Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Forum durchsuchen Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Kolumnen, Briefe und Tageseinträge

Kolumnen, Briefe und Tageseinträge Eure Essays und Glossen, Briefe, Tagebücher und Reiseberichte.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 06.02.2022, 14:33   #1
weiblich Inka
 
Benutzerbild von Inka
 
Dabei seit: 07/2021
Ort: Odenwald
Alter: 85
Beiträge: 302

Standard Die Sütterlinschrift

Mitte der achtziger Jahre fiel mir ein Buch von Helmut Peitsch: “Verlassen in der Heimat“ in die Hände. Nachdem ich dieses gelesen hatte, musste ich sehr schlucken und war ziemlich „durch den Wind“.

Die schlechte Versorgungslage in Polen wurde beschrieben. Ich bemühte mich um zwei Adressen von bedürftigen Familien. Diese versorgten mein Mann und ich jahrelang mit Paketen, die per LKW befördert wurden. Inhalt: vor allem gut erhaltene gebrauchte Kleidung für Kinder und Erwachsene.

Dankbare Empfänger waren seinerzeit die über achtzigjährige Frau Nischk in Allenstein / Olsztyn und eine polnische Familie mit sechs Kindern in Seegutten / Nowe Guty.

Als Frau N. von mir mal einen Brief in Sütterlinschrift erhielt, war ihr seinerzeit fünfzehnjähriger Urenkel so fasziniert von dieser und riss sich den Brief gleich unter den Nagel.

Tochter Ursel von Frau N. bat mich daraufhin, die Buchstaben einzeln auszudrucken. Ihr Enkel wollte sich die Schrift selbst beibringen. Wofür?

Zwei Jahre später fragte ich mal nach. Die Antwort: Der Junge benutzte die Schrift auf dem Gymnasium für Spickzettel und die Lehrer ahnten und erkannten nichts. Na, so ein Schlingel!

Ich selbst hatte diese Schrift nicht mehr in der Schule gelernt, da sie seit Anfang der vierziger Jahre nicht mehr gelehrt wurde. Meine Vermutung: unsere Oma muss meine „Lehrerin“ gewesen sein, denn im Winter 1944/45 in Lößnitz / Erzgebirge fiel mangels Heizmaterial oft der Unterricht aus und irgendwie musste sie sich mit mir beschäftigen. Sie kannte nur diese Schrift und die finde ich toll, muss ich sagen. Lesen kann ich sie, schreiben nur per PC. Auch die Frakturschriften gefallen mir sehr und verwende sie oft.

Mit Ursel stehe ich noch in brieflicher Verbindung. Ihr Enkel bzw. der Urenkel von Frau N., lebt mit Frau und zwei Kindern seit einigen Jahren in Leipzig.

(geschrieben am 15.9.20)

Ursel und ihr Mann waren Lehrkräfte. Er unterrichtete für einige Jahre naturwissenschaftliche Fächer in einem Gefängnis in Wartenstein, in dem Erich Koch - Gauleiter von Ostpreußen – bis zu seinem Ableben 1986 einsaß. E. Koch bekam nur einmal im Jahr von einer Nichte aus Deutschland Besuch. Beim täglichen Hofgang hätte er immer die Vögel mit Brotkrumen gefüttert.
Inka ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.02.2022, 15:05   #2
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.878

Hallo Inka,
die Sütterlinschrift - nee, ich habe sie auch nicht in der Schule gelernt. Sie zu lesen brachte mir mein Urgroßvater bei, sie zu schreiben, wurde für mich zum Hobby. Übrig geblieben ist, dass ich für meine Unterschrift heute noch die Sütterlinschrift benutze. Bis in die siebziger Jahre war sie bei mir beim Briefwechsel mit drei älteren Verwandten geläufig und ihre Kenntnis hilft mir heute noch, manche Texte zu entziffern.
Mir fällt gerade ein, dass ich beim Erlernen der Schrift in den fünfziger Jahren
ein bedrucktes Löschblatt zu Hilfe nahm. Auf dem Löschblatt waren die Buchstaben in der üblichen "lateinischen" und in Sütterlinschrift gedruckt.
Nette, nostalgische Gedanken!
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 06.02.2022, 19:15   #3
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City, auf der richtigen Seite des Mains
Beiträge: 31.042

