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13.02.2023, 09:29 | #1 |
Ich bin dann mal weg
Tanja brachte ein Blümchen vom Waldrand mit und stellte es in eine Vase. Angie blieb bis heute spurlos verschwunden. „Ich bin dann mal weg“ waren ihre letzten Worte, bevor sie in einen weißen Mercedes stieg, der mit Vollgas davonbrauste. Das war heute genau vor fünfzehn Monaten. Tanja hatte ihr noch lange verdattert hinterhergestarrt. Sie konnte in diesem Augenblick nicht richtig erfassen, was da gerade vor ihren Augen passiert war, obwohl Tanja die cleverste von allen war und eigentlich alles zuerst verstand.
Tagsüber bestimmte das trostlos verschmierte Grau der Wohnwagen- Karossen den Parkplatz. Unflätige Sprüche wie auf Toilettenwänden waren in ihrer Dreckschicht zu lesen. Und da sich jeder hier selbst so fühlte, nahm es auch keiner mehr wahr, oder zumindest keinen Anstoß daran. Von weitem sahen die fünf Wohnwagen wie kleine Vogelkäfige aus, im Halbrund zu einer Wagenburg aufgebaut. Im warmen Abendlicht wirkten die Baumkronen der hohen Fichten hinter dem Parkplatz wie eiserne Wachsoldaten der zaristischen Armee mit ihren spitzen Mützen vor einem rotbeleuchteten Krippenspiel. Tanja stieg aus einem alten Fiat und verschwand im unbeleuchteten zweiten Wohnwagen. Erschöpft keuchend ließ sie sich auf die Pritsche fallen. Eigentlich hieß sie Katharina, doch jeder benutze hier nur die Namen, welche ihnen beim Antransport zugeteilt worden waren. Private Vorgeschichten wurden kaum ausgetauscht, doch in jedem Gesicht waren sie deutlich abzulesen. Jemand donnerte von außen energisch gegen die Türe. „Mach sofort das Licht wieder an!” Tanja hatte diese Aufforderung erwartet, obwohl es heute hätte egal sein können. Das Neonherz und der bunte Plastikbaum blinkten wieder. „Frohe Weihnachten” trällerte sie ihm von innen entgegen. „Komm nur rein, wenn du Spaß haben willst!“ Sie wusste den Klopfer zu ärgern, denn mit Weihnachten hatte er genauso wenig am Hut wie mit Sex. Es war Viktor "der Eunuch“, mit Goldkettchen- verzierter Fistelstimme und seinem dümmlich dreinschauenden Pittbull Hägar, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten schien. Viktor war der Adlatus von Igor. Wenn sie Streit mit Viktor hatten, nannten alle ihn ,Ficktor' mit scharfem ,eff‘. Er war Meister der gezielten Schläge und für alle ein momentaner Glücksfall. Zähne, Nasenbein und Haare blieben in der Regel verschont, und die meisten Schwellungen konnten mühelos überschminkt werden. Narben gab es so gut wie nie, die stammten alle noch von Igor. Viktor hatte steroid – verstärte Oberarme, die angespannt den Umfang von Chantals Hüfte hatten, wenn sie den Bauch einzog. Sie waren immer angespannt. " Er ist völlig schlapp und impotent “ ,konstatierte Chantal nach einem Streit mit ihm. Doch eigentlich war er ganz in Ordnung. Igor hatte ihn während seiner Haftstrafe mit den Geschäften betraut. Zur Zeit waren alle zufrieden, und sogar Igor konnte in seiner Zelle gelassen den lukrativen Nebengeschäften nachgehen. Vor einigen Monaten hatte sich Igor mit Bruno angelegt, einem Freier, der mit Rosen auf dem Parkplatz erschienen. war. „Verlieben kannst du dich woanders, du schwule Sau! “ hatte er den Werbenden angeschrieen und ihm mit einer Vase und Fäusten das Nasenbein zertrümmert. Augenzeuge war die zufällig dort wartende Polizeistreife, welche Igor zum Glück vor größerer Strafe bewahren konnte und den Verliebten vor weiteren Fußtritten verschonte. Bruno hatte sie zuvor mit dem Handy dorthin beordert, bevor er seinen großen Auftritt