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14.08.2021, 15:23 | #1 |
Glasreiniger oder als die Welt noch in Ordnung war
Die Fenster haben das Putzen dringend nötig. Ich schnappe mir den Glasreiniger, der auf dem Regal mit den Putzutensilien steht, zwischen Allesreiniger und Textilerfrischungsspray. Unwillkürlich fällt mir das Datum ein, an dem ich ihn gekauft habe. Es war vor fast zwei Monaten, damals, als die Welt noch in Ordnung war. Ehe ich diese verdammte Scheiße gebaut habe.
Ich habe in meinem Leben vielleicht einigen Mist gemacht, aber das war mit Abstand das Allerdümmste, was ich jemals gemacht habe. Ausbügeln ging nicht. Wiedergutmachen auch nicht. Nur Schadensbegrenzung. Immerhin, dazu habe ich mich durchgerungen. Nein, das ist das falsche Wort. Ich habe mich bemüht. Leider ging es durch äußere Umstände nicht so schnell, wie ich wollte. Ich sprühe die Fenster mit dem Glasreiniger ein und fange an, wie wild zu wischen. Als ob man diese Sache wegwischen könnte. Aber gibt es nicht so etwas wie Reinwaschen von Schuld? So ein Blödsinn, denke ich, man weiß doch, dass schon Pontius Pilatus seine Hände in Unschuld waschen wollte und ihm das niemand wirklich abgekauft hat. Andererseits: Ich habe niemanden zum Tode verurteilt oder jemanden umgebracht. Ich habe nichts Ungesetzliches gemacht. Es ging nur ums Geld. Scheiß Geld, und jetzt reden Eltern und Geschwister nicht mehr mit mir. Wobei mich das bei letzteren nicht wirklich stört. Die haben sowieso noch nie viel mit mir geredet. Zuletzt sah ich sie auf einer Beerdigung einer Tante. Ich wollte ein paar Mal erklären, warum ich alleine gekommen war. Niemand hörte mir zu. Selbst als ich meine Erklärung zum dritten Mal wiederholte. Was soll ich mit solchen Geschwistern? Aber dass meine Eltern nicht mehr mit mir reden, das tut weh. Mehr weh, als ich jemals gedacht hätte. Obwohl ich mich eigentlich mein ganzes Leben lang über sie geärgert habe. Ich habe wie verrückt gewischt. Die Fenster sind nicht sauber geworden. Es kommt mir vor, als würden sie sich über mich lustig machen. Ich stelle den Glasreiniger ins Regal zurück. Und wünsche, ich könne die Zeit zurückdrehen zu dem Tag, an dem ich ihn gekauft habe. Als die Welt noch in Ordnung war. |
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16.08.2021, 16:48 | #2 |
abgemeldet
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Moin.
Das ist in seiner Alltäglichkeit bedrückend. Ein großes Problem fließt in eine alltägliche Arbeit mit ein. Du hast einen guten Schreibstil. Ich würde gerne wissen, ob es fiktiv ist. Aber andererseits geht mich das nix an. Gruß Pennywise |
16.08.2021, 17:20 | #3 | ||
Hallo Pennywise,
Zitat:
Zitat:
Ich selbst bin eigentlich immer enttäuscht, wenn ein Autor seinen Text erklärt. Vielen Dank für deinen Kommentar! LG DieSilbermöwe |
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16.08.2021, 17:52 | #4 |
abgemeldet
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Ja, ich hab das von Ilka auch mal gelesen und sie hat auch Recht damit. Ich mache das leider immer wieder, wenn jemand mit nem Fragezeichen bei nem Text von mir scheitert. Hier interessierte es mich nur, weil ich wissen wollte, ob die Idee komplett aus dem Nichts gekommen ist, oder ob es eine reale Vorlage gab. Aber wie gesagt... Das sollte man wirklich für sich behalten. Ich mochte die Alltäglichkeit darin.
Gruß Pennywise |
17.08.2021, 10:44 | #5 |
Forumsleitung
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Guten Morgen, Silbermöwe,
eine typische Situation, wie du sie ganz richtig als Tagebucheintrag gepostet hast. Wenn die Gedanken um ein Problem kreisen, das nicht ad hoc zu lösen ist, greift man zur Ersatzhandlung, einfach um etwas zu tun. Fensterputzen ist dafür ein gut gewähltes Beispiel. Natürlich sind die Scheiben danach nicht sauber, denn das Problem ist damit nicht gelöst. Du hast also auch die richtige Schlussfolgerung gezogen. Es gibt zahlreiche andere Beispiele für ähnliche Situationen: Die Frau, die sich neu einkleidet, dann aber merkt, dass ihr Freund trotzdem nicht zurückkommt. Oder sie lässt sich die Haare schneiden, um ein neues Lebensgefühl zu beschwören, merkt aber schnell, dass sie aus ihrem alten Leben nicht herauskommt. Der Mann, der ein neues Auto kaufen muss, obwohl das "alte" noch keine fünf Jahre alt ist und nie eine Panne hatte. Der Mann, der trotz gemeinsam geplanten Urlaubs verschwindet und nach seiner Rückkehr feststellt, dass er seine Familie doch nicht verlassen will (oder nicht verlassen kann). Aus solchen Situationen lassen sich übrigens tolle Geschichten basteln. Man sagt: Problem erkannt, Problem gebannt. Aber so einfach funktioniert das Leben nicht. LG Ilka |
17.08.2021, 12:38 | #6 | |
Hallo Ilka,
interessante Anmerkungen: Zitat:
Danke für deinen Kommentar! LG DieSilbermöwe |
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