Zitat:
Zitat von Inka Beitrag anzeigen
Ich selbst hatte diese Schrift nicht mehr in der Schule gelernt, da sie seit Anfang der vierziger Jahre nicht mehr gelehrt wurde.
An meiner Schule in Offenbach wurde uns noch Sütterlin beigebracht, in der 3. Klasse, das war 1959. War auch gut so, denn meine Oma nutzte diese Schrift noch regelmäßig. Ich finde es schade, dass sie nicht mehr gelehrt wird.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.02.2022, 20:50   #4
weiblich Inka
 
Benutzerbild von Inka
 
Dabei seit: 07/2021
Ort: Odenwald
Alter: 85
Beiträge: 302

Lieber Heinz,

es freut mich sehr, dass Du auch ein Faible für diese Schrift hast. Mir fiel jetzt erst auf, dass mein Mann (geb.1927) bei Unterschriften ja immer am Anfang seines Vornamens ein Sütterlin-„K“ verwendet?

Vor etlichen Jahren erhielt ich eine in Sütterlin geschriebene Broschur-Kopie einer Schulchronik von Nidden (Kurische Nehrung), 1897 - 1918. Zu diesem Ort haben wir eine gewisse Beziehung, verbrachten zwischen 1990 und 2004 des Öfteren unseren Urlaub dort, deshalb…

Zunächst wollte ich mich nur testen, ob ich diese von diversen Lehrern und Pfarrern geschriebenen 34 DIN-A-Seiten überhaupt entziffern kann. Es klappte, bis auf einige Wörter. Da half mir ein älterer Herr aus Kiel, dem ich die Seiten zumailte, weiter.

Anfang August 2013 erhielt ich einen Anruf von der Historikerin Vilija G. aus Vilnius. Man war auf der Suche nach dem Original dieser Chronik, die trotz all meiner Verrenkungen nicht aufzutreiben war. Hatte alle möglichen Stellen angeschrieben.

Es ging darum: der litauische Herausgeber des geplanten Buches hatte die Originalchronik von 1918-1945 in Berlin ersteigert. Die Übersetzung der Sütterlinschrift für ein Buch war schon abgeschlossen, aber dann fiel ihnen zufällig der 1. Teil (1897-1918), von dessen Existenz man nichts ahnte, in die Hände. Also schrieb man weiter ab und das Buch ist nun doppelt so dick.

Vilija G. schrieb mir am 3.8.13: Für unsere Publikation, die schon fast fertig zum Druck vorliegt, würden wir so sehr das Original benötigen - für die genaue Beschreibung der Handschrift, das würde den Wert der Publikation natürlich besonders erhöhen. Es wäre ein großer Erfolg, wenn Sie uns helfen könnten, das "Garnende" zu finden.

Ich wünsche Dir noch einen schönen Abend!

Liebe Grüße von Inka

P.S. Ich weiß, dass Du aus Jena stammst. Ich liebe diese Stadt, besuchte in den 50er Jahren dort die Berufsschule - Nähe Paradies. Ich hatte unlängst Deine Geschichten über Jena entdeckt und sie herauskopiert, leider aber noch keine Zeit gefunden, sie zu lesen.

Der Lieblingsspruch meines Mannes: in Jene lebt sich‘s beene.

Er war einer der Letzten aus seiner Klasse in Jena (Realschule), der im Januar 1945 zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Im November 1945 – einen Tag vor seinem 18. Geburtstag wurde er aus russischer Gefangenschaft - in Stolzenhagen – entlassen.

Im Herbst 1945 landeten wir als Flüchtlinge auf einem Rittergut in Droschka, nur 3 km von Bürgel entfernt, wo mein Mann lebte. Zu dem Zeitpunkt kannten wir uns aber noch nicht.
Inka ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.02.2022, 20:52   #5
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.878

Liebe Ilka-Maria,
ich hab sie ja auch ganz gern geschrieben. Sie erforderte, wenn das Schriftbild nach was aussehen sollte, wesentlich mehr Disziplin. Aber, wie es so mit alten Schriften geht - sie sind dahin wie die Keilschrift und die Hieroglyphen und es gibt schlimmere Verluste.
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 06.02.2022, 20:58   #6
weiblich Inka
 
Benutzerbild von Inka
 
Dabei seit: 07/2021
Ort: Odenwald
Alter: 85
Beiträge: 302

Liebe Ilka,

ich hörte schon mal davon, dass man an einigen Schulen, sogar noch vor wenigen Jahren, diese Schrift mit einbaute. Manchmal von Vorteil, wenn man sie wenigstens lesen kann.