als Rosenkavalier hatte. Das angebrochene Nasenbein nahm er billigend in Kauf, auf Igors Rechte war stets Verlass. Im weiteren Verlauf wusste Bruno jedoch seine Rechte mit einem Anwalt besser zu verteidigen. Abends um zehn waren alle fünf Mädchen in Tanjas Wohnwagen zum Abschminken versammelt. Viktor hatte ihnen frei gegeben und schlief heute in seinem Jeep. Alle durften bis zum Morgen bis auf einen kleinen Obolus eigene Kasse machen. Aber es hätte sich eh nicht gelohnt, da die zahluingskräftigen Familienväter heute zuhause vor ihren Weihnachtsbäumen sitzen mussten, und der Rest torkelte heimatlos durch die wenig geöffneten Kneipen der Innenstadt. „Lass uns heute Party machen und ein paar geile Jungs aufreißen!” schlug Dunja vor, und öffnete eine Flasche Champagner „oder will es eine von mir besorgt bekommen?” Alle lachten, sogar Olga, die Neue. Sie verstand nicht viel und sprach nur wenige Brocken Deutsch. Igor hatte sie vor allem wegen ihrer unübersehbaren Oberweite übernommen und als Fleischköder mit freizügigem Dekolleté an die Parkplatzauffahrt gestellt. Ihr Lachen ging sofort in bellendes Husten über, da sie sich immer draußen zehnminütig in der Kälte an eine Zigarette klammern musste. „Hier Schätzchen, nimm die Decke, arme Olga!” Angie streckte ihr einen rosafarbenen Plüschbezug entgegen. „Seid mal alle still!” brüllte Tanja in die angeheiterte Runde. Jemand hatte von außen sanft ans Fenster geklopft. Olga hustete weiter. Chantal zog die Gardinen zur Seite, und spähte angestrengt in die Dunkelheit. „Es ist Bruno“ flüsterte sie, „ich glaube, der hat sich verkleidet, los, mach mal auf!” Bruno hatte sich nach der Begegnung mit Igor einen grauen Bart wachsen lassen, da er sich längere Zeit nicht rasieren konnte. „Du hier?” starrte ihn Tanja fassungslos an, als Bruno den Schnee von seiner Kapuze abschüttelte. „Machst du uns heute den Weihnachtsmann? Ohne Rosen läuft hier aber gar nichts!” alle lachten. „Du weißt, dass Viktor dahinten mit dem Jeep steht und Heiligabend blaue Augen verteilt?” fragte sie ihn warnend. „Hab gerade mit ihm gesprochen, noch nicht mal Hägar hat mich erkannt”, grinste Bruno. „Dann mach hinne, such dir jemand aus, wir wollen feiern! “ drängte Dunja, und zog ihren Lippenstift wieder nach. „Mit Bart kostet aber extra, Schmutzzulage." Bruno lächelte: „Alle auf einmal !” Und damit legte er triumphierend ein beachtliches Bündel Geldscheine auf den Tisch. „Hier, unser Schmerzensgeld von Igor! Frohe Weihnachten!” Ein kurzes Schweigen wurde übertönt von einem plötzlich einsetzenden Gegröle und Husten. Bruno war selig zwischen Olgas Brüsten eingeschlafen. Mit allen hatte er sich vergnügt, bis auf Angie, die die ganze Zeit scheinbar gelangweilt und regungslos aus dem Fenster gestarrt hatte und schon früh in ihrem Wohnwagen verschwunden war. Am nächsten Tag hatte sich Bruno bei Angie mit Blumen entschuldigt. "Das Stöhnen aus ihrem Wohnwagen hat ganz anders geklungen” soll Chantal später gebeichtet haben, als sie winselnd vor Igor lag, und ihm vom Weihnachtsmann berichtete. Bruno hatte sie jedoch mit keiner Silbe erwähnt. „Es war eher so ein Heulen, wie von Wölfen, und dann haben die nur gequatscht, stundenlang, weiß ja auch nicht, was das werden sollte.” Die folgenden Tage stellte Angie frische Blumen ins Fenster. Am Sonntag nach Dreikönigen saß sie wie üblich zum Abendessen bei Tanja. Mitten im Satz stand sie auf, ihre weißen Dessous changierten im rötlichen Licht. Die Käfigtür hatte sich einen Spalt geöffnet. Sie drückte der völlig verdutzten Tanja lächelnd einen zarten Kuss auf die Wange und griff zur Jacke. „Ich bin dann mal weg, Schätzchen!