Raus -
ich will, ich muss – aber wie? Das Warum ist klar. Wer kann schon leben, eingemauert in einem dunklen Loch. Gerade genug Luft, um nicht zu ersticken, daran kann man sich nicht gewöhnen. Gewöhnt hat sich der Schlund an den Einheitsfraß, die Ohren an die Kakophonie, die Nase an das Furzen der Annalen. Einzig die Augen trotzen - es ist doch nicht alles grau! Rote Banner, Mainelken, Pioniertücher - auch blaue. Nicht Braun-, sondern Blauhemden. Gelber Hammer-Zirkel-Ährenkranz, zielscheibengleich, auf schwarz-rot-gelbem Grund.
Ich will raus, aber wohin? Schließlich ist man sicher verwahrt eingemauert. Deshalb die Selbstschussanlagen noch davor und Stacheldraht drumherum. Todesstreifen schützt vor Faschismus, Drogen und Aids.
Die armen Menschen da drüben. Glücklich sind sie, wenn sie uns besuchen kommen. Wir auch, wenn wir mit ihnen in ihrem funkelnden Straßenkreuzer über schlaglochsatte Wege federn, von Duftwolken umwogen, die ihnen stetig entströmen. Sie haben uns bunte Magazine hereingeschmuggelt: Schöner Wohnen, Bild der Frau und die Bravo. Sie schenken uns ihre abgelegten Kleider, Saft im Tetrapack, Schokolade, Kaffee, Kaugummis und Coca Cola. Sie zeigen uns farbige Bilder aus Phantasia. Wir ihnen unsere Schwarz-Weiß-Fotos.
Bald müssen sie wieder fort, deshalb weinen sie. Auch Oma weint. Wir alle weinen und umarmen uns. Dabei passiert es – Westschokoladenflecken auf dem reinweißen Rüschenärmel der Seidenbluse meiner Tante. Sie schaut auf ihren Ärmel, auf meine schmutzigen Finger, dann lächelt sie schief. Ich starre sie an, starre auf die beschmutzte Bluse und möchte nun nichts mehr, als mich in dem dunklen Loch verstecken, aus dem ich kurz in eine andere Welt lugte, für immer darin verschwinden. Denn, dass Sie mich nun noch nach drüben mitnimmt, das kann ich vergessen.
Geändert von Damaris (13.01.2017 um 22:00 Uhr)
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