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08.04.2011, 10:55 | #67 |
R.I.P.
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Ein wahrhaft edles Vorhaben!
Das Du wohl mit vollem Herzen zustande bringen wirst! Ich selbst bekam ob der Schönheit des Gedichtes einen Kloß in den Hals. |
08.04.2011, 11:10 | #68 |
wirklich wunderschönes gedicht @Odiumediae
Kp Thing nächstes mal schreib ich was dazu! mir ist auch noch eins eingefallen, der ist auch ziemlich jung im II. WK gefallen, soviel ich weiß im rückkampf 44, nach drei jahren einsatz! Bankkaufmann lehre angefangen, obwohl er literat werden wollte, hat mir n freund gezeigt der ne arbeit über genozid schreibt! Die Juden ermordet, als brüllende Horde nach Russland marschiert, die Menschen geknebelt, im Blute gesäbelt, vom Clowne geführt, sind wir die Gesandten des allwärts Bekannten und waten in Blut. Wir tragen die Fahnen Der arischen Ahnen: Sie stehen uns gut. Willy Peter Reese |
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08.04.2011, 11:12 | #69 |
R.I.P.
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Ja, sehr bedrückend.
Da stimmen Ton und Knappheit - lapidarisch. |
08.04.2011, 11:58 | #70 |
gut gesagt, ist der stil der mir eindeutig zusagt, die worte fallen in einem fluss und einem zug;
gedicht oben - viele schreiben an die nacht ... novalis Hymnen; und hier nietzsche kennt ihr alle sicherlich. O Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? "Ich schlief, ich schlief -, Aus tiefem Traum bin ich erwacht: - Die Welt ist tief, Und tiefer als der Tag gedacht, Tief ist ihr Weh -, Lust - tiefer noch als Herzeleid: Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit -, - will tiefe, tiefe Ewigkeit!" ist schön mal ne gegenteilige ansicht zu lesen, nachmittag, sonne ist am versiegen leben ist noch in der welt, und bald kommt dunkel, die trägheit ist schon zu spüren und so ... ist cool! |
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08.04.2011, 12:30 | #71 |
Rainer Maria Rilke
Für Wolf Graf von Kalckreuth
Geschrieben am 4. und 5. November 1908, in Paris Sah ich dich wirklich nie? Mir ist das Herz so schwer von dir wie von zu schwerem Anfang, den man hinausschiebt. Daß ich dich begänne zu sagen, Toter der du bist; du gerne, du leidenschaftlich Toter. War das so erleichternd wie du meintest, oder war das Nichtmehrleben doch noch weit vom Totsein? Du wähntest, besser zu besitzen dort, wo keiner Wert legt auf Besitz. Dir schien, dort drüben wärst du innen in der Landschaft, die wie ein Bild hier immer vor dir zuging, und kämst von innen her in die Geliebte und gingest hin durch alles, stark und schwingend. O daß du nun die Täuschung nicht zu lang nachtrügest deinem knabenhaften Irrtum. Daß du, gelöst in einer Strömung Wehmut und hingerissen, halb nur bei Bewußtsein, in der Bewegung um die fernen Sterne die Freude fändest, die du von hier fort verlegt hast in das Totsein deiner Träume. Wie nahe warst du, Lieber, hier an ihr. Wie war sie hier zuhaus, die, die du meintest, die ernste Freude deiner strengen Sehnsucht. Wenn du, enttäuscht von Glücklichsein und Unglück, dich in dich wühltest und mit einer Einsicht mühsam heraufkamst, unter dem Gewicht beinah zerbrechend deines dunkeln Fundes: da trugst du sie, sie, die du nicht erkannt hast, die Freude trugst du, deines kleinen Heilands Last trugst du durch dein Blut und holtest über. Was hast du nicht gewartet, daß die Schwere ganz unerträglich wird da schlägt sie um und ist so schwer, weil sie so echt ist. Siehst du, dies war vielleicht dein nächster Augenblick; er rückte sich vielleicht vor deiner Tür den Kranz im Haar zurecht, da du sie zuwarfst. O dieser Schlag, wie geht er durch das Weltall, wenn irgendwo vom harten scharfen Zugwind der Ungeduld ein Offenes ins Schloß fällt. Wer kann beschwören, daß nicht in der Erde ein Sprung sich hinzieht durch gesunde Samen; wer