Meine über siebenundachtzig Jahre alten Bekannten und Verwandten freuen sich immer riesig, wenn sie von mir einen in Sütterlin geschriebenen Brief erhalten.

LG von Inka
Inka ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.02.2022, 21:01   #7
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City, auf der richtigen Seite des Mains
Beiträge: 31.042

Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
... und es gibt schlimmere Verluste.
Sag das nicht, Heinz. Heutzutage tun sich viele Leute schon schwer damit, Frakturschrift zu lesen. Obwohl in Bibliotheken noch viele Bücher mit diesem Druckbild stehen und gelesen werden wollen.

Und ganz schlimm wird es für viele Menschen, wenn sie Handschriften lesen sollen. Da geht oft gar nichts mehr.

Außerdem: Jeder kulturelle Verlust ist und bleibt ein Verlust. Wie die Schriften, so verschwinden auch immer mehr Sprachen.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.02.2022, 23:10   #8
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.878

ich vermute mal, Du weißt es: Die angeblichen Hitlertagebücher hatten zwei Großbuchstaben auf den Buchtitelseiten, die als Abkürzungen für Vor- und Nachnamen des angeblichen Verfassers (AH) dienen sollten. Dem Fälscher der Tagebücher (Konrad Kujau) unterlief mangels ausreichender Kenntnis ein Lapsus, denn auf den Titelseiten prangen die Großbuchstaben die Initialen FH.
Ich denke, Du wirst Dich genauso gut wie ich an diese größte Lachnummer der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit erinnern.
H.
Heinz ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 07.02.2022, 02:33   #9
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City, auf der richtigen Seite des Mains
Beiträge: 31.042

Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
Ich denke, Du wirst Dich genauso gut wie ich an diese größte Lachnummer der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit erinnern.
Erinnern schon; aber die Sache hatte mich nie interessiert. Habe mir bis heute nicht einmal die Verfilmung angesehen.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.02.2022, 16:00   #10
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.878

Liebe Ilka-Maria,
eine Bemerkung von Dir ("Jeder kulturelle Verlust ist und bleibt ein Verlust. Wie die Schriften, so verschwinden auch immer mehr Sprachen") hat mir keine Ruhe gelassen. Handelt es beim "Verschwinden" der Sütterlinschrift wirklich um einen kulturellen Verlust? Ab wann und wie lange gab es die Sütterlinschrift? Ich werde Dich jetzt nicht mit Daten füttern, die ich bisher selbst nicht kannte, aber es waren nur ein paar Jahrzehnte (und die "ablosende" Schrift, wir nennen sie "lateinisch", war auch eine Sütterlinentwicklung. Wie schrieben die Leute vorher, also vor Einführung der Sütterlinschrift? Wie - das interessierte mich nun ganz besonders - schrieb Goethe? Das Schriftbild ist der Sütterlinschrift ähnlich und gefällig. Die Änderung der "Kurrentschrift" zur Sütterlinschrift und dann zur lateinischen Schrift hatte keine kulturumstürzlerische Gründe, vielmehr waren da wohl moderne Errungenschaften der Schreibwerkzeuge verantwortlich. Man schrieb immer weniger mit dem Gänsekiel. Was die gedruckten Schriften angeht: Ich kann genau wie Du mühelos Texte in Frakturschrift lesen, kann aber auch verstehen, wenn man sich heute mit den üblichen Schrifttypen weniger Mühe macht.
Kurzum: Für mich ist es kein kultureller Untergang, sondern ein Fortschritt, wenn man leichter erlernbare Schriften entwickelt.
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 07.02.2022, 16:26   #11
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City, auf der richtigen Seite des Mains
Beiträge: 31.042

Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
Kurzum: Für mich ist es kein kultureller Untergang, sondern ein Fortschritt, wenn man leichter erlernbare Schriften entwickelt.
Du missverstehst mich, Heinz. Das scheint aber nicht an dir, sondern an meinen Ausführungen zu liegen.

