Eintrag #3 - Die Wohnung meiner Mutter
Der Transporter trifft pünktlich ein. Drei Männer springen heraus, jung und kräftig und ofensichlich daran gewöhnt, anzupacken.
Ich schließe die Wohnungstür auf und überlasse ihnen, was ich in den beiden Wochen zuvor nicht in Sicherheit bringen konnte. Raus waren Kleidung und Schuhe, das Beste vom Geschirr und den Gläsern, Elektrogeräte, Silberbesteck, Ölbilder, Nippes, Schmuck, ein paar Kleinmöbel, ein Sideboard, ein Sekretär aus Wurzelholz, ein paar Bücher, Fotoalben und auf Vorrat gehaltene Verbrauchsgüter. Es hat mich sechs Fahrten in meinem Auto gekostet, um diese Sachen abzutransportieren und in meiner Wohnung unterzubringen, die jetzt wie das Warenlager einer Sammelstelle für notleidende Länder aussieht.
Die drei Männer schwärmen aus und werfen alles in wannenförmige Behälter und in schwarze Säcke, was nicht niet- und nagelfest ist. Ich höre Geschirr und Gläser, die ich dagelassen habe, in diesen Wannen zerspringen, sehe den Restbestand an Büchern in den Säcken verschwinden, alles in Windeseile. Die Männer sind geübt, jeder Handgriff sitzt. Einer findet bei Aufrollen des Wohnzimmerteppichs einen Fünfzig-Euro-Schein und drückt ihn mir in die Hand. Meine Mutter hatte überall in der Wohnung Geldreserven versteckt, und ich will nicht wissen, wieviel Scheine in den entsorgen Büchern steckten.
"Anrechenbares wird vergütet". So steht es in den Anzeigen der Entrümpler. Aber wer gibt sich heute noch damit ab, gebrauchte Sachen anzupreisen, mit denen der Markt überschwemmt ist? Daran ist nichts zu verdienen. Also wird alles, was sperrig ist, im Hof kurz und klein gekloppt, damit es in den Transporter reinpasst. Wenn alles eingeladen ist, geht es damit direkt zur Müllkippe.
Eine Nachbarin kommt von ihrem Arztbesuch dazu. Sie nimmt die Deckenlampen an sich, denn als ehrenamtliche Helferin beim Roten Kreuz kennt sie bedürftige Familien, die für Spenden dankbar sind.
Allmählich wird die Wohnung leer, so leer wie damals, als ich sie besichtigt und für meine Mutter gemietet hatte. Aber dieses Mal gibt es keinen Wechsel, keinen Umzug in ein neues, hoffnungsvolleres Zuhause, keine Fortsetzung einer Lebensgeschichte. Sie endet in einem Epilog der Unmündigkeit und Dämmerung.
20.01.2023
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