hat erforscht, ob in gezähmten Tieren nicht eine Lust zu töten geilig aufzuckt, wenn dieser Ruck ein Blitzlicht in ihr Hirn wirft. Wer kennt den Einfluß, der von unserm Handeln hinüberspringt in eine nahe Spitze, und wer begleitet ihn, wo alles leitet? Daß du zerstört hast. Daß man dies von dir wird sagen müssen bis in alle Zeiten. Und wenn ein Held bevorsteht, der den Sinn, den wir für das Gesicht der Dinge nehmen, wie eine Maske abreißt und uns rasend Gesichter aufdeckt, deren Augen längst uns lautlos durch verstellte Löcher anschaun: dies ist Gesicht und wird sich nicht verwandeln: daß du zerstört hast. Blöcke lagen da, und in der Luft um sie war schon der Rhythmus von einem Bauwerk, kaum mehr zu verhalten; du gingst herum und sahst nicht ihre Ordnung, einer verdeckte dir den andern; jeder schien dir zu wurzeln, wenn du im Vorbeigehn an ihm versuchtest, ohne rechtes Zutraun, daß du ihn hübest. Und du hobst sie alle in der Verzweiflung, aber nur, um sie zurückzuschleudern in den klaffen Steinbruch, in den sie, ausgedehnt von deinem Herzen, nicht mehr hineingehn. Hätte eine Frau die leichte Hand gelegt auf dieses Zornes noch zarten Anfang; wäre einer, der beschäftigt war, im Innersten beschäftigt, dir still begegnet, da du stumm hinausgingst, die Tat zu tun -; ja hätte nur dein Weg vorbeigeführt an einer wachen Werkstatt, wo Männer hämmern, wo der Tag sich schlicht verwirklicht; wär in deinem vollen Blick nur so viel Raum gewesen, daß das Abbild von einem Käfer, der sich müht, hineinging, du hättest jäh bei einem hellen Einsehn die Schrift gelesen, deren Zeichen du seit deiner Kindheit langsam in dich eingrubst, von Zeit zu Zeit versuchend, ob ein Satz dabei sich bilde: ach, er schien dir sinnlos. Ich weiß; ich weiß: du lagst davor und griffst die Rillen ab, wie man auf einem Grabstein die Inschrift abfühlt. Was dir irgend licht zu brennen schien, das hieltest du als Leuchte vor diese Zeile; doch die Flamme losch eh du begriffst, vielleicht von deinem Atem, vielleicht vom Zittern deiner Hand; vielleicht auch ganz von selbst, wie Flammen manchmal ausgehn. Du lasest's nie. Wir aber wagen nicht, zu lesen durch den Schmerz und aus der Ferne. Nur den Gedichten sehn wir zu, die noch über die Neigung deines Fühlens abwärts die Worte tragen, die du wähltest. Nein, nicht alle wähltest du; oft ward ein Anfang dir auferlegt als Ganzes, den du nachsprachst wie einen Auftrag. Und er schien dir traurig. Ach hättest du ihn nie von dir gehört. Dein Engel lautet jetzt noch und betont denselben Wortlaut anders, und mir bricht der Jubel aus bei seiner Art zu sagen, der Jubel über dich: denn dies war dein: Daß jedes Liebe wieder von dir abfiel, daß du im Sehendwerden den Verzicht erkannt hast und im Tode deinen Fortschritt. Dieses war dein, du, Künstler; diese drei offenen Formen. Sieh, hier ist der Ausguß der ersten: Raum um dein Gefühl; und da aus jener zweiten schlag ich dir das Anschaun das nichts begehrt, des großen Künstlers Anschaun; und in der dritten, die du selbst zu früh zerbrochen hast, da kaum der erste Schuß bebender Speise aus des Herzens Weißglut hineinfuhr -, war ein Tod von guter Arbeit vertieft gebildet, jener eigne Tod, der uns so nötig hat, weil wir ihn leben, und dem wir nirgends näher sind als hier. Dies alles war dein Gut und deine Freundschaft; du hast es oft geahnt; dann aber hat das Hohle jener Formen dich geschreckt, du griffst hinein und schöpftest Leere und beklagtest dich. - O alter Fluch der Dichter, die sich beklagen, wo sie sagen sollten, die immer urteiln über ihr Gefühl statt es zu bilden; die noch immer meinen, was traurig ist in ihnen oder froh, das wüßten sie und dürftens im Gedicht bedauern oder rühmen. Wie die Kranken gebrauchen sie die Sprache voller Wehleid, um zu beschreiben, wo es ihnen wehtut, statt hart sich in die Worte zu verwandeln, wie sich der Steinmetz einer