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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 30.12.2022, 14:10   #1
männlich Jurek
 
Dabei seit: 12/2022
Beiträge: 9

Standard Wieso bin ich denn noch kein Held?

Wieso bin ich denn noch kein Held?

Die Tagesschau macht mich fertig
Sie macht mich irgendwie entbehrlich,
denn wenn alles in Schutt und Asche liegt,
Sich Ruine kaputt an Ruine schmiegt,
Und alles irgendwie untergeht
Da frage ich doch

Was ist mein Platz in dieser Welt?
Dann denk ich nach und dann frage ich mich,
was soll ich tun, doch ich weiß es nicht.
Und dann frage ich mich doch,
Wieso bin ich denn noch kein Held?

Wieso hab ich noch nichts gemacht,
was Menschen wirklich weiterbringt?
Steht irgendwas in meiner Macht,
was mit den Krisen und Kriegen ringt?
Kann ich die Welt denn besser machen,
wenn mir am Ende nichts gelingt?

Dann denk ich nach und mir fällt auf,
ich könnte eigentlich schon was tun.
Doch nehm ich das Elend einfach in Kauf,
Als wäre ich gegen das Mitleid immun.
Ich tue es nicht aus bösen Gedanken,
oder aus Angst, jemand könnte mir danken,
ich tue es deswegen nur, weil es mich,
am Ende doch irgendwie gar nicht betrifft.

Und der Aufwand, wirklich etwas zu tun,
scheint viel zu groß für eine Sache,
die ganz weit weg und bei den andern
und außerdem auch so surreal,
zwar um sich wütet, Menschen tötet,
doch egal was ich hier mache,
es bringt doch eh alles nichts voran.

Und deswegen sitze ich sonntags wieder,
um 20 Uhr am Fernseher, mein Kopf sinkt nieder
Und die Tagesschau macht mich fertig
Sie macht mich irgendwie entbehrlich,
denn wenn alles nur in Schutt und Asche liegt,
Sich Ruine kaputt an Ruine schmiegt,
Und alles irgendwie untergeht
Da frage ich doch

Was ist mein Platz in dieser Welt?
Wieso bin ich denn noch kein Held?
Jurek ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.12.2022, 14:58   #2
weiblich Ilka-Maria
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Beiträge: 31.104

Zitat:
Zitat von Jurek Beitrag anzeigen

Was ist mein Platz in dieser Welt?
Wieso bin ich denn noch kein Held?
Dein Lyrisches Ich hat die richtige Plattform noch nicht gefunden. Es muss sich nach der erreichbaren Decke strecken. Wer in Berlin oder im Unternehmen nicht mithalten kann, muss es eben zu Hause oder am Stammtisch versuchen. Optionen bietet das soziale Umfeld genug, um auf dicken Molly zu machen. Wie heißt es doch: Unter den Blinden ist der Einäugige König. Oder anders gesagt: Man muss den Slot finden, den noch kein anderer besetzt hat.
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Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.12.2022, 15:18   #3
männlich Jurek
 
Dabei seit: 12/2022
Beiträge: 9

Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Dein Lyrisches Ich hat die richtige Plattform noch nicht gefunden. Es muss sich nach der erreichbaren Decke strecken. Wer in Berlin oder im Unternehmen nicht mithalten kann, muss es eben zu Hause oder am Stammtisch versuchen. Optionen bietet das soziale Umfeld genug, um auf dicken Molly zu machen. Wie heißt es doch: Unter den Blinden ist der Einäugige König. Oder anders gesagt: Man muss den Slot finden, den noch kein anderer besetzt hat.
Kannst du das bitte ausführen? Ich kann dir da leider nicht folgen. Das Gedicht kritisiert ja eben die Gesellschaft, die die Krisen der Welt zwar schlimm findet und dann trotzdem nichts macht, weil echter Aktivismus anstrengender ist, als etwas schlimm zu finden.
Jurek ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.12.2022, 19:16   #4
weiblich DieSilbermöwe
 
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Ich frage mich eher: Warum siehst du dir die Tagesschau an, und das auch noch jeden Tag?
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.12.2022, 19:26   #5
weiblich Ilka-Maria
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Ort: Arrival City
Beiträge: 31.104

Zitat:
Zitat von Jurek Beitrag anzeigen
Kannst du das bitte ausführen? Ich kann dir da leider nicht folgen.
Ist doch einfach: Wer auf der großen Bühne kein Held wird, kann es auf der kleinen Bühne versuchen. Er prügelt die Ehefrau und sagt seinen Kindern ständig, dass aus ihnen nie etwas werden wird. Damit bleibt er selbst immer der Größte.

