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Liebe, Romantik und Leidenschaft Gedichte über Liebe, Herzschmerz, Sehnsucht und Leidenschaft.

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Alt 13.08.2022, 14:53   #1
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.089

Standard Sterbender Faun

Bring mich zum Lager am Stamm meiner Linde,
lausche dem Lied meiner Liebe zu dir,
dann nimm die Flöte und gib sie dem Kinde,
bald schon, Geliebte, bin ich nicht mehr hier.

Halte die Hand mir verrufenem Alten,
Dank bin ich schuldig, du zürntest mir nie,
nichts, was ich tat, ließ dein Herz je erkalten,
Großmut wie deine erwächst aus Magie.

Ja, ich bin dankbar. Du warst mir zur Seite,
bist es auch jetzt und wie immer mir treu,
du bist das Leben, aus dem ich nun scheide,
schließ mir die Lider und tu’s ohne Scheu.

Schwör mir nur eins: Gib dem Kind meine Flöte,
schicke es damit hinaus über Land,
freudigen Spieles zu lindern die Nöte.
Schwör es! Und drück zum Beweis meine Hand.

13.08.2022
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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Alt 13.08.2022, 16:02   #2
männlich Ex-Tristanhirte
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Dabei seit: 12/2021
Beiträge: 139

Ach ja, das ließt sich sehr wohlig rührig liebe Ilka. Wirklich sehr hübsch, auch die Daktylen. Die Idee einer dahinscheidenden mythologischen Figur ist wirklich sehr fein, hätte man am Schluss für meinen Geschmack aber vielleicht noch ein wenig auf eine metaphorische Ebene heben können - der letzte Vers passt für mich irgendwie nicht so ganz, sein formelhaft-moderner und alltäglicher Duktus dissoniert mit dem mythologischen Stoff, ebenso wie die heute auch ein wenig mit dem Bürgertum in Verbindung gebrachte Idee der lebenslänglichen Treue aus der dritten Strophe, wenngleich sie natürlich nicht neu ist, durch moderne Elemente für mich aber eher verhärtet wird (ich verbinde damit assoziativ vor allem die bürgerliche Ehe) - passt Bürgerlichkeit und lebenslängliche Treue wirklich zum sirenenden Faun? Hm. Die Assoziationskette ist natürlich subjektiv, aber ich denke, nicht ganz unbegründet. Das war jetzt sehr viel Kritik für einen Text, der eigentlich gefällt, hoffentlich aber nachvollziehbar.

LG
Ex-Tristanhirte ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.08.2022, 18:08   #3
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Liebe Ilka-Maria,
solche Gedichte sind geeignet, den Ehrgeiz zu wecken, ähnlich Gutes hervorzubringen. In Deinem gedicht geht es offensichtlich um einen alternden Faun, der sich dem Tod nahe fühlt und so gar nicht dem (falschen) Bild eines lüsternen Alten entspricht. Seine letzte Bitte ist die Übergabe seiner Flöte an das Kind (ich denke, seinem Sohn), auf dass der Gutes bewirke. Das gewählte Versmaß (Tristanhirte erwähnte schon die "hübschen Daktylen) passt ganz wunderbar zu der erzählten Geschichte.

Lieber Tristanhirte,
ich bin mir nicht sicher, ob die mythologische Figur, der Waldgott Faun, von Dir richtig eingeordnet wird. Dass die Christen aus ihm so etwas wie einen Waltsatan gemacht haben, ihn, der immerhin der Pflanzenwelt (Fauna) den Namen gab, der flötespielend für gute Ernten sorgte, ist ein altbekannter Trick des Klerus, gute Götter zu verteufeln. Schau Dir mal den "Barberinischen Faun" im Saal der Glyptothek in München an, eine Marmorskulptur des alten Rom aus dem Jahr 220 v.Chr. an, eine der sinnlichsten Skulpturen der Welt, um mir nachfühlen zu können, was ich (und wohl auch Ilka-Maria) empfinde, wenn von einm Faun die Rede ist. Dann passt das Gedicht und die Assoziationskette ist überaus stimmig.

Liebe Grüße Euch beiden,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.08.2022, 19:03   #4
männlich Ex-Tristanhirte
abgemeldet
 
Dabei seit: 12/2021
Beiträge: 139

@Heinz Ah ja, das wusste ich nicht, spannend. Aber bestand die Verbindung von Schrecken und Fruchtbarkeit/Sinnlichkeit nicht schon seit der Antike / vor dem Christentum? Die unterschiedliche Auslegung mythologischer Figuren war ja keine Seltenheit. Vor allem im 19. Jh wurde sie glaube ich oft derart rezipiert, v.a von ästhetizistischen Strömungen und in Ansätzen auch von Komponisten wie Debussy in seinem berühmter Mallarmè-Vertonung Prélude à l’après-midi d’un faune (https://youtu.be/Y9iDOt2WbjY). Dort wurde der Faun ja mehr mit einer der Realität entfliehenden und sie sublimierenden Figur in Verbindung gebracht. Die Idee, eine solche Figur würde irgendwann wie ein Mensch altern und „das rechte Maß“ gefunden haben, ist sicher charmant, wenngleich in der Insistenz auf ihre Gültigkeit auch bei einer Figur, die nun für das genaue Gegenteil bekannt ist (zumindest innerhalb dieses Rezeptionsstranges), auch wieder etwas bürgerlich (wenngleich diese Annahme in unserer heutigen Welt wohl keineswegs falsch wäre). Da will ich jetzt aber nicht Korinthen kacken. LG
Ex-Tristanhirte ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.08.2022, 20:23   #5
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.089

Habt Dank, Heinz und Tristanhirte, für eure Gedanken zu dem Gedicht. Natürlich kann man sich bei einer Interpretation allein mit der mythologischen Figur des Fauns befassen. Aber was ist mit der metaphorischen oder allegorischen Ebene?

Wieviele Menschen, Männer wie Frauen, konnten nur deshalb ihre Mission erfüllen, weil im Hintergrund ein Partner war, der ihnen den Rücken stärkte, der in kritischen Phasen zur Stelle war und alle Widrigkeiten mittrug? Oder weil Nachfolger bereitstanden, den Stab zu übernehmen?
__________________

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