Kathedrale verbissen umsetzt in des Steines Gleichmut. Dies war die Rettung. Hättest du nur ein Mal gesehn, wie Schicksal in die Verse eingeht und nicht zurückkommt, wie es drinnen Bild wird und nichts als Bild, nicht anders als ein Ahnherr, der dir im Rahmen, wenn du manchmal aufsiehst, zu gleichen scheint und wieder nicht zu gleichen -: du hattest ausgeharrt. Doch dies ist kleinlich, zu denken, was nicht war. Auch ist ein Schein von Vorwurf im Vergleich, der dich nicht trifft. Das, was geschieht, hat einen solchen Vorsprung vor unserm Meinen, daß wirs niemals einholn und nie erfahren, wie es wirklich aussah. Sei nicht beschämt, wenn dich die Toten streifen, die andern Toten, welche bis ans Ende aushielten. (Was will Ende sagen?) Tausche den Blick mit ihnen, ruhig, wie es Brauch ist, und fürchte nicht, daß unser Trauern dich seltsam belädt, so daß du ihnen auffällst. Die großen Worte aus den Zeiten, da Geschehn noch sichtbar war, sind nicht für uns. Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles. |
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08.04.2011, 12:40 | #72 |
R.I.P.
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Herbsttag
Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr gross. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren lass die Winde los. Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein; gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin, und jage die letzte Süsse in den schweren Wein. Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben. Rainer Maria Rilke, 21.9.1902, Paris |
08.04.2011, 17:23 | #73 |
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Die Wollust
Klar, so etwas finde ich natürlich, weiß aber nicht, von wem es ist. (Da ich nicht aufgeklärt habe, wer das "ufm Bergli bin i gsesse", wenigestens jetzt: Johann Wolfgang von Goethe)
Die Wollust. 1. Die Wollust bleibet doch der Zucker dieser Zeit / Was kan uns mehr / denn sie / den Lebenslauf versüssen? Sie lässet trinckbar Gold in unsre Kehle fliessen / Und öffnet uns den Schatz beperlter Liebligkeit; In Tuberosen kan sie Schnee und Eiß verkehren / Und durch das ganze Jahr / die FrühlingsZeit gewehren . 2. Es schaut uns die Natur als rechte Kinder an / Sie schenckt uns ungespart den Reichthum ihrer Brüste / Sie öffnet einen Saal voll zimmerreicher Lüste / Wo aus des Menschen Wunsch Erfüllung quellen kan. Sie legt als Mutter uns / die Wollust in die Armen / Und läst durch Lieb und Wein den kalten Geist erwarmen. 3. Nur das Gesetze wil allzu Tyrannisch seyn / Es zeiget iederzeit ein widriges Gesichte / Es macht des Menschen Lust und Freyheit ganz zunichte / Und flöst vor süssen Most uns Wermuthtropffen ein; Es untersteht sich uns die Augen zuverbinden / Und alle Liebligkeit aus unser Hand zuwinden. 4. Die Ros entblösset nicht vergebens ihre Pracht / Jeßmin wil nicht umsonst uns in die Augen lachen / Sie wollen unser Lust sich dienst- und zinsbar machen / Der ist sein eigen Feind / der sich zu Plagen tracht; Wer vor die Schwanenbrust ihm Dornen wil erwehlen / Dem muß es an Verstand und reinen Sinnen fehlen. 5. Was nutzet endlich uns doch Jugend / Krafft und Muth/ Wenn man den Kern der Welt nicht reichlich wil genüssen / Und dessen Zuckerstrom läst unbeschifft verschüssen / Die Wollust bleibet doch der Menschen höchstes Guth / Wer hier zu Seegel geht / dem wehet das Gelücke / Und ist verschwenderisch mit seinem Liebesblicke. 6. Wer Epicuren nicht vor seinen Lehrer hält / Der hat den Weltgeschmack / und allen Witz verlohren / Es hat ihr die Natur als Stiefsohn ihn erkohren / Er mus ein Unmensch seyn / und Scheusaal dieser Welt; Der meisten Lehrer Wahn erregte Zwang und Schmerzen / Was Epikur gelehrt / das kitzelt noch die Herzen. |
12.04.2011, 16:29 | #74 |
Das Spiegelbild
