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Alt 15.12.2022, 09:47   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Das ist Bert

„Das ist Bert." Marianne war sichtlich stolz auf ihren neuen Freund.
„Ein Wunder, dass sie noch einen abgekriegt hat", schoß es Rita durch den Kopf. „als bald geschiedene Frau mit drei Kindern. Und so schnell!" Ihre Schwester hatte sich erst vor neun Monaten von ihrem Mann getrennt oder besser gesagt, dieser sich von ihr, und ihren Bert hatte sie angeblich vor drei Wochen beim Einkaufen kennengelernt. Nach Mariannes verliebter Schwärmerei war Rita gespannt auf die kleine Familienfeier gewesen, in deren Runde Bert vorgestellt werden sollte.
Jetzt trat Bert auf sie zu, lächelte zuvorkommend und schüttelte ihr die Hand. „Du bist also die berühmte Schwester. Ich freue mich, dich kennenzulernen."
Rita musste lachen. „Berühmt nur im kleinen Kreis. So viel habe ich noch nicht veröffentlicht."
„Ich habe Ihr letztes Buch mit großem Interesse gelesen", bemerkte Bert. „Sie schreiben mit Esprit, das kann man nicht von allen Schriftstellern sagen."
„Oh, danke. Aber um Himmels willen, sag doch ‚Du' zu mir."
„Das meine ich auch", mischte sich Marianne ein, „du gehörst jetzt zur Familie." Sie drängte alle beide Richtung Wohnzimmer. „Nun setzt euch schon hin, Mama kommt gleich."
„Wo sind eigentlich die Kinder?", fragte Rita.
„Bei Herbert, es ist sein Wochenende." Mit diesen Worten verschwand Marianne in der Küche. Kurz darauf hörte man Geschirr klappern.
‚Auch das noch', dachte Rita, ‚jetzt darf ich ihn noch unterhalten.'
Zu ihrer Überraschung passierte das Gegenteil. Bert war äußerst charmant und aufmerksam, erzählte von seinen Hobbies und nie kam eine peinliche Stille auf. Als ihre Mutter kam, war Rita überzeugt, dass ihr der Traumkandidat- Schwiegersohn gegenüber sitzen würde. Sie hatte Mühe, nicht damit herauszuplatzen. Wahrscheinlich hätte Bert auch ihrem Vater gefallen, der vor einem Jahr verstorben war.

„Wie war es?", fragte Johanna sie später zu Hause.
„Der Typ ist geradezu unglaublich nett." Rita kuschelte sich an ihre Lebensgefährtin. „Du hättest mitkommen sollen."
„Du weißt doch, dass ich Familientreffen nichts abgewinnen kann." Johanna hatte nach einem Streit vor Jahren mit niemandem mehr aus ihrer Familie Kontakt und legte auch keinen Wert darauf, Ritas Familie näher kennenzulernen.
„Er hat mein letztes Buch gelesen und es gelobt", berichtete Rita.
„Und darauf fällst du rein?" Johanna sah sie amüsiert von der Seite an und drückte sie an sich. „Der Typ..."
„Er heißt Bert", unterbrach Rita.
„Also Bert - hat sich natürlich vorher informiert und wollte einen guten Eindruck machen. Kann sogar sein, dass er dein Buch wirklich gelesen hat."
„Natürlich hat er das." Rita versuchte, nicht allzu verärgert zu klingen, und Johanna ritt nicht weiter auf dem Thema herum.

Neun Monate später flatterte die Einladung zur Hochzeit von Marianne und Bert ins Haus. Johanna stöhnte, als sie die kunstvoll verzierte Karte mit Mariannes verschnörkelter Handschrift sah. „Die haben mich doch nicht etwa auch eingeladen?"
Natürlich hatten sie. Rita bestand darauf, dass Johanna mitkommen sollte. „Ich bitte dich selten um etwas. Das ist mir wichtig."
Johanna seufzte und schlug ihr die Bitte nicht ab.

Die Hochzeit war ein rauschendes Fest mit vielen Gästen, von denen Rita die wenigsten kannte. Aber ein Gutes hatte es: Johanna lernte Bert endlich näher kennen.
„Er ist wirklich nett", lautete ihr knapper Kommentar. „Aber er könnte andere Leute mal zu Wort kommen lassen."
„Ich habe mich gut mit ihm unterhalten", gab Rita zur Antwort. Eigentlich hatte Bert sie gut unterhalten. Aber was machte das schon?

In der nächsten Zeit war Rita sehr beschäftigt. Lesungen waren zu organisieren, und auf der Frankfurter Buchmesse signierte sie ihre Bücher für begeisterte Fans. Ständig war irgendein Verlag am Telefon, und als ihre Mutter zwischendurch anrief, begriff sie erst nicht, wer am Apparat war und um was es ging.
„Mama, ich habe jetzt wirklich keine Zeit...ja, dann mach das doch... Meinetwegen...bis später."
Offenbar ging es um irgendwelche Aktien.
„Mama ist ins Aktiengeschäft eingestiegen", erzählte sie Johanna abends am Telefon.
„Versteht deine Mutter etwas davon?"
„Glaube ich nicht. Sie will Bert das machen lassen. Mir wollte sie nur erzählen, dass Bert jetzt eine Vollmacht für ihre Finanzen hat. Falls sie demnächst stirbt, das ist ja ihre größte Sorge."
„Oh-oh", machte Johanna. „Ich würde keinem Fremden eine Vollmacht geben, egal wofür. Was hast du gesagt?"
„Dass mir das egal ist. Übrigens ist Bert kein Fremder, sondern ihr Schwiegersohn. Und er bietet ihr immer seine Hilfe an, sie sagt, sie braucht sich um gar nichts mehr selbst zu kümmern. Sie ist verdammt froh, dass Marianne ihn gefunden hat."
„Bert hat sie bequatscht", lautete Johannas Einschätzung. „Er bequatscht immer alle." Johanna war nach wie vor nicht von Berts Charakter überzeugt. Niemand sei edel, hilfreich und gut, wenn er nicht mit einer Gegenleistung rechne.
„Du mit deiner Misanthropie!" Verärgert legte Rita auf. Was wusste Johanna schon?
Aber Ihre Worte gingen ihr nicht aus dem Kopf.
Kurz entschlossen wählte sie Mariannes Nummer. Sie würde einfach mal nachfragen.