“ Ruhig stolzierte sie über den Parkplatz, an Viktor vorbei. Ihre blonden langen Haare wippten wie die Schwinge eines Vogels. Auf ihren High Heels schien sie allmählich dahin zu schweben und setzte zum Flug an. Die Motoren heulten auf, und bevor Viktor den weißen Mercedes überhaupt realisieren konnte, glitt Angie bereits in eine andere Welt. Nur Hägar schien verstanden zu haben. Aufmerksam hatte er alles beobachtet, ohne anzuschlagen. Geändert von Donna (13.02.2023 um 20:08 Uhr) |
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13.02.2023, 17:06 | #2 |
Dabei seit: 07/2015
Ort: Zwischen den Ostseewellen ertrunken
Alter: 41
Beiträge: 5.489
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Ist das eine Nebenstory zu "Achtsam Morden"? Da kommt Igor ja in den Kofferraum, glaube ich.
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14.02.2023, 00:04 | #3 | |
Zitat:
LG Donna |
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17.02.2023, 18:38 | #4 |
Dabei seit: 07/2015
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Beiträge: 5.489
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Ah. Also keine Komödie? Jetzt weiß ich auch wieder, Igor wurde in der anderen Geschichte entführt. Dragan war im Kofferraum.
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09.03.2023, 15:14 | #5 | ||||||||||||||||||||
Hallo Donna.
ich habe Deine Geschichte gerne gelesen. Sie ist flüssig geschrieben und alles andere als langweilig. Dennoch, nach dem ersten Lesen hatte ich den Eindruck, daß einiges nicht stimmte. Ich las sie also ein zweites Mal und achtete genau darauf, was mir nun genau diesen Eindruck vermittelt hat. Deine Geschichte handelt, ohne daß dies eigens gesagt wird, von Zwangsprostituierten vermutlich aus Osteuropa (Tanja, Olga) Zitat:
Tanja, eine der Prostituierten trauert einer anderen (Angie) nach, die fünfzehn Monate zuvor die Gruppe mit einem Mann in einem weißen Mercedes verlassen hat. Sie kann das noch immer nicht verstehen, obwohl die nachfolgende Beschreibung der Lebensumstände, denen sie und die anderen ausgesetzt sind nichts als Gründe dafür sind, möglichst schnell das Weite zu suchen. Der dumme Pitbull Hägar versteht das, Tanja hingegen, "die die cleverste von allen war und eigentlich alles zuerst verstand" kapiert nichts. Zitat:
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Bruno kommt als Weihnachtsmann verkleidet und legt als Bescherung ein beachtliches Bündel Geldscheine auf dem Tisch. Dafür will er aber auch mit allen zugleich Sex haben, so daß alle Mädchen, die heute ja für sich selbst anschaffen dürfen, ihren Teil abbekommen. Alle außer Angie, die gelangweilt am Fenster steht und alsbald in ihrem Wohnwagen verschwindet. Warum? Zitat:
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Zitat:
Nun am Ende meiner Kritik, liebe Donna, habe ich ein schlechtes Gewissen. Ist es denn recht, so mit der Lupe in der Hand in den Krümeln zu suchen? Schadet es Dir nicht mehr als es Dir nützt? Die Frage gebe ich auch gerne an alle anderen weiter, die diesen Faden verfolgen. Wie schon anfangs erwähnt, beim ersten Lesen war ich ganz angetan von Deiner Geschichte und jetzt sieht es aus, als hätte ich sie mit meinen Anmerkungen in Stücke zerrissen. Auf Deine Meinung hierzu bin ich gespannt. Lieben Gruß Friedrich |
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09.03.2023, 16:22 | #6 |
Forumsleitung
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Donna ist nicht mehr im Forum aktiv.