Schaust du mich an aus dem Kristall Mit deiner Augen Nebelball, Kometen gleich, die im Verbleichen; Mit Zügen, worin wunderlich Zwei Seelen wie Spione sich Umschleichen, ja, dann flüstre ich: Phantom, du bist nicht meinesgleichen! Bist nur entschlüpft der Träume Hut, Zu eisen mir das warme Blut, Die dunkle Locke mir zu blassen; Und dennoch, dämmerndes Gesicht, Drin seltsam spielt ein Doppellicht, Trätest du vor, ich weiß es nicht, Würd' ich dich lieben oder hassen? Zu deiner Stirne Herrscherthron, Wo die Gedanken leisten Fron Wie Knechte, würd' ich schüchtern blicken; Doch von des Auges kaltem Glast, Voll toten Lichts, gebrochen fast, Gespenstig, würd', ein scheuer Gast, Weit, weit ich meinen Schemel rücken. Und was den Mund umspielt so lind, So weich und hülflos wie ein Kind, Das möcht' in treue Hut ich bergen; Und wieder, wenn er höhnend spielt, Wie von gespanntem Bogen zielt, Wenn leis' es durch die Züge wühlt, Dann möcht' ich fliehen wie vor Schergen. Es ist gewiß, du bist nicht Ich, Ein fremdes Dasein, dem ich mich Wie Moses nahe, unbeschuhet, Voll Kräfte, die mir nicht bewußt, Voll fremden Leides, fremder Lust; Gnade mir Gott, wenn in der Brust Mir schlummernd deine Seele ruhet! Und dennoch fühl' ich, wie verwandt, Zu deinen Schauern mich gebannt, Und Liebe muß der Furcht sich einen. Ja, trätest aus Kristalles Rund, Phantom, du lebend auf den Grund, Nur leise zittern würd' ich, und Mich dünkt - ich würde um dich weinen! Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) |
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07.05.2011, 09:51 | #75 |
R.I.P.
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Der Einsiedler
Joseph von Eichendorff Komm, Trost der Welt, du stille Nacht! Wie steigst du von den Bergen sacht, Die Lüfte alle schlafen, Ein Schiffer nur noch, wandermüd', Singt übers Meer sein Abendlied Zu Gottes Lob im Hafen. Die Jahre wie die Wolken gehn Und lassen mich hier einsam stehn, Die Welt hat mich vergessen, Da tratst du wunderbar zu mir, Wenn ich beim Waldesrauschen hier Gedankenvoll gesessen. O Trost der Welt, du stille Nacht! Der Tag hat mich so müd gemacht, Das weite Meer schon dunkelt, Laß ausruhn mich von Lust und Not, Bis daß das ew'ge Morgenrot Den stillen Wald durchfunkelt. |
27.06.2011, 19:44 | #76 |
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Beiträge: 1.026
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Rainer-Maria Rilke
Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest. Und lass dir jeden Tag geschehen so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen sich viele Blüten schenken lässt. Sie aufzusammeln und zu sparen, das kommt dem Kind nicht in den Sinn. Es löst sie leise aus den Haaren, drin sie so gern gefangen waren, und hält den lieben jungen Jahren nach neuen seine Hände hin. |
20.07.2011, 13:15 | #77 |
http://gutenberg.spiegel.de/buch/3670/300
Poetische Gedanken über die Höllenfahrt Jesu Christi - Johann Wolfgang von Goethe (ich denke eher unbekannt, jedoch sehr genial!) |
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24.07.2011, 15:50 | #78 |
Christina Rossetti
Who Has Seen the Wind?
Who has seen the wind? Neither I nor you: But when the leaves hang trembling, The wind is passing through. Who has seen the wind? Neither you nor I: But when the trees bow down their heads, The wind is passing by. Christina Rossetti 1830–1894 |
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01.08.2011, 23:36 | #79 |
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Theodor Storm
Mondlicht
Wie liegt im Mondenlichte Begraben nun die Welt; Wie selig ist der Friede, Der sie umfangen hält! Die Winde müssen schweigen, So sanft ist dieser Schein; Sie säuseln nur und weben Und schlafen endlich ein. Und was in Tagesgluten Zur Blüte nicht erwacht, Es öffnet seine Kelche Und duftet in der Nacht. Wie bin ich solchen Friedens Seit lange nicht gewohnt! Sei du in meinem Leben Der liebevolle Mond! |
01.08.2011, 23:43 | #80 |
R.I.P.
