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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 25.07.2021, 13:42   #1
männlich Dionysos von Enno
 
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Standard La Morgue

Ihr Schoßlicht war noch warm, als man sie wegtrug
Das kussmundrote, lichtdurchbohrte Gamma-Strahlen-Lamm
in NICHTS dem Unlicht gleich, das sie erschlug
als sie am Muttermund ein Leichentüchlein sponn

Und ausgeworfen ist das Tüchlein nun ins Abendrot
Und SIE ? Beschmunzeln es auf ihres Lämmchens Steiß
Zu einem Nachtwolf steigt sie -aufgerissen- in das Todboot

Und SIE ?

Durchwühln ihr Bauchgeschmeiß...
Dionysos von Enno ist offline  
Alt 25.07.2021, 20:31   #2
männlich Ex-Ralfchen
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aha Ein Interpretatorium auf das goldene Vlies
Ex-Ralfchen ist offline  
Alt 26.07.2021, 08:07   #3
weiblich Mohrel
 
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Standard Lieber Dio,

Zitat:
Zitat von Ralfchen Beitrag anzeigen
aha Ein Interpretatorium auf das goldene Vlies

liebes Ralfchen, ich denke nicht, dass es um das goldene Vlies der Argonauten geht.
Aber eigentlich müsste dieser Text ganz nach deinem Geschmack sein. Nach meinem nicht; mir blieb beim Lesen nämlich fast das Herz stehen.


Die Schwangerschaft ist hier das Todesurteil und die vermeintliche Schuld zugleich.

Zitat:
lichtdurchbohrte Gamma-Strahlen-Lamm
Wie krass ist das denn?
Gammastrahlen assoziiere ich mit: radioaktive Strahlung, zellschädigend, erbgutverändernd, Strahlenkrankheit, langsames Dahinsiechen, innerlich zerfressen werden durch etwas an und für sich - Unschuldiges ? (Lamm)

Zitat:
Durchwühln ihr Bauchgeschmeiß
Ist das eine Obduktion? Kühler Raum, kaltes Licht.
Zitat:
Beschmunzeln es auf ihres Lämmchens Steiß
Puh!
Warum tun SIE das? Weil es so deformiert ist, dass es sie amüsiert? Oder wird es mitleidig belächelt?

Echtes Mitgefühl sieht anders aus, und ohne dass es beschrieben wird, hat das der Nachtwolf, zu dem sie ins Boot steigt. Hätte ich auch.

Liebe Grüße
Mohrel ist offline  
Alt 26.07.2021, 09:02   #4
männlich Dionysos von Enno
 
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Standard Lieber Ralf, liebe Mohrel

Vielen Dank für eure Kommentare. Ich bin beeindruckt von der Schärfe eurer Blicke...

Dieses Gedicht entstand in Reaktion auf einen längeren Austausch, den ich mit Christian Mengele dem Enkel des KZ Arztes Josef Mengele hatte. Mengele ist Künstler und malt in der Art von Basqiuat. Ich lernte ihn in diesem Kunstsammlungskontext kennen und hatte keine Ahnung von seinem Hintergrund. Mengele hatte sich zu dieser Zeit gerade einer Magenverkleinerungs-OP unterzogen, da er mit furchtbarem Übergewicht zu kämpfen hatte. Das Gedicht greift die "Experimentiefreudigkeit" des Todesengels von Auschwitz und seiner Paladine (genannt seien hier der Infektologe Hans Münch aber auch Franz v. Bodmann, Friedrich Entress und Johann Paul Kremer) auf.

Eine junge Mutter wird für "Experimente" selektiert. In Vorbereitung dessen führt sie bei sich selber eine Abtreibung durch, die sie nicht mehr vollenden kann. Das einzige, das sie ihrer kleinen ungeborenen Tochter mitgeben kann sind ihre verzweifelten Gebete. Münch (der immer wieder bestritt etwas "damit" zu tun gehabt zu haben) und Entress waren nicht in den Obduktionstechniken geschult. Sie verwühlen und verirren sich in der jungen Frau, finden den Fötus und sind unangenehm überrascht. Die Grundstimmung lassen sie sich aber nicht verderben. Sie beschmunzeln den kleinen Leichnam und beenden ihre aus reiner Neugier begonnene Kramerei...

