ Damit fasste er den Verführer, der schwere Schlagseite hatte, bei der Jacke und zerrte ihn hinaus.

Marion sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. „Dass du so rabiat sein kannst. Das hätte ich nicht hingekriegt!“

„Kleinigkeit. Was bildet sich so ein Macker ein …“

„Der sah um Klassen besser aus als dein Männe. Also, den hätte ich nicht von der Bettkante getreten …“

„Mein Mann sitzt nicht auf der Kante, sondern bringt mir das Frühstück ans Bett. Und die Zeitung.“ Annette kicherte. „Bei uns holt Schlumpi die Zeitung rein.“ Sie meinte ihren fünfjährigen Langhaardackel.

„Ihr seid echt zum Kotzen! Schon mal was von Treue gehört?“

„Schon“, erwiderte Marion. „Aber man kann alles übertreiben.“

Gegen zwei Uhr morgens landete ich zu Hause und ging zu Bett. Hörte mir das Schnarchen meiner anderen Hälfte an, die man mir in grauer Vorzeit als die bessere angepriesen hatte. Und irgendwann schlief ich warm und geborgen ein.
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Alt 12.02.2022, 11:49   #2
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Hallo Ilka,

eine schön erzählte Anekdote. Ich hatte auch einen Bekannten, der im Beisein von mir und seinem Freund einfach mal so die Hand auf das Knie der Frau neben sich legte (ich kannte sie nicht, die drei waren schon da gewesen, als ich die Kneipe betrat). Ich dachte, die beiden wären zusammen, und erst, als der Freund mir später erzählte, P. hätte sich doch unmöglich benommen, fiel der Groschen, dass die Frau das gar nicht wollte. Aber sie hatte sich nicht getraut, was du dich getraut hast.

Der Schluss deiner Geschichte ist sehr schön. Geborgenheit (wenn man sie beim Partner spürt) ist wichtiger als eine schnelle Nummer, nur weil sie die Gelegenheit bietet.

LG DieSilbermöwe
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Alt 12.02.2022, 15:56   #3
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Aber sie hatte sich nicht getraut, was du dich getraut hast.
Nun ja, mir ist das wirklich "passiert", aber so rabiat wie in dieser kleinen Momentaufnahme bin ich nicht geworden. Ich habe mir jedoch die Hand auf meinem Knie verbeten, und der Kerl ist gut genug erzogen gewesen, sie sofort wegzunehmen. Aber eben mit dieser albernen Ausrede, wie ich sie in der Geschichte gebracht habe. Außerdem war er nicht stockbesoffen. Ich bin Fremden gegenüber viel zu spröde und mit Berührungen sowieso zurückhaltend, mag auch selber nicht gerne von anderen Menschen angefasst werden, so dass ich gar nicht in der Lage gewesen wäre, dem Frechdachs eine runterzuhauen. Aber ein deutliches Wort kann schon viel bewirken.

Der äußere Rahmen - Kino, Weinstube, Typ am Klavier, der nicht gescheit spielen konnte - ist wirklich so gewesen und hat für die Atmosphäre gesorgt. Aber ohne ein bisschen Übertreibung bei der Handlung wäre meine Geschichte viel zu langweilig geworden.
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