Natürlich ist es ein Fortschritt, sich das Leben leichter zu machen, indem man die Dinge - vor allem des täglichen Gebrauchs - einfacher macht, aber auch kompatibler im Austausch mit anderen Kulturen. Mit dem Auto oder dem Zug bin ich eben schneller in Berlin als mit einer Pferdekutsche.

Ich sprach allerdings nicht vom Untergang einer Kultur, sondern von ihrem Verlust, und damit meinte ich nicht, dass sie keine Anwendung mehr findet, sondern dass immer mehr Menschen von manchen Kulturen nicht mehr wissen, dass es sie jemals gegeben hat. Ich kann die Sütterlin-Schrift heute nicht mehr flüssig schreiben, aber wenn sie mir begegnet, kann ich sie lesen und verstehen, wie z.B. die alten Koch- und Backrezepte meiner Großmutter. Und weil du Goethe erwähnt hast: Ich weiß nicht, wie sein Schriftbild aussah, aber ich weiß, dass er und seine Zeitgenossen viele Wörter in einer völlig anderen Bedeutung angewandt hatten, als wir sie heute verwenden. Sollte man wissen, wenn man ihre Texte richtig verstehen will. Selber darf man diese Wörter trotzdem "modern" anwenden.

Ein anderes Beispiel sind die Malereien aus grauer Vorzeit, die in Höhlen entdeckt wurden. Unsere modernen Maler, u.a. Picasso, sind aus allen Wolken gefallen, als sie erstmals die Malereien sahen, weil sie erkennen mussten, dass ihre "Moderne" gar nicht so modern war, wie sie bis dahin geglaubt hatten. "Die haben ja schon so gemalt wie wir", sagte der Spanier betroffen, "das war ja damals schon alles da!" Ich finde es gut, dass man diese uralte Kultur so gut erhalten entdeckt hat.

Übrigens soll es Leute geben, die immer noch das Große Latinum lernen. Dialekte sind wieder im Kommen, und wie ich gestern erfahren habe, wird in einer Schule - ich glaube in Hamburg - auch wieder Platt gelehrt. Ich hatte in meiner Schulzeit sogar etliche Strophen des Nibelungenliedes und einige alte Gedichte (Kürenberg, Vogelweide) in Mittelhochdeutsch lernen müssen. Hatte mir nicht geschadet, fand ich sogar spannend.

Kurz gesagt, Heinz: Du darfst weiterhin Porsche fahren und mit deinem Smartphone telefonieren, ohne die vergangenen Kulturen der Menschheitsgeschichte zu beweinen, aber die Freude an ihnen sollte man sich erhalten. Ist auch gut für das Gehirn, denn bei allem, was es aufnimmt, arbeiten die Synapsen. Aber das weißt du ja selber.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.02.2022, 17:04   #12
weiblich Inka
 
Benutzerbild von Inka
 
Dabei seit: 07/2021
Ort: Odenwald
Alter: 85
Beiträge: 302

Liebe Ilka-Maria,

habe die Goethe-Schrift schon seit vielen Jahren in meinem Programm, mal bei dafont.com, sowie andere interessante Schriften, heruntergeladen. Ich schicke Dir ein paar Zeilen in dieser Schrift als Anhang zu, denn anders würde es nicht funktionieren.

LG von Inka
Inka ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.02.2022, 17:12   #13
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City, auf der richtigen Seite des Mains
Beiträge: 31.042

Super!. Danke.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.02.2022, 09:02   #14
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City, auf der richtigen Seite des Mains
Beiträge: 31.042

Standard Sütterlin-/Kurrentschrift: Wie schrieb Goethe?

Nachdem mir Inka das angekündigte Dokument zugeschickt hat, habe ich selber ein bisschen recherchiert. War nicht schwierig, denn im Internet gibt es stapelweise Bilder von Goethes Handschrift.

Demnach schrieb er in Kurrentschrift, auf der die Sütterlinschrift aufbaute. Die Kurrent war von Anfang des 16. Jh. bis Anfang des 19. Jh. die übliche Schrift in den deutschen Ländern inkl. Preußen. Die Sütterlin wurde davon etwas abgewandelt, um Schülern das Schreiben zu erleichtern.