Ich schreibe angelehnt an Gottfried Benn. Er war selber Arzt. Gottfried Benn war nicht Mitglied der NSDAP, unterschrieb aber das Gelöbnis treuester Gefolgschaft, einen Treueeid, den er mit 87 anderen Dichtern und Schriftstellern am 26. Oktober 1933 gegenüber Adolf Hitler ablegte. Dort hieß es unter anderem:

„Friede, Arbeit, Ehre und Freiheit sind die heiligsten Güter jeder Nation und die Voraussetzung eines aufrichtigen Zusammenlebens der Völker untereinander. Das Bewußtsein der Kraft und der wiedergewonnenen Einigkeit, unser aufrichtiger Wille, dem inneren und äußeren Frieden vorbehaltlos zu dienen, die tiefe Überzeugung von unseren Aufgaben zum Wiederaufbau des Reiches und unsere Entschlossenheit, nichts zu tun, was nicht mit unserer und des Vaterlandes Ehre vereinbar ist, veranlassen uns, in dieser ernsten Stunde vor Ihnen, Herr Reichskanzler [Adolf Hitler], das Gelöbnis treuester Gefolgschaft feierlichst abzulegen.“
Dionysos von Enno ist offline  
Alt 26.07.2021, 20:09   #5
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Standard Hallo Dionysos

Dein Hinweis auf Christian Mengele, seinen familiären Hintergrund, seine eigene künstlerische Tätigkeit und gar die Magenoperation, die seine Physiognomie verändern soll, sind fast "unfassbare" Zusammenhänge, aus denen unsere lyrischen Schreibereien entstehen sollten - das ist Dir hier, wenn auch natürlich in ausgesprochen drastischer Form, explizit gelungen.

Dein Hinweis auf Gottfried Benn ist sicher ebenso wichtig, veranlasst mich aber zu folgenden Anmerkungen: Die zu Recht berühmten Gedichte aus seinem Band "Morgue" erschienen 1912, also in der Spätphase des Kaiserreichs, und markierten die Einleitung der radikalen Phase des Expressionismus in der deutschsprachigen Lyrik/Literatur (berühmt u.a. die "Kleine Aster" mit letzten Reim-Reminiszenzen und Anklängen an die blaue Blume der Romantik). Bis zum Treueeid an den faschistischen Staat vergingen dann aber nochmals mehr als 20 Jahre, und wenig später wurde Benn ja zur "inneren Emigration" (d.h. Schweigen) gezwungen, in erster Linie von unsäglichen Figuren wie Börries von Münchhausen, die seinen Namen "Benn" als eindeutiges Zeichen jüdischer Abkunft und Umtriebe erkennen wollten. Die Untaten von Dr. Mengele lagen noch einmal ca. 10-12 Jahre später. Gottfried Benn hat sich meines Wissens nach 1945 mit keinem Wort dazu geäußert. Nur die zeitlichen Zusammenhänge , gerade in den frühen Jahren, sollte man möglichst differenziert sehen.

Schönen Abend, und vielen Dank für Deine insgesamt sehr engagierten Beiträge

sagt Epilog
Epilog ist offline  
Alt 26.07.2021, 20:27   #6
männlich Dionysos von Enno
 
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Standard Lieber Epilog

Zitat:
Zitat von Epilog Beitrag anzeigen
Dein Hinweis auf Christian Mengele, seinen familiären Hintergrund, seine eigene künstlerische Tätigkeit und gar die Magenoperation, die seine Physiognomie verändern soll, sind fast "unfassbare" Zusammenhänge, aus denen unsere lyrischen Schreibereien entstehen sollten - das ist Dir hier, wenn auch natürlich in ausgesprochen drastischer Form, explizit gelungen.

Dein Hinweis auf Gottfried Benn ist sicher ebenso wichtig, veranlasst mich aber zu folgenden Anmerkungen: Die zu Recht berühmten Gedichte aus seinem Band "Morgue" erschienen 1912, also in der Spätphase des Kaiserreichs, und markierten die Einleitung der radikalen Phase des Expressionismus in der deutschsprachigen Lyrik/Literatur (berühmt u.a. die "Kleine Aster" mit letzten Reim-Reminiszenzen und Anklängen an die blaue Blume der Romantik). Bis zum Treueeid an den faschistischen Staat vergingen dann aber nochmals mehr als 20 Jahre, und wenig später wurde Benn ja zur "inneren Emigration" (d.h. Schweigen) gezwungen, in erster Linie von unsäglichen Figuren wie Börries von Münchhausen, die seinen Namen "Benn" als eindeutiges Zeichen jüdischer Abkunft und Umtriebe erkennen wollten. Die Untaten von Dr. Mengele lagen noch einmal ca. 10-12 Jahre später. Gottfried Benn hat sich meines Wissens nach 1945 mit keinem Wort dazu geäußert. Nur die zeitlichen Zusammenhänge , gerade in den frühen Jahren, sollte man möglichst differenziert sehen.