„Rita!", quietschte Marianne geradezu am Telefon. „Ich wollte dich auch anrufen. Bert feiert seinen 40. am 30. November. Kommt ihr?"
Überrumpelt sagte Rita zu, redete mit Marianne noch eine Weile über Kleinigkeiten und vergaß, sich nach Vollmachten und Aktienkäufen zu erkundigen.

Am Tag der Geburtstagsfeier rief ihre Mutter morgens an. Rita war in ihren neuen Roman vertieft, sie schrieb flüssig und nahm eher unwillig ab, als sie die Nummer auf dem Display sah. Was war so wichtig, dass es nicht bis abends warten konnte? Sollte sie noch ein Geschenk besorgen?
„Rita, ich wollte dir etwas sagen", begann ihre Mutter.
„Lass mich raten, ich soll noch ein Geschenk für Bert besorgen?"
„Nein, nein. Aber ich wollte dir etwas sagen. Heute Abend ist zu viel los. Ich wollte es dir in Ruhe sagen."
„Was denn, Mama?"
Rita stöhnte innerlich und warf Johanna, die ihr am Tisch gegenüber saß und gleichfalls an ihrem PC arbeitete, einen Blick zu, der ihre Ungeduld signalisieren sollte.
„Ja also... Bert hat mir so viel geholfen...er tut alles für mich... und du hast nie Zeit, bist immer unterwegs und verdienst ja auch gut ...ich habe mein Testament geändert und Bert meine Aktien vererbt...und also eigentlich alles - aber natürlich nur, wenn er mit Marianne verheiratet bleibt."
„Was ist los?", fragte Johanna, nachdem Rita minutenlang sprachlos mit dem Telefon in der Hand am Tisch gesessen hatte. „Alles in Ordnung?"
„Klar." Rita sah auf das jetzt stumme Telefon, ohne es aus der Hand zu legen.
„Aber ich glaube, wir gehen heute Abend nicht zur Party."

Geändert von DieSilbermöwe (15.12.2022 um 15:41 Uhr)
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Alt 15.12.2022, 13:39   #2
weiblich Ilka-Maria
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Beiträge: 31.089


Hallo, Silbermöwe,

man mag es nicht glauben, aber so naiv, wie du es hier beschreibst, sind manche Menschen tatsächlich. Aber ein solches Testament ist rechtlich angreifbar.

Zur Form der Geschichte: Wenn du schreibst, was jemandem durch den Kopf geht, kannst du die Gänsefüßchen weglassen. Eigentlich ist es nur bei wörtlicher Rede üblich, sie anzuführen. Manche Autoren setzen die Gedanken auch kursiv (muss aber nicht unbedingt sein).

Statt "von ihrem Mann" hätte ich von Beginn an Herberts Namen genannt; immerhin ist er Ritas Schwager.

Zum Inhalt: Hier habe ich wegen des knappen Zeitraums gestutzt. Um eine Scheidung zu beantragen, muss ein Trennungsjahr eingehalten und nachgewiesen werden. Marianne und Bert heiraten eineinviertel Jahr nach ihrer Trennung von Herbert. Das sieht für mich nach Stress aus. Zwar kann man im Vorfeld schon Dinge wie Vermögensaufteilung, Sorgerecht für die Kinder etc. regeln lassen, damit es später mit der Scheidung schneller geht, dennoch scheint mir bei einer längeren Ehe und drei Kindern ein Vierteljahr ein bisschen kurz, um das alles inklusive der Hochzeitsvorbereitungen durchzuziehen. Schließlich braucht ein Gericht Zeit für die Befassung mit dem Fall, die Terminsfestlegung usw., und auch die Heirat ist an Termine gebunden.

Vielleicht kennst du dich mit diesen Dingen besser aus als ich, es wäre deshalb zu überlegen, ob man hierzu noch etwas in die Geschichte aufnimmt.

LG
Ilka
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.12.2022, 15:40   #3
weiblich DieSilbermöwe
 
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Beiträge: 6.711


Hallo Ilka,

danke für deinen Kommentar.

Ja, du hast recht hiermit:

Zitat:
.Um eine Scheidung zu beantragen, muss ein Trennungsjahr eingehalten und nachgewiesen werden. Marianne und Bert heiraten eineinviertel Jahr nach ihrer Trennung von Herbert. Das sieht für mich nach Stress aus.
Das ist knapp, andererseits wollte ich aber deutlich machen, wie schnell Bert unbedingt heiraten wollte. Ich glaube, ich mache aus den sechs neun Monate.

Zu den Gänsefüßchen: Woanders wurde mir mal gesagt, man könne bei Gedanken auch ‘ statt " setzen. Ganz ohne Satzzeichen geht natürlich auch, finde ich aber für den Leser nicht so gut zu lesen.


LG DieSilbermöwe
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