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20.11.2022, 15:26 | #1 |
Forumsleitung
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Dietmars große Liebe
Dietmar liebte Autos. Da er stattlich gebaut war - Konfektionsgröße achtundvierzig, Schuhlänge knapp achtundzwanzig Zentimeter – hatte er vor einem Jahr einen SUV, Modell Mercedes GLA, gekauft, den er für sein Körpergewicht und seinen Raumbedarf für angemessen hielt.
Dabei hätte Dietmar kein Auto mehr gebraucht, denn als Rentner fuhr er nicht wie früher berufsbedingt durch die Lande, und Urlaub konnte er sich nicht leisten, weil die Raten für den SUV zu hoch waren, um noch anderweitig große Sprünge machen zu können. Das Geld, das er von den Gütern des täglichen Grundbedarfs abzwacken konnte, reichte gerade noch, den SUV regelmäßig zu betanken und die Jahreskarte für einen Sitzplatz im Fußballstadion zu bezahlen. Er war noch gut zu Fuß und hatte auch keine weiten Wege zu gehen, um einzukaufen, Bank- und Postgeschäfte zu erledigen oder Ritchies Biergarten zu erreichen. Bis zum Fußballstadion brauchte er zehn Minuten. Aber Dietmar war bewegungsfaul, also setzte er sich samstags hinter das Steuer und versuchte, so nahe an das Stadion zu gelangen, wie er konnte, obwohl er wusste, dass Parkplätze um diese Zeit kaum zu ergattern waren, weil es am Rande einer Wohn- und Einkaufgegend lag. So fuhr er frustriert seine Runden, manchmal zwanzig Minuten lang, bis er die Sinnlosigkeit seines Unterfangens einsah und den SUV weitab vom Schuss abstellte, von wo aus er genauso weit zu laufen hatte, als wäre er von vornherein zu Fuß gegangen. So auch an diesem Samstag. Als er im Stadion ankam, hatte das Spiel bereits begonnen, und es stand eins null für die Gastmannschaft. Unruhig rutschte er auf seinem Sitz hin und her, denn das Spiel seines Teams lief nicht rund. Schließlich hielt er es nicht mehr aus, und er verließ die Tribüne, um sich ein Bier zu holen und seinen Ärger hinunterzuspülen. Doch statt sich zu beruhigen, regte er sich über den hohen Preis auf und wetterte, die Brühe sei pinkelwarm, ließ sich aber gleich noch einen zweiten Becher abfüllen. Zurück auf der Tribüne, stand es mittlerweile zwei zu null für die Gastmannschaft. Um um Dampf abzulassen und seinen Blutdruck zu schonen, änderte Dietmar seine Strategie und kippte ein Fass an Verwünschungen über den Schiedsrichter aus, putzte die Spieler seines Teams als Flaschen runter und schrie bei jedem Angriff des gegnerischen Mittelstürmers rein prophylaktisch: "Abseits!", bis ein Tribünennachbar ihn anbrüllte, er möge endlich die Klappe halten oder in den Wind schießen. Nach dem Schlusspfiff und sechs weiteren Halbliterbechern Bier war Dietmar so benebelt, dass er nicht mehr wusste, ob sein Team mit null zu drei oder null zu vier verloren hatte, geschweige denn, wo er den SUV abgestellt hatte, und nach vergeblicher Suche trottete er müde nach Hause. Als er am nächsten Morgen seinen SUV endlich aufgespürt hatte, sah er, dass ihm jemand seinen Fan-Sticker auf der Heckscheibe mit einem Etikett von Bayern-München-überklebt hatte. "Dreckschweine! Verräter!", fauchte er. Dann sah er den Zettel hinter dem Scheibenwischer und ahnte, dass sein SUV die ganze Zeit über im Parkverbot gestanden hatte. Zu Hause ließ Dietmar seinen Zorn an der Wohnungstür aus. Ober er den SUV nicht gefunden habe, rief ihm Renate von der Küche aus zu, wo sie gerade Möhren schnitt und sie sich vor Schreck über den Knall beinahe am Daumen verletzt hätte. Doch, habe er, und ansonsten solle er sie in Ruhe lassen und sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Er war nicht in der Lage, sich jetzt auf Diskussionen mit ihr einzulassen, denn ihm war zum Heulen zumute. Beim Einfädeln in die Garage war ihm das Lenkrad aus den Händen gerutscht und der SUV gegen die Mauerkante gedonnert, was bedeutete, das Bankkonto überziehen zu müssen, um die Werkstattkosten bezahlen zu können. Das letzte, was er jetzt brauchen konnte, war der Vorwurf seiner Frau, sie habe ihm gleich gesagt, er solle zu Fuß gehen. Schlimm genug, dass er mindestens drei Tage lang auf das Motorbrummen seines bereiften Lieblings verzichten musste. Er fühlte sich wie amputiert. Vielleicht könnte er Karlheinz bitten, ihn am Dienstag mit seiner Nuckelpinne zum Skat abzuholen. Es würde ihm nichts ausmachen, er wohnte nur zwei Häuserblocks weiter. |
20.11.2022, 20:26 | #2 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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gut herausgerupft aus dem Leben eines Spießbürgers, aber ich weiß nicht, ob das spannend genug für mich ist.
Liebe Grüße, Heinz |
20.11.2022, 20:34 | #3 |
Forumsleitung
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Wenn das Leben eines Spießbürgers spannend wäre, Heinz, wäre er kein Spießbürger mehr. Diese kleine Alltagsszene soll eine nicht zu harsche Kritik an den Leuten sein, die am Biertisch mit Sicherheit wissen, wie man die Welt rettet (wie sie auch im Fußballstadion besser als der Trainer wissen, wie man eine Mannschaft trainieren muss), die aber lieber Abgase in die Luft jagen, als zehn Minuten zu Fuß zu gehen. Keine Erfindung von mir, so einen Typen kenne ich wirklich. Und glaube mir: An diesem Fettsack ist kein Zentimeter spannend.
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