Schönen Abend, und vielen Dank für Deine insgesamt sehr engagierten Beiträge

sagt Epilog
herzlichen Dank für Deinen aufschlussreichen und differenzierten Kommentar, der natürlich völlig zu Recht eine ebenso differenzierte Sichtweise auf Dr.Orpheus anmahnt.

Benn hat seine Werke allerdings größtenteils „für die Ewigkeit nach 1945“ umgeschrieben.

Noch 1949 spricht Benn in einem Brief an seinen Verleger Niedermayer davon, dass es 1933/34 «keine Schande» gewesen sei, den Nazis «seine Potenzen zur Verfügung zu stellen». Er sei auch heute noch der Meinung, dass der Nationalsozialismus «ein echter und tiefangelegter Versuch war, das wankende Abendland zu retten».

mes compliments.

Dio
Dionysos von Enno ist offline  
Alt 26.07.2021, 22:10   #7
männlich Ex-Ralfchen
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Auf die Grausamkeit der Lyrik gehe ich nun nicht mehr ein denn die Mengele Geschichte ist mir zu bekannt. Und die Malerei seines Enkels-Sohnes ist nichts anderes als ein Plagiat von Jean-Michel Basquiat. Also für mich nur ein Epigone und nichts besonderes.

Zitat:
Zitat von Mohrel Beitrag anzeigen
liebes Ralfchen, ich denke nicht, dass es um das goldene Vlies der Argonauten geht.
Aber eigentlich müsste dieser Text ganz nach deinem Geschmack sein. Nach meinem nicht; mir blieb beim Lesen nämlich fast das Herz stehen.


Nein meine liebe definitiv nicht. Die Grausamkeit in meinen Texten ist synthetisch und bezieht sich nicht auf wirkliche Ereignisse. Das wäre mir zu problematisch
Ex-Ralfchen ist offline  
Alt 26.07.2021, 22:31   #8
männlich Ex-Ralfchen
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Zitat:
Zitat von Dionysos von Enno Beitrag anzeigen
ihr Bauchgeschmeiß...

Dass du den Fötus dieser armen Frau als ein geschmeiß bezeichnest ist eine unbeschreibliche Frechheit. wie kann ein unschuldiges menschenwesen ekelerregendes Ungeziefer oder dessen Brut sein. Du solltest dich für diesen Text schämen. Das ist so ziemlich das letzte was man zu einer wahren Geschichte schreiben kann. Bedauerlicherweise kenne ich gerade diese Geschichte aus dem Portfolio der Grausamkeiten dieses Monsters Mengele
Ex-Ralfchen ist offline  
Alt 26.07.2021, 23:31   #9
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
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Dein Hinweis auf Christian Mengele, seinen familiären Hintergrund, seine eigene künstlerische Tätigkeit und gar die Magenoperation, die seine Physiognomie verändern soll, sind fast "unfassbare" Zusammenhänge, aus denen unsere lyrischen Schreibereien entstehen sollten - das ist Dir hier, wenn auch natürlich in ausgesprochen drastischer Form, explizit gelungen.
Ich fasse es auch nicht, nämlich wie man über eine Aneinanderreihung reißerischer, sensationslüsterner, abgeschmackter und theatralisch-manirierter Metaphern, die an Missachtung von Leben und einer widerlichen Freude an der Schändung eines weiblichen Körpers und seiner Frucht kaum zu übertreffen sind, einen derartigen Kommentar abgeben kann.

Auf die Methode des "name dropping" zuzugreifen, um sich mit den Namen berüchtigter Figuren aus der Nazizeit und deren Nachkommen interessant zu machen, ist mehr als erbärmlich und täuscht auch nicht über den Ausdrucksarmut des Textes hinweg. Reißerische Wortbildungen sind zu wenig. Schon gar nicht, wenn sich der Autor über die Semantik der gewählten Worte nicht klar ist.

In Poetry wird viel zugelassen, was die vielbeschworene "dichterische Freiheit" angeht, aber dieses Niveau hier überspannt den Bogen und ist nicht mehr akzeptabel.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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