Oder es gibt, wie ich es in meiner Schulzeit erlebt habe, einen Lehrer, der grundsätzlich keinem Schüler eine Eins gegeben hat mit der Begründung, kein Schüler könne besser sein als er.

Und dann gibt es noch die Typen, die mit Taten prahlen, die sie nie begangen haben, die ihnen aber niemand widerlegen kann.

Wer nie zum Helden wurde, hat eben nicht kapiert, wie man sich selbst dazu macht. Dabei ist es seit youtube gar nicht mehr so schwierig, sich einen Glorienschein aufzusetzen.
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Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.12.2022, 20:03   #6
männlich Jurek
 
Dabei seit: 12/2022
Beiträge: 9

Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Ich frage mich eher: Warum siehst du dir die Tagesschau an, und das auch noch jeden Tag?
Die Tagesschau ist hier ja eher ein Symbol für die schlimmen Dinge, die überall auf der Welt geschehen. Die Nachrichten sind eben das Medium, das am meisten aufzeigt, welche Katastrophen es anderswo auf der Welt gibt und wie vielen Menschen es deutlich schlechter geht als uns. Insofern ist das, denke ich mal, nicht so eng zu sehen.
Jurek ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.12.2022, 20:16   #7
männlich Jurek
 
Dabei seit: 12/2022
Beiträge: 9

Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Ist doch einfach: Wer auf der großen Bühne kein Held wird, kann es auf der kleinen Bühne versuchen. Er prügelt die Ehefrau und sagt seinen Kindern ständig, dass aus ihnen nie etwas werden wird. Damit bleibt er selbst immer der Größte.

Oder es gibt, wie ich es in meiner Schulzeit erlebt habe, einen Lehrer, der grundsätzlich keinem Schüler eine Eins gegeben hat mit der Begründung, kein Schüler könne besser sein als er.

Und dann gibt es noch die Typen, die mit Taten prahlen, die sie nie begangen haben, die ihnen aber niemand widerlegen kann.

Wer nie zum Helden wurde, hat eben nicht kapiert, wie man sich selbst dazu macht. Dabei ist es seit youtube gar nicht mehr so schwierig, sich einen Glorienschein aufzusetzen.
Danke, jetzt verstehe ich, was du meinst. Ich denke aber, dass das zum Helden werden im Gedicht eher auf den Anforderungen des lyrischen Ichs an sich selbst aufbaut. Es erwartet eigentlich von sich, dass es etwas tut, um anderen zu helfen, um die Welt besser zu machen. Sobald es dann aber darum geht, wirklich etwas zu tun (Strophen 4 und 5) fallen ihm dann plötzlich doch Gründe aus Ausreden ein, nichts zu tun und die eigenen Ansprüche sind plötzlich egal. Und selbst die Reflektion über dieses nur vorgeheuchelte Interesse können das lyrische Ich nicht dazu bewegen, wirklich etwas zu tun. Und deshalb schaut es wieder nur die Nachrichten, stellt sich wieder die gleichen Fragen und der Kreislauf beginnt von vorn.
Damit bildet das lyrische Ich das Spiegelbild einer Gesellschaft, die zwar schnell aufschreit, sich empört und sich für Missstände interessiert, die diese aber auch genauso schnell wieder vergisst und nie wirklich etwas tut, außer zu sagen, wie schlimm doch alles ist. Eine Gesellschaft, die dieses moralische “Fehlverhalten” zwar reflektiert und sich auch darüber beschwert, dieses aber wie die übrigen Missstände trotzdem nicht behebt, sondern einfach macht.
Dieses Bild einer Gesellschaft kann tatsächlich in jemandes Kopf kommen, der die Reaktionen auf die WM in Katar oder den Angriffskrieg Russlands verfolgt hat. Das öffentliche Interesse ist zwar groß, auf der anderen Seite ist es aber auch relativ schnell wieder abgeklungen. Zugegeben, der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat über einen längeren Zeitraum für öffentliches Interesse gesorgt, allerdings hört man darüber auch seit Monaten nur noch äußerst sporadisch.

Um hier einmal zum Schluss zu kommen: Ich stimme deiner Ansicht definitiv zu, ich finde aber nicht, dass sie thematisch das Gedicht trifft. Wenn du da anderer Ansicht bist, freue ich mich da aber auch auf deine Ausführungen.
Jurek ist offline   Mit Zitat antworten
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krieg, nachrichten, wegschauen



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