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Mein Kind, wir waren Kinder
Mein Kind, wir waren Kinder, Zwei Kinder, klein und froh; Wir krochen ins Hühnerhäuschen, Versteckten uns unter das Stroh. Wir krähten wie die Hähne, Und kamen Leute vorbei - Kikereküh! sie glaubten, Es wäre Hahnengeschrei. Die Kisten auf unserem Hofe Die tapezierten wir aus, Und wohnten drin beisammen, Und machten ein vornehmes Haus. Des Nachbars alte Katze Kam öfters zum Besuch; Wir machten ihr Bückling und Knickse Und Komplimente genug. Wir haben nach ihrem Befinden Besorglich und freundlich gefragt; Wir haben seitdem dasselbe Mancher alten Katze gesagt. Wir saßen auch oft und sprachen Vernünftig, wie alte Leut Und klagten, wie alles besser Gewesen zu unserer Zeit; Wie Lieb und Treu und Glauben Verschwunden aus der Welt, Und wie so teuer der Kaffee, Und wie so rar das Geld! - - - Vorbei sind die Kinderspiele, Und Alles rollt vorbei - Das Geld und die Welt und die Zeiten, Und Glauben und Lieb und Treu. Heinrich Heine (1797-1856) |
01.08.2011, 23:51 | #81 |
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Wer wußte je das Leben recht zu fassen...
Wer wußte je das Leben recht zu fassen, Wer hat die Hälfte nicht davon verloren Im Traum, im Fieber, im Gespräch mit Toren, In Liebesqual, im leeren Zeitverprassen? Ja, der sogar, der ruhig und gelassen, Mit dem Bewußtsein, was er soll, geboren, Frühzeitig einen Lebensgang erkoren, Muß vor des Lebens Widerspruch erblassen. Denn jeder hofft doch, daß das Glück ihm lache, Allein das Glück, wenn’s wirklich kommt, ertragen, Ist keines Menschen, wäre Gottes Sache. Auch kommt es nie, wir wünschen bloß und wagen: Dem Schläfer fällt es nimmermehr vom Dache, Und auch der Läufer wird es nicht erjagen. --- August von Platen |
01.08.2011, 23:57 | #82 |
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Marie von Ebner-Eschenbach
Ein kleines Lied
Ein kleines Lied! Wie geht's nur an, Daß man so lieb es haben kann, Was liegt darin? erzähle! Es liegt darin ein wenig Klang, Ein wenig Wohllaut und Gesang Und eine ganze Seele. |
02.08.2011, 06:58 | #83 |
August Graf von Platen Hallermund
Farbenstäubchen auf der Schwinge
Farbenstäubchen auf der Schwinge Sommerlicher Schmetterlinge Flüchtig sind sie, sind vergänglich Wie die Gaben, die ich bringe, Wie die Kränze, die ich flechte, Wie die Lieder, die ich singe: Schnell vorüber schweben alle, Ihre Dauer ist geringe, Wie ein Schaum auf schwanker Welle, Wie ein Hauch auf blanker Klinge. Nicht Unsterblichkeit verlang ich, Sterben ist das Los der Dinge: Meine Töne sind zerbrechlich Wie das Glas, an das ich klinge. |
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13.08.2011, 23:00 | #84 |
Der rechte Barbier