Im Anhang sind zwei Dokumente in Kurrent, ein Brief in Goethes Kinderhandschrift und seine handschriftliche Aufzeichnung des "Prometheus".

Soweit ich den Anfang des Briefes entziffern konnte, beginnt er mit den Worten:

"Ich habe ihren Brief vom 30sten Jan. erhalten, deßen Inhalt mich wohl hätte hintergehen können ..."

Gerichtet scheint er an den Bischof von Breslau gerichtet zu sein, da bin ich mir aber nicht zu hundert Prozent sicher.
Angehängte Dateien
Dateityp: pdf Kinderhandschrift_Goethe_1758.pdf (93,5 KB, 13x aufgerufen)
Dateityp: pdf Handschrift_Goethe_Prometheus.pdf (110,9 KB, 15x aufgerufen)
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.02.2022, 19:05   #15
weiblich Inka
 
Benutzerbild von Inka
 
Dabei seit: 07/2021
Ort: Odenwald
Alter: 85
Beiträge: 302

Ich habe versucht, die Schrift bei Prometheus zu entziffern – äußerst schwierig. Bei der Kinderschrift geht es noch einigermaßen.

Falls jemand interessiert ist, nachfolgend ein Link:

https://www.youtube.com/watch?v=W-YycHKPVmA
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE - PROMETHEUS
Inka ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.02.2022, 18:09   #16
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.878

Liebe Inka,
was das Entziffern der Goethehandschrift (wie Ilka richtig bemerkte, handelt es sich um die Schriftart Kurrent), fällt mir vielleicht deshalb nicht ganz so schwer, weil ich den Inhalt der Gedichte (z.B. Prometheus, Mahomets Gesang u.a.) ganz gut kenne. Und deshalb weiß ich, dass es z,B, in der Handschrift Goethes im dritten Vers des Prometheus hei0t: "Und übe, Knaben gleich...". Hätte ich die Chupze Goethe zu kritisieren, würde ich ihm empfehlen
"Und übe, dem Knaben gleich..."
Durch spätere Überarbeitung (ich weiß nicht genau, ob sie von Goethe selbst stammt, ist zum Ende des Gedichts hin ein Wort verkürzt worden (leider, wie ich meine). Tatsächlich steht in der handschriftlichen Fassung
"Wähntest du etwa,
ich sollte das Leben hassen,
in Wüsten fliehn,
weil nicht alle Knabenmorgenblütenträume reiften?"
Nach wie vor bin ich der Ansicht, dass mit dem Verschwinden der Sütterlinschrift (so sehr ich sie mag) kein unschätzbares Kulturgut den Bach runter geht. Sie, die Sütterlinschrift war etwa 30 Jahre die gebräuchliche Schrift.
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 21.11.2022, 22:00   #17
männlich Heinrich
 
Benutzerbild von Heinrich
 
Dabei seit: 11/2022
Beiträge: 9

Hallo zusammen,

ich habe gezielt nach Kurrent gesucht im Forum und tatsächlich "nur" ein Thema dazu gefunden. Ich finde es unglaublich interessant, dass es vielen Menschen schlichtweg egal ist, WIE viele alte Klassiker zu Papier gebracht wurden. Sicherlich tut es dem Inhalt nichts ab, aber es sagt doch einiges über die Entstehungszeit dieser Werke aus. Eine ganz feine Ästhetik finde ich immer wieder bei Werken von Goethe, Schiller, Kleist, etc. natürlich auch eine Wortgewandte die als solche heute gilt, weil einige Worte nicht mehr denselben Zweck erfüllen wie damals. Seis drum, aber es vermittelt mir immer ein ganzes, ein vollumfängliches Bild eines solchen "alten" Werkes oder zumindest eines Werkes aus dieser Zeit.
Die Ästhetik der Lyrik beginnt mit der Schrift. So halte ich es zumindest. Ich schreibe alle, alle wäre wohl doch übertrieben, aber doch gut 90 Prozent aller Gedichte oder Erzählungen und so weiter zuerst in Kurrent. Nicht nur weil es mir Spaß macht, es gibt mir regelrecht eine Inspiration aus den feinen Linien feine Worte entstehen zu lassen.
Also kurzum, die Kurrentschrift ist durchaus mehr als eine Schriftart oder ein Schriftbild, zumindest für den ein oder anderen.

