Auf der Suche

[Ralph Anson]

Eigentlich sollte es einfach sein, den richtigen Weg zu finden. Vom
Ausflugslokal geradeaus den Hauptweg in den Wald hinein und dann an
einer Wegkreuzung rechts. Aber es war, wie jedes Mal, so einfach dann doch nicht. Dabei ist er früher ein paar Mal an Wochenenden hier gewesen, zum Heidelbeeren pflücken. Und wie immer hatte er auch heute ein kleines Eimerchen in der Hand.

Mit dem Auto seiner Eltern war es von zu Hause wohl eine halbe Stunde
über die Autobahn Richtung Süden und dann ein kurzes Stück Strasse bis
dahin. Jedes Jahr zum Ende des Sommers hin, wenn die Heidelbeeren reif
wurden, war es ein Ausflugsziel. Bei schönem Wetter wurden kurze
Lederhosen angezogen, die damals Mode und schwer zu bekommen
waren. Vieles Andere übrigens auch.
Die Fahrt über die Autobahn zum Dahin war interessant, obwohl relativ
wenig Autos seinerzeit unterwegs waren. Aber es waren eben solche
dabei, die man gewöhnlicherweise in den Städten nicht sah, die aus
anderen Ländern kamen.

Auf dem Parkplatz angekommen, gab es besagtes Eimerchen und los ging
es. Ziel war es, so viele Heidelbeeren wie möglich zu sammeln, damit es
zu Hause für einen Sonntagsnachtisch für alle reichte. Mit Milch, eine
leckere Sache, aber noch besser war es, sie gleich in den Mund zu
stecken! Und man bekam so herrlich blaue Finger dabei!
Das Wichtigste für ihn war jedoch nicht die Suche nach Heidelbeeren -
nein viel Interessanter war etwas ganz anderes!
Eine kleine, rumpelnde Schmalspur-Lorenbahn. Denn neben dem
Ausflugslokal gab es noch eine Moorbadklinik und diese brauchte Torf
und der wurde auf Moorwiesen gestochen, die sich unterhalb des
angrenzenden Waldes befanden. Von dort aus brachte diese Moorbahn,
gezogen von einer kleinen Diesellok, ihre Loren mit der Fracht zum
Bestimmungsort. Und immer wieder galt sein Interesse dem Auffinden
der Schienen.

Zwar hat man als Kind schon einen relativ guten Orientierungssinn, aber
die Waldwege sahen ja immer gleich aus und manchmal wurde die
Pflückerei sicherlich auch an einer anderen Stelle begonnen.
Waren die Schienen dann gefunden, hieß es eigentlich nur noch warten,
ob die Bahn denn zufällig durch Wald gerumpelt kam, was wohl nicht oft
geschah. Manchmal durften die Gleise, krumm und schief wie sie
teilweise lagen, auch ein Stück entlang gegangen werden. Aber immer
Obacht gebend, dass nicht doch die Bahn plötzlich auftauchte!
Was allerdings auch kein Problem gewesen wäre, so langsam und
gemächlich wie sie daher gezuckelt kam.

Und just dieser Tag sollte noch zu einem besonderen werden. Diesmal
ging es auf den Schienen bis zu den Moorwiesen und da stand an der
Beladestation tatsächlich die kleine Lorenbahn und wartete darauf, dass
die letzten Torfstücke aufgeladen wurden und die Fahrt losgehen konnte.
Wie es dann dazu kam, kann er sich nicht mehr erinnern - auf jeden Fall
ergab sich jetzt und hier die Gelegenheit, auf der kleinen Lok ein Stück
mit zu fahren! Und das war natürlich das Erlebnis schlechthin, einmal
mitfahren zu dürfen auf dieser kleinen, rumpeligen Bahn, ein Stück durch
den Wald, auf krummen Gleisen, die sich manchmal wie Wellen durch
den Wald zogen…

Viele Jahre später, wieder auf dem Parkplatz am Ausflugslokal und nun
kein Kind mehr, überlegte er, welche Richtung man denn nehmen müsste,
um den Weg in die Kindheit zu finden.