Adalbert von Chamisso (1781-1838) "Und soll ich nach Philisterart Mir Kinn und Wange putzen, So will ich meinen langen Bart Den letzten Tag noch nutzen. Ja ärgerlich wie ich nun bin, Vor meinem Groll, vor meinem Kinn Soll mancher noch erzittern! Holla! Herr Wirt, mein Pferd! macht fort! Ihm wird der Hafer frommen. Habt Ihr Barbierer hier im Ort? Lasst gleich den rechten kommen. Waldaus, waldein, verfluchtes Land! Ich ritt die kreuz und quer und fand Doch nirgends noch den rechten. Tritt her, Bartputzer, aufgeschaut! Du sollst den Bart mir kratzen; Doch kitizlig sehr ist meine Haut, Ich biete hundert Batzen; Nur, machst du nicht die Sache gut, Und fliesst ein einz'ges Tröpflein Blut - Fährt Dir mein Dolch ins Herze." Das spitze, kalte Eisen sah Man auf dem Tische blitzen, Und dem verwünschten Ding gar nah Auf seinem Schemel sitzen Den grimm'gen, schwarzbehaarten Mann Im schwarzen Wams, woran Noch schwärzre Troddel hingen. Dem Meister wird's zu grausig fast, Er will die Messer wetzen, Er sieht den Dolch, er sieht den Gast, Es packt ihn das Entsetzen; Er zittert wie das Espenlaub, Er macht sich plötzlich aus dem Staub Und sendet den Gesellen. "Einhundert Batzen mein Gebot, Falls du die Kunst besitzest; doch merk es dir, dich stech ich tot, So du die Haut mir ritzest." Und der Gesell: "Den Teufel auch! Das ist des Landes nicht der Brauch." Er läuft und schickt den Jungen. "Bist du der Rechte, kleiner Molch? Frisch auf! fang an zu schaben; Hier ist das Geld, hier ist der Dolch, Das beides ist zu haben! Und schneidest, ritzest du mich bloss, So geb ich dir den Gnadenstoss; Du wärest nicht der erste." Der Junge denkt der Batzen, druckst Nicht lang und ruft verwegen: "Nur stillgesessen! nicht gemuckst! Gott geb Euch seinen Segen!" Er seift ihn ein ganz unverdutzt, Er wetzt, er stutzt, er kratzt, er putzt: "Gottlob! nun seid Ihr fertig." - "Nimm kleiner Knirps, dein Geld nur hin; Du bist ein wahrer Teufel! Kein andrer mochte den Gewinn, Du hegtest keinen Zweifel; Es kam das Zittern dich nicht an, Und wenn ein Tröpflein Blutes rann, So stach ich dich doch nieder." - "Ei! guter Herr, so stand es nicht, Ich hielt euch an der Kehle; Verzucktet Ihr nur das Gesicht Und ging der Schnitt mir fehle, So liess ich Euch dazu nicht Zeit; Entschlossen war ich und bereit, Die Kehl Euch abzuschneiden." - "So, so! ein ganz verwünschter Spass!" Dem Herrn ward's unbehäglich; Er wurd auf einmal leichenblass Und zitterte nachträglich: "So, so! das hatt ich nicht bedacht, Doch hat es Gott noch gut gemacht; ich will's mir aber merken." |
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13.08.2011, 23:09 | #85 |
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Beiträge: 1.151
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*hüstel* Adelbert *hüstel*
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13.08.2011, 23:20 | #86 |
Stimmt! War auf der reinkopierten Seite falsch geschrieben.
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13.08.2011, 23:29 | #87 |
abgemeldet
Dabei seit: 07/2010
Beiträge: 1.151
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Kurt, aus Interesse, hast Du auch Peter Schlehmils wundersame Geschichte gelesen? Wenn ja, was hältst Du davon?
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13.08.2011, 23:43 | #88 |
R.I.P.