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09.03.2023, 19:18 | #7 | |
Zitat:
Nun wie es dann mit Dir? Du betreust doch "kreatives Schreiben". Ist solche Art von Kritik hilfreich oder eher entmutigend? Als ehemaliger Englisch- und Französischlehrer war ich gewohnt, jeden Fehler, den ich fand, auch rot anzustreichen. Doch gilt das auch für ein Gedichte-Forum? vielleicht melden sich auch noch andere zu dem Thema? Lieben Gruß Friedrich |
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09.03.2023, 20:53 | #8 | |
Forumsleitung
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Zitat:
Ob Kritik hilfreich ist oder nicht, bestimmt der Adressat der Kritik. Wenn du Glück hast, wird dir deine kritische Stellungnahme gedankt, wenn du Pech hast, wirst du der Überheblichkeit oder des Nichtverstehens bezichtigt und abgewatscht. Wer sich auf ein Forum einlässt, geht das Risiko ein, auf überempfindliche Seelchen zu treffen, die Kritik am Werk auf ihre Person übertragen und sich runtergemacht fühlen. Dann kommen Sprüche wie: "Warum liest du es, wenn es dir nicht gefällt?" (Man beachte die Logik dieses Spruchs!) - "Aber Mutti hat es gefallen." - "Es ist nur für mich." - "Der Inhalt ist nicht wichtig, nur die Gefühle, die ein Gedicht transportiert." Tja, und noch mehr dieser Art. In den Tiefen des Forums gibt es einen Faden, in dem wir mal diese Apologien gesammelt hatten. Aber ich kann dich beruhigen. Jeder, der sich unverdrossen an die Arbeit macht, die Plausibilität von Texten kritisch zu betrachten und sich dazu zu äußern, leistet wertvolle Beiträge. Und daraus baut sich ein Forum schließlich auf. Jeder von euch, der Prosa, Lyrik und Kritiken schreibt, trägt dazu bei, das Forum zu bereichern, größer zu machen und am Leben zu erhalten. Und im Gegensatz zur Schule, in der ein Lehrer an irgendeinem Punkt den gleichen Stoff immer wieder von vorn präsentieren muss (außer dem natürlich, den er in der Fortbildung selber lernt), stößt man hier immer wieder auf Neues und deshalb Unverbrauchtes, egal ob gut oder schlecht, und oft findet man sogar mal eine Perle. Deshalb: Poetry ist, glaube ich, nicht das Schlechteste für einen Lehrer im Ruhestand. Lieben Gruß Ilka |
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10.03.2023, 13:17 | #9 | |
Hallo Ilka-Maria,
vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Durch das Zitat ist mir ein Fehler aufgefallen. Es fehlt das Wort "steht". "Wie steht es dann mit Dir?" Ich lese mir meine Beiträge eigentlich immer sorgfältig durch, bevor ich sie poste. Zitat:
Donna selbst ist sicherlich keine Straßenhure (Asphaltschwalbe), die aus eigener Erfahrung spricht und höchstwahrscheinlich ist sie noch nicht einmal in einen engeren Kontakt mit dem "Milieu" gekommen. Aus diesem Grunde hat sie die Geschichte frei erfunden, bzw. salopp gesagt, sich aus den Fingern gesogen. Das ist durchaus legitim, nur sollte es überzeugend sein, einen Anschein von Authentizität haben. Was die Geschichte unterhaltsam macht, sind die dort verwendeten starken Bilder: extrem häßlich und ebenso schön. Die Wohnwagen sind äußerlich versifft, andererseits gleichen sie im milden Abendlicht einem Krippenspiel. Olga mit ihren gewaltigen Brüsten hustet, wenn sie sich draußen die Füße in den Bauch steht und Zigaretten raucht, wie eine Schwindsüchtige, andererseits schläft Bruno nach dem Gruppensex selig auf ihren Möpsen ein. Mich erinnert das an einen Säugling, der nach dem Stillen auf der Mutterbrust friedlich eingeschlafen ist. Angie entschwebt (Haare wie Schwinge) wie eine Mischung aus Supermodel und Engel der Hölle der Zwangsprostitution. Solche starken Bilder findet man zuhauf in amerikanischen "Blockbuster-filmen", was zeigt, daß sie bei der Mehrheit der Kinogänger gut ankommen. Ich mag sie nicht besonders, weil sie gemacht sind und ich die Strategie dahinter wittere. Lieber Gruß Friedrich |