Zum Thema Kulturverlust: Schade finde ich es schon, dass die Kurrent- oder zumindest mal die kindliche Sütterlinschrift nicht EINMAL wirklich Erwähnung im heutigen Unterricht findet. Freilich kann ich nicht von der ganzen Bundesrepublik sprechen und ob es doch die eine Ausnahme gibt. Aber nach all den Recherchen die ich dazu geführt habe scheint es in der Tat ernüchtern, es ist definitiv nicht vorgesehen. Werde in Deutsch noch im Leistungskurs Deutsch, nicht einmal in Geschichte. Selbst bei den Germanistikstudiengängen bin ich nicht sicher, ob man da halbwegs drauf eingeht. Diese Schrift ist nicht mehr aktuell noch modern, ABER sie war ein essenzieller Teil der deutschen Kultur, der Kulturepoche der Dichter und Denker. Außerdem wäre es nicht verkehrt, wenn die Basics vermittelt würden, damit, ein Williger auch mal einen alten Brief oder eine alte Schrift lesen kann. Deshalb finde ich es sehr schade und habe absolutes Unverständnis dafür, dass dieser Schrift nicht einmal eine mickrige Doppelstunde an den heutigen Schulen eingeräumt wird. Bereichernd wäre es wohl mehr als so mancher Lehrfilm oder so manches drittklassige Buch, bei dem am Ende eine Zusammenfassung via Wikipedia abgeschrieben wird.

Und ich freue mich in der Tat, dass Leute wie Inka die Schrift nicht gänzlich sterben lassen.

Das musste raus

Viele liebe Grüße
Heinrich
Heinrich ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.11.2022, 23:59   #18
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.878

Lieber Heinrich,
vor den heute gebräuchlichen Schriftarten ("latein" und "Blockschrift) schrieben unsere Eltern und Großeltern die von Sütterlin "erfundene" Schrift, die Urgroßeltern benutzten die Frakturschrift (aus der Sütterlin die nach ihm benannte Schrift entwickelte).
Fraktur zu lesen macht mir keine Mühe, Sütterlin kann ich schreiben und lesen.
Die Sütterlinschrift war, ich habe es weiter oben schon erwähnt, gerade mal 30 Jahre im Gebrauch. Also - von historisch unschätzbaren Wert ist sie nicht.
Stell dir mal vor, jemand käme auf die Idee, den Ägyptern beibringen zu wollen, ihr Schriftgut und ihre Korrespondenz in Hyroglyphen zu schreiben (wie es ja über Jahrhunderte, was sage ich, über drei Jahrtausende üblich war.
Du schreibst deine Gedichte in Kurrentschrift. Das sei dir unbenommen. Der schon öfter erwähnte Goethe tat das ja auch, wenn er jemanden eines seiner Gedichte handschriftlich widmete. In seinen "gesetzteren" Jahren hat er seine Texte diktiert.
Den ästhetischen Genuss beim Lesen sauber geschriebener Texte kann ich nachvollziehen und ich erfreue mich immer wieder an einem Gedichtband, in dem mit zierlicher, sehr schöner Handschrift ein wunderbares Andenken an eine ebenso wunderbare Frau entstanden ist.
Ich selbst war durch äußerst unangenehme Bedingungen für meine Lebensführung gezwungen, meine Gedichte in möglichst kleiner Schrift (notgedrungen benutzte ich die Blockschrift) zu Papier zu bringen. Die einzige Möglichkeit außer dem Auswendiglernen, meine "Werke" zu retten, war diese Kleinschrift, weil ich pro Monat nur dreimal 2 DIN A 4 - Seiten zur Verfügung hatte, um mit meiner Frau und meinen Kindern zu korrespondieren. In Sütterlin geschrieben wären die Briefe gar nicht durch die Kontrolle gegangen.
Heute schreibe ich fast alles mit dem PC. Handschriftliches gibt es auch, wenn ich mal unterwegs bin und mir fallen goldene Worte ein.
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist gerade online   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Die Sütterlinschrift

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche



Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.