Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Forum durchsuchen Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Gedichte-Forum > Philosophisches und Nachdenkliches

Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 23.01.2023, 21:25   #1
männlich Anaximandala
 
Benutzerbild von Anaximandala
 
Dabei seit: 05/2021
Ort: Zu Hause
Beiträge: 1.198

Standard Erwachen zur Selbstbesinnung - Herbstfluten (I von VI)

Es war die Zeit der Herbstfluten
Und mächtig wuchs der gelbe Fluss,
Genährt von seinen Wildbächen,
Dass man die Ufer suchen muss.

Da wurd der Flussgott hochgemut,
Dass er der Allergrößte wär,
Und fühlte sich ganz stark und gut.
Doch traf er bald schon auf das Meer.

Er blickte bis zum Horizont,
Ein Ende konnte er nicht finden,
Da sah vorm Gott des Nordmeers promt,
Er seine ganze Größe schwinden.

"Es stimmt wohl, was im Sprichwort steht:
Für unvergleichlich klug hält sich,
Wer hundert Wege kennt und geht
Und leider trifft das zu auf mich.

Wohl habe Leute ich getroffen,
Die kümmerten sich nicht um Größe,
Geglaubt hab ich, da bin ich offen,
Sie lügen, spinnen! welche Blöße.

Erst jetzt, bei Euch, erkenne ich,
Was Größe, Unerschöpflichkeit,
Zu Recht hätt jeder Meister mich,
Verlacht für meine Närrischkeit."

Der Gott des Nordmeers sprach darauf:
"Ein Brunnenfrosch erkennt kein Meer,
Denn schließlich ist sein Lebenslauf,
Beschränkt aufs Loch, und nicht auf mehr.

Kein Sommervogel kennt das Eis,
Es ist die Zeit, die ihn beschränkt,
So kommt es, dass er nichtmal weiß,
Was er nicht weiß, was er nie denkt.

Mit einem Fachmann spreche nicht,
Vom Sinn, ihn blendet nur sein Fach,
Doch nun besitzt du klare Sicht,
Bist sozusagen aufgewacht.

Erkennst all deine Ärmlichkeit,
Dass ich dir mehr erzählen kann:
Ein jeder Fluss hier, weit und breit,
Fließt in mich, doch ich steig nicht an.

Ich änder niemals mein Gesicht,
Was mit der Zeit auch so passiert,
Selbst Flut und Dürre kenn ich nicht,
Doch wer mich groß nennt, fantasiert.

Denn zwischen Himmel und der Erde,
Bin ich wie'n Steinchen auf nem Berg,
Fast schön, wenn ich gesehen werde,
Doch bleibe ich ein kleiner Zwerg.

Wenn man den einz'neln Mensch vergleicht
Mit all den Myriaden Wesen,
Ist es nicht so, dass er vielleicht,
Noch nie bedeutend ist gewesen?

Doch hält ein jeder sich für groß,
So wie du selbst bis eben dachtest,
Das größte Wasser wärst du bloß.
Dein Glück, dass heute du erwacht bist."


*Der Inhalt stammt von Zhuangzi, Abschnitt 1 der Herbstfluten im Wahren Buch vom südlichen Blütenland

Ich hab vor Langemalle 6 Abschnitte in einem Rutsch gepostet, aber das war a mit 70 Strophen zu lang und b metrische Grütze, deshalb jetzt weitesgehend geglättet und Abschnitt für Abschnitt nochmal
Anaximandala ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Erwachen zur Selbstbesinnung - Herbstfluten (I von VI)

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche


Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Sinnlose Operationen gehören zur Vergangenheit zur Zeit dr.Frankenstein Kolumnen, Briefe und Tageseinträge 1 28.12.2021 21:49
Herbstfluten Anaximandala Philosophisches und Nachdenkliches 0 12.08.2021 09:26
Dem Herrn von der Vogelweide zur guthen Lehr' urluberlu Philosophisches und Nachdenkliches 0 15.08.2014 21:25
Ein Gedanke zur Anmaßung von "Objektivität" Ilka-Maria Sprüche und Kurzgedanken 16 31.05.2014 17:42
Von einer Herrlichkeit zur nächsten! Mattitjahu Philosophisches und Nachdenkliches 0 02.06.2013 13:56


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.