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10.03.2023, 13:54 | #10 | |
Forumsleitung
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Zitat:
Ich bewerte Filme nicht danach, ob sie Blockbuster oder Autorenfilme sind, sondern was Drehbuchautoren, Regisseure, Kameramann und Schauspieler leisten und ob ein Film eine eigene Filmsprache entwickelt. Die Arbeiten von Steven Spielberg sind Blockbuster und trotzdem genial, mitunter auch sehr humorig. Wenn in Jurassic Park ein T-Rex einen Rechtsanwalt von der Klobrille pflückt und ihn verspeist, weiß man, was die Amerikaner im allgemeinen von der Anwaltszunft halten. Und wenn man auf dem Außenspiegel des Jeeps, mit dem die Crew vor dem T-Rex flüchtet, liest: "Objects are nearer than they appear", ist das außerordentlich witzig. Wie Spielberg überhaupt in vielen seiner Filme gerne mit Spiegeln arbeitet. Man muss halt richtig hingucken, anstatt sich nur von Action berieseln zu lassen. Oder man nehme Clint Eastwood, der im Alter als Regisseur und Schauspieler immer großartiger wurde, und zwar mit Minimalgestik und Minimalmimik. Obendrein komponiert er für viele seiner Filme die Musik selber. Von seinen Themen her ist er mutig und stellt sich harten Kontroversen, wie z.B. in Sachen Euthanasie in "Million Dollar Baby". In den USA ist die Produktion eines Films finanziell ein hohes Risiko. Wir haben in Deutschland die Filmförderung und von den Fernsehsendern finanzierte Filmproduktionen fürs Kino, denn die Steuergelder dafür fließen ja gesetzlich abgesichert für diese Projekte, auch wenn sie "Gebühren" genannt werden und man mit Fernsehen nichts am Hut hat. Was dabei zum größten Teil herauskommt, ist ernüchternd: mittelmäßige Filmchen im Kino, die kein Mensch sehen will, und diese unseligen Mehrteiler und Serien bei den TV-Sendern, die einen vor der Glotze festnageln wollen. "Der Schwarm"? Ohne mich. Da greife ich lieber auf meine Sammlung amerikanischer, französischer und spanischer Filme zurück. Die paar tausend, die bei mir schlummern, reichen länger, als ich noch Jahre vor mir habe. Ins Kino gehe ich schon lange nicht mehr, die sind inzwischen zu Orten mutiert, an denen Jugendliche randalieren und sich prügeln. Die deutsche Filmindustrie ist seit Jahrzehnten im Eimer, anders kann man es nicht konstatierern. |
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10.03.2023, 20:13 | #11 |
Liebe Ilka-Maria,
Deine Eloge auf den amerikanischen Film in allen Ehren, aber ich habe mit meiner Bemerkung nicht den amerikanischen Film kritisiert, ich wollte lediglich einen Hinweis geben, wo man häufig "starke" Bilder oder Kontraste findet. Donna schreibt, Victors " steroid – verstärkte Oberarme," hätten "angespannt den Umfang von Chantals Hüfte". Zudem ist er aber auch impotent und spricht mit einer Fistelstimme. Das sind Übertreibungen und starke Kontraste. Stark aufgetragen sind doch auch Schwarzenegger und Sylvester Stallone als Kriegshelden. Als Ratgeberin für kreatives