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Ich daef mir ein kleines Wort dazu erlauben? :
Adelbert, der wahrlich nicht vom Schicksal Gesegnete, hat mir so Vieles gegeben! Thing |
14.08.2011, 19:41 | #89 |
gesperrt
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Mein Lieblingsgedicht stammt von Hauff und heißt: Entschuldigung
Kam einst ein englischer Kapitan Zu Stambul in dem Hafen an, Der wollte nach der langen Fahrt Sich gütlich tun nach seiner Art, Und in Stambuls krummen Gassen Vor den Leuten sich sehen lassen. Hatte auch weit und breit gehört, Wie die Türken so schöne Pferd, Reiche Geschirr und Sättel haben; Wollte auch wie ein Türke traben, Und bestellt auf abends um vier Ein recht feurig arabisch Tier. Ziehet sich an im höchsten Staat, Rotem Rock, mit Gold auf der Naht, Schwärzt den Bart um Wange und Maul Und steigt Punkt vier Uhr auf den Gaul. Drauf, als er reitet durch das Tor, Kam es den Türken komisch vor, Hatten noch keinen Reiter gesehn Wie den englischen Kapitän; Die Knie hatt er hinaufgezogen, Und seinen Rücken krumm gebogen, Die Brust mit den Tressen eingedrückt, Auch den Kopf tief herabgebückt, Saß zu Pferd wie ein armer Schneider. Doch der Schiffskapitän ritt weiter, Glaubte getrost die Türken lachen Aus lauter Bewundrung in ihrer Sprachen. So ritt er bis zum großen Platz, Da macht der Araber einen Satz Und steigt; der englische Kapitän Ergreift des Arabers lange Mähn, Gibt ihm verzweiflungsvoll die Sporen, Und schreit ihm auf englisch in die Ohren; Das Roß den Reiter nicht verstand, Setzt wieder und wirft ihn in den Sand. Die Türken den Rotrock sehr beklagen, Haben ihn auch zu Schiff getragen, Und seinem Dragoman, einem Scioten, Haben sie hoch und streng verboten, Er dürf's nimmer wieder leiden, Daß der Herr den Araber tät reiten. Als sie verlassen den Kapitan, Befiehlt er gleich dem Dragoman, Ihm auf englisch auszudeuten, Was er gehört von diesen Leuten. Der Grieche spricht: «Es ist nichts weiter, Sie glauben Ihr seid ein schlechter Reiter, Wollen Ihr sollt in Stambuls Gassen Nimmer zu Pferd Euch sehen lassen.» Des hat sich der Kapitän gegrämt Und vor den Türken sehr geschämt. Spricht zum Dragoman: «Geh hinein Und sage den Türken, es kommt vom Wein. Der Herr ist sonst ein guter Reiter, Aber heut an der Tafel, leider, Hat er sich ziemlich im Sekt betrunken, Da ist er im Rausche vom Pferd gesunken.» Der Grieche ging zum Hafentor Und trug den Türken die Sache vor. Doch diese hören ihn schaudernd an: «Wir glaubten Gutes vom roten Mann, Und dachten er sitze schlecht zu Pferd, Weil's ihn sein Vater nicht besser gelehrt; Aber wie! vom Weine betrunken, Ist er im Rausche vom Pferd gesunken! Pfui dem Giaur und seinem Glas, Allah tue ihm dies und das!» Da sprach ein alter Muselmann: «Glaubt's nicht Leute, höret mich an, Nicht weil der Frank zu viel getrunken, Ist er schmählich vom Roß gesunken. Hab gleich gedacht es wird so gehn, Als ich ihn habe reiten sehn, Die Knie hoch hinaufgezogen, Den Rücken krumm und schief gebogen, Die Brust mit Tressen eingedrückt, Kopf und Nacken niedergebückt. Denk ich, wenn sein Rößlein scheut, Ihn sein Reiten gewiß gereut. Aber nein, ich will euch sagen, Warum er wollte den Wein verklagen, Und stellt sich lieber als Säufer gar Denn als ein schlechter Reiter dar. Das macht des Menschen Eitelkeit, Die ihn zu Trug und Lug verleit'. Will mancher lieber ein Laster haben, Hätt er nur andere glänzende Gaben; Und mancher lieber eine Sünd gesteht, Eh er eine Lächerlichkeit verrät; Ein dritter will gar zur Hölle fahren, Um sich ein falsch Erröten zu sparen. So auch der fränkische Kapitan, Schämt sich und lügt uns lieber an, Will lieber Säufer sich lassen schelten, Als für einen schlechten Reiter gelten.» |
14.08.2011, 20:58 | #90 |
15.08.2011, 10:24 | #91 |
Johann Gottfried Herder
"Das Flüchtigste"
Tadle nicht der Nachtigallen Bald verhallend süßes Lied; Sieh, wie unter allen, allen Lebensfreuden, die entfallen, Stets zuerst die schönste flieht. Sieh, wie dort im Tanz der Horen Lenz und Morgen schnell entweicht; Wie die Rose, mit Auroren Jetzt im Silberthau geboren, Jetzt Auroren gleich erbleicht. Höre, wie im Chor der Triebe Bald der zarte Ton verklingt. Sanftes Mitleid, Wahn der Liebe, Ach, daß er uns ewig bliebe! Aber ach, sein Zauber sinkt. Und die Frische dieser Wangen, Deines Herzens rege Gluth, Und die ahnenden Verlangen, Die am Wink der Hoffnung hangen - Ach, ein fliehend, fliehend Gut! Selbst die Blüthe Deines Strebens, Aller Musen schönste Gunst, Jede höchste Kunst des Lebens, Freund, Du fesselst sie vergebens; Sie entschlüpft, die Zauberkunst. Aus dem Meer der Götterfreuden Ward ein Tropfe uns geschenkt, Ward gemischt mit manchem Leiden, Leerer Ahnung, falschen Freuden, Ward im Nebelmeer ertränkt. Aber auch im Nebelmeere Ist der Tropfe Seligkeit; Einen Augenblick ihn trinken, Rein ihn trinken und versinken, Ist Genuß der Ewigkeit. |
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15.08.2011, 10:49 | #92 |
R.I.P.
