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Humorvolles und Verborgenes Humorvolle oder rätselhafte Gedichte zum Schmunzeln oder Grübeln.

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Alt 15.12.2022, 21:07   #1
männlich traudl
 
Dabei seit: 11/2022
Beiträge: 44

Standard Die Ballade vom Ritter mit dem Holzgebiss

Ein Ritter, jung und kühn, der alten Sippe ganzer Stolz,
verlor bei Nacht einst seine dritten Zähne,
– ich schäm´ mich fast, dass ich´s erwähne –
denn das Gebiss, ja das Gebiss – es war aus Holz.

Aus edlem, festen Span und reichlich dickem Kleister,
mit Fäden fein zum Halten gar beim Biss,
und schön bemalt mit guter Farb´, gewiss,
er ließ es fertigen bei einem hochberühmten Meister.

Wie kam´s? Es war des Ritters schnödes Missgeschick
und nicht des Alters räuberische Hände,
dass seine Zunge keine Barriere fände.
Und dann – ach, ach! Hier die Ereignisse auf einen Blick.

Auf einem Ritterfest geschah´s in Köln am Rhein:
Das Ross sprang hoch, jedoch recht kürzlich,
und machte drum den Ritter stürzlich.
Der Sand, der Sand war weich, doch nicht der ekle Stein.

Da lag er nun, der Rittersmann, im Kreise seiner Zähne,
der Helm zerbeult, der Mund zerbläut,
im Zwölfuhrmittags Kirchgeläut,
und helles Blut entquoll wie eines Feuerengels Strähne.

Ihr sagt: Ein Ritter, dreist und wild in tollen Schlachten,
der beißt doch nicht, er haut und sticht,
so hat ein Zahn doch kein Gewicht,
wer, Teufel, sagt ihr Leut´, würd´ ihn darum verachten?

Doch ach, ihr Leute, denkt ihr gar nicht an die Minne?
An´s Stelldichein auf grüner Au,
am Waldesrand mit einer schönen Frau?
Des Ritters Sinn: Dass er der Allerliebsten Herz gewinne?

Nun muss nicht jeder Ritter, weder tags noch in der Nacht,
will er ´ne strenge Herrin sich erwählen,
von heißer Lieb und ew´ger Treu erzählen,
Doch eines sollt´ er können: Lachen. Darauf sei er stets bedacht.

Er tut es wohl. Doch ach! Sie sieht in seines Mundes Gähne
und senkt verstört die holden Lider.
Sie denkt bei sich: Mit dem? Nie wieder!
Aus ihrem Augenpaar tropft nicht die kleinste Träne.

Doch unzerbrechlich ist des edlen Ritters kühner Stolz,
wenn auch sein Blut zu Eis geronnen.
Zu herrlich sind der Minne hohe Wonnen.
Ein Gebiss muss her, ruft er, und sei es auch aus Holz! –

Nun hält er´s in der Hand, das selten kostbare Gebilde,
er legt´ es an, den Gaumen zu gewöhnen –
soll´n ihn die Brüder doch verhöhnen!
Will reiten schnell zu seiner Braut in spe Mathilde.

Sein frohes Herz erfasst erneut erhöhte Liebesglut.
Er ruft zu sich den feschen Knappen:
He! Striegle mir den feurigsten Rappen!
Was lange währt, denkt er, wird endlich, endlich gut.

Geschwind jagt er dahin durch Wald und rote Heide,
durch Fluss und Tal und schwarzes Moor,
Schon steht Mathild´ am hohen Tor,
ihr gold´nes Haar erglänzt wie köstliches Geschmeide.

Er springt vom Pferd: He Knapp´, versorg´ das edle Ross!,
die Wangen rot, der Sinn voll Heiterkeit.
Sie neigt das Haupt, das Tor steht weit –
der Blicke Glut: Verwundert sieht´s der jungen Knappen Tross.

Am Linden-Brunnen lassen sich die Liebesleute nieder.
Des Lautenschlägers heit´res Spiel:
erspart dem Ritter Worte viel.
Ein Gaukler eilt herbei, sein Kleid so bunt wie Pfau-Gefieder.

Mathilde sieht ihn gern und klatscht vergnüglich in die Hände.
Der Ritter lacht befreit –
und sein Gebiss fliegt weit –
vergaß er doch die zarten Halte-Bände.

Ritt nach Jerusalem, hinein ins heilige Land,
wo er mit wenig echten Zähnen
unter wütenden Sarazenen
im Kampf die ewige Ruhe fand.
traudl ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.12.2022, 22:47   #2
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Hallo Traudl,
du bist noch nicht lange hier im Forum und ich weiß nicht, ob ich dir schon einen Willkommensgruß entboten habe. Wenn nicht, dann: Herzlich willkommen!
Deine Ballade vom Ritter mit dem Holzgebiss lässt mich vermuten, dass du nicht erst seit gestern der Dichtkunst frönst.
Es macht Spaß, ein fehlerloses Gedicht zu lesen, es macht auch Freude, wenn von der Form her alles stimmt und der Inhalt der Geschichte neu ist. Ich zumindest habe noch nie was von einem Gedicht dieses Inhalts gehört.
Chapeau - du hast ein tolles Stück abgeliefert.
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.12.2022, 19:44   #3
männlich traudl
 
Dabei seit: 11/2022
Beiträge: 44

HALLO Heinz,

vielen Dank für deine freundlichen Worte. Doch, ein Willkommnesgruß wurde mir schon geboten, und ja, ich bin kein Greenhorn mehr. Vor einiger Zeit verschwand das Gedichteforum, in dem ich lange unterwegs war, aus dem Netz, und damit auch meine Gedichte. Seitdem sitze ich auf einem Sack voll Poesie, der immer praller und - besser wird. Lange suchte ich nach einem passenden Forum, aber nichts sagte mir zu, aus Gründen, über die ich lieber schweige. Endlich stieß ich auf Poetry, das mir sofort zusagte, a) wegen der Übersichtlichkeit, b) wegen der Qualität der Beiträge. Nun öffne ich den Sack und lasse ab und zu ein Gedicht heraus. Nicht alles ist nobelpreiswürdig, aber ich bemühe mich, Themen und Stil mit gewissen Alleinstellungsmerkmalen zu versehen. Ob´s gelingt, wird sich zeigen.
Meine größte Genugtuung jedenfalls wird sein, der Leserschaft ab und zu eine Freude zu bereiten.
Liebe Grüße
Traudl
traudl ist offline   Mit Zitat antworten
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