Schreiben frage ich Dich nach Deiner Meinung zu solchen Stilmitteln, jetzt weniger im Film als beim Schreiben von Prosa? Sollte man seinen Text "aufpeppen" oder reicht es, die Welt so zu beschreiben, wie sie tatsächlich ist? Vielleicht gibt es aber auch eine Zwischenlösung: Aufpeppen aber in Maßen. Schade eigentlich, daß Dir der Gang ins Kino inzwischen verleidet ist. Ich gehe mit meiner Frau gerne ins Cinema nahe der Hauptwache. Dort findet man einen dem englischen Pub ähnlichen Vorraum, in dem man vor der Vorstellung ein Glas Weißwein und eine Laugenbreze zu sich nehmen kann. Darüber hinaus hat der Kinosaal dank Dolby surround eine phantastische Akustik. "Prolos" haben wir dort noch nie angetroffen. Mit liebem Gruß Friedrich |
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10.03.2023, 20:43 | #12 | |
Forumsleitung
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Zitat:
Zu deiner Frage: "Aufpeppen" ist billig. Mit Glanzbildern kann man auf Dauer niemanden beeindrucken. Ein Autor kann sich darauf beschränken, die Welt so zu beschreiben, wie er sie erlebt (hat). Das lesen wir ständig in Autobiografien. Der Autor kann bei seinem Werk aber auch psychologisch oder philosophisch tief einsteigen, wenn er sich das zutraut. Es kommt außerdem auf die Form an, die er wählt: Kurzgeschichten und Novellen setzen Grenzen, ein Roman setzt sie nicht. Außerdem ist der Zeitgeist zu beachten: Auf was steigen Leser gerade ein? Es muss einen Grund geben, dass es "Wellen" gibt. Als ehemaliger Lehrer, also ausgebildeter Pädagoge, müsste dir doch die Korrelation zwischen dem Harry-Potter-Erfolg und der Infantilisierung unserer Gesellschaft unter die Haut gegangen sein. Ich war jedenfalls darüber verwundert, dass Vierzig- und Fünzigjährige von diese Buchserie begeistert waren, denn was sollte ich mit einem pubertierenden Bub mit Größenwahn anfangen? Ich laß einen HP-Roman, weil er mir geschenkt wurde, und quälte mich durch. No further need! Kurz und gut: Jeder, der sich zum Schreiben berufen fühlt, muss seine eigene Sprache finden. Ich bin mehrere Lehrgänge durch, insgesamt dreieinhalb Jahre lang, aber das ist und bleibt ein Gerüst. Man wächst selber daran. Doch in den Markt ohne Vitamin B zu kommen, ist so gut wie null. Wer unbedingt veröffentlichen will, muss entweder auf Self-Publishing gehen oder sich von einem unseriösen Vorschussverlag um bis zu 8.000 Euro abzocken lassen. Und weil die Bücher niemand kauft, kann sie dieser Autor in der Familie verschenken und den Rest im Keller lagern. Wir hatten das Thema schon öfter in diesem Forum, und alles, was ich jetzt noch weiter dazu sagen könnte, wäre nur eine Wiederholung. |
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11.03.2023, 12:12 | #13 | ||
Hallo Ilka-Maria,
Zitat:
Warum nennst Du des schläschte Owwebach" eigentlich "arrival city"? Zitat:
Erstauflage: 2500 Stück Freiexemplare: 35 Stück Produktionsvergütung: 5.486,33 € Dies gilt für die gebundene Ausgabe. Wer denkt, daß der Autor sich die unverkauften Exemplare so einfach vom Verlag abholen kann, der irrt sich. Er muß sie nämlich zurückkaufen. Tut er das nicht, werden sie vernichtet. Wobei sich die Frage erhebt, ob sie jemals gedruckt worden sind. Kurzum: Man bezahlt fünfeinhalb tausend Euro für 35 Freiexemplare sowie für die Illusion, groß herauszukommen. Mit lieben Grüßen nach Offenbach Friedrich |
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