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D a s ist Lyrik!
Ich verneige mich. |
15.08.2011, 20:44 | #93 |
Dabei seit: 04/2010
Beiträge: 1.026
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Hallo Babs,
es wundert mich nicht, dass dir dieses Gedicht von Wilhelm Hauff gefällt, ist es doch eines seiner Reitergedichte, aber nicht sein bestes. Er ist ja in seinem kurzen Leben auch mehr seiner Erzählkunst wegen berühmt geworden. Seiner Lyrik hat Hauff nicht viel Wert zugemessen und auch nur wenige Stücke selbst veröffentlicht. Ein großer Teil stammt aus der Tübinger Studentenzeit. "Reiters Morgenlied", einem Volkslied nachgedichtet, übertrifft sie alle: Reiters Morgenlied
Morgenrot! Leuchtest mir zum frühen Tod? Bald wird die Trompete blasen, Dann muß ich mein Leben lassen, Ich und mancher Kamerad! Kaum gedacht, War der Lust ein End gemacht! Gestern noch auf stolzen Rossen, Heute durch die Brust geschossen, Morgen in das kühle Grab. Doch! wie bald Welket Schönheit und Gestalt! Prangst du gleich, mit deinen Wangen, Die wie Milch und Purpur prangen, Ach! die Rosen welken all. Und was ist Aller Mannsbild Freud und Lust? Unter Kummer, unter Sorgen Sich bemühen früh am Morgen, Bis der Tag vorüber ist. Darum still Füg ich mich, wie Gott es will, Und so will ich wacker streiten, Und sollt ich den Tod erleiden, Stirbt ein braver Reitersmann |
15.08.2011, 20:47 | #94 |
R.I.P.
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Das ist ebenso schön wie grausig.
Ebenso grausig wie schön gedichtet. Ging mir in schlimmen (bedrohlichen) Zeiten oft durch den Kopf. |
05.09.2011, 10:58 | #95 |
Dabei seit: 04/2011
Ort: 12059 Berlin
Alter: 64
Beiträge: 98
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An die Deutschen von Friedrich Hölderlin
Spottet ja nicht des Kinds, wenn es mit Peitsch und Sporn
auf dem Rosse von Holz, mutig und groß sich dünkt. Denn, ihr Deutschen, auch ihr seid tatenarm und gedankenvoll. Oder kömmt, wie der Strahl aus dem Gewölk kömmt, aus Gedanken die Tat? Leben die Bücher bald? O ihr Lieben! So nehmt mich, daß ich büße die Lästerung! Eine Perle von grosser sprachlicher Eleganz und einer erschreckenden Aktualität. |
16.09.2011, 11:31 | #96 |
R.I.P.
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Bei der Schönheit ihrer Gedichte bekomme ich (wie bei sehr guter Musik) Gänsehaut.
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16.09.2011, 11:35 | #97 |
R.I.P.
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Stilles Reifen
Alles fügt sich und erfüllt sich, mußt nur warten können und dem Werden Deines Glückes Jahr und Felder reichlich gönnen. Bis Du eines Tages jenen reifen Duft der Körner spürest und Dich aufmachst und die Ernte in die tiefen Speicher führest. Christian Morgenstern (1871 - 1914) |
16.09.2011, 18:56 | #98 |
abgemeldet
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Dies halte ich persönlich für eins der besten Gedichte aller Zeiten:
Ozymandias, von Percy Bysshe Shelley I met a traveller from an antique land |
16.09.2011, 19:02 | #99 |
R.I.P.
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Das schmerzt Diejenigen, die der englischen Sprache nicht mächtig sind.
Sehr. Ich erkenne nur, daß es delikat gereimt ist. Was man von den hiesigen "fremdsprachigen" nicht behaupten kann. Leidend: Thing |
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