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07.03.2020, 16:43 | #1 |
Forumsleitung
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Die Poesie der Inversion
Was sich zahllose namhafte Dichter leisten (dürfen), nämlich mit Inversionen zu arbeiten, wird in Poetry immer wieder angeprangert. Das Thema hatten wir schon einmal diskutiert, aber da die Mäkeleien nicht aufhören, will ich es nochmal aufgreifen.
Die deutsche Sprache ist im Gegensatz zu anderen Sprachen (vor allem den romanischen) in puncto reiner Reim stark benachteiligt. Da geht nämlich oft nicht viel, abgesehen von den auffallend vielen Wörtern, auf die sich überhaupt nichts reimen lässt. Leider sind es oft die ausdrucksstarksten Wörter, die sich deswegen nicht "verwursten" lassen, für den Dichter also unbrauchbar sind, wenn er nicht gerade humanistisch gebildet ist und sich mit lateinischen oder altgriechischen Wörtern aus der Verlegenheit retten kann. Im Gegensatz zu anderen Sprachen (hier sei vor allem das Englische genannt) hat das Deutsche aber den Vorteil, dass man mit seiner Syntax spielen kann, ohne Missverständnisse hervorzurufen. Es ist also völlig egal, ob man schreibt "unser täglich Brot gib uns heute" oder "gib uns heute unser täglich Brot", oder: "wie auch wir vergeben unsern Schuldigern" im Gegensatz zu "wie auch wir unseren Schuldigern vergeben". Luther, ein anerkannt großartiger Stilist und Vater der deutschen Einheitssprache, schrieb: "Ein feste Burg ist unser Gott ..." statt "Unser Gott ist eine feste Burg". Er inversierte nicht nur, sondern maßte sich sogar an, aus der "Burg" ein Neutrum zu machen. Bis heute hat daran niemand Anstoß genommen. Fontane: "Droben auf dem schroffen Steine / raucht in Trümmern Autafort / und der Burgherr steht gefesselt / vor des Königs Zelte dort". Hätte er nicht schreiben müssen: "Autafort raucht in Trümmern / und gefesselt steht der Burgherr / dort vor des Königs Zelt"? Hand auf's Herz: Welche dieser Varianten klingt poetischer? Welche bleibt uns besser im Gedächtnis? Was hat ein Dichter davon, wenn er krampfhaft Inversionen vermeidet, indem er sich mit schwachen Ausdrücken begnügt, weil das Metrum nicht anders einzuhalten ist? Soll der Sinn der Lyrik darin liegen, auf dem Niveau von Schlagertexten zu dichten, um es den Kritikern recht zu machen, die offensichtlich nichts anderes gewöhnt sind? Die deutsche Sprache ist eine reiche Sprache, die sich aber nur ausschöpfen lässt, wenn man alle ihre Register zieht. Dazu gehört das Spiel mit der Syntax, und diese Freiheit sollte sich kein Dichter nehmen lassen. Diese Freiheit ist "echt" und legitim, ganz im Gegensatz zu der oft beschworenen "dichterischen Freiheit", mit denen manche User ihre schlampigen Texte verteidigen. Abgesehen davon, dass Inversionen sich im alltäglichen Sprachgebrauch immer mehr ausbreiten. Da greift man zum Regenschirm, weil es regnet gerade so heftig. |
07.03.2020, 17:13 | #2 |
Ich denke schon, dass Inversionen eine Technik sein können, nicht nur den Reim zu ermöglichen, sondern um lyrische Akzente zu setzen. Aber es gibt plumpe Inversionen, unnötige Inversionen und lyrisch fruchtbare Inversionen. Die Unterscheidung ist nicht immer so einfach.
AlteLyrikerin. |
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07.03.2020, 18:04 | #3 |
Forumsleitung
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Richtige Einwände, AlteLyrikerin. Aber wer Inversionen kritisiert, sollte die bessere Formulierung mitliefern können - das kann der Kritiker nämlich in den meisten Fällen nicht.
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07.03.2020, 18:25 | #4 |
Liebe Ilka-Maria,
das liefe darauf hinaus, es dürfe nur jemand Kritik äußern, der in der Lage ist es besser zu machen. Konstruktiv und sachlich sollte eine Kritik jedenfalls schon sein. Sonst dürfte ich einen offensichtlich verdorbenen Kuchen nicht kritisieren, wenn ich nicht backen kann. Die ehrliche Kritk mit genauer Begründung, warum der Kuchen schlecht schmeckt, könnte dem Bäcker schon weiterhelfen, falls er Kritik überhaupt annehmen kann. Daran aber hapert es bei selbstverliebten "Dichterfürsten" allzu häufig, meint AlteLyrikerin. |
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07.03.2020, 18:29 | #5 |
abgemeldet
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Für mich sind Inversionen nur schlimm, wenn sie Yodasprakk produzieren.
Alles andere ist doch wurst. Gut gesetzte Inversionen sind der Schlüssel zur Weltlyrik, dafür braucht es aber Skills. Fontane konnte das, wie Goethe, Hesse und Rilke auch. Das zwanghafte Vermeiden von Inversionen führt oft zur porsaischen Lyrik, die ich mittlerweile mehr ablehne als schätze, weil durch sie Redundanz provoziert wird. |
07.03.2020, 18:30 | #6 |
Forumsleitung
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Lyrik folgt keinem Algorithmus. Backrezepte gehören in die Küche, nicht in die Poesie. Aber selbst beim Kuchenbacken ist es egal, ob man zuerst das Mehl oder den Zucker in die Schüssel streut.
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07.03.2020, 18:50 | #7 |
abgemeldet
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07.03.2020, 19:00 | #8 |
Forumsleitung
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So isses. Und mein Anliegen ist, den Usern Mut zu machen, getrost auch mal mit Sprache zu spielenl, statt sich von zwangsgesteuerten Puristen einschüchtern zu lassen.
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07.03.2020, 19:22 | #9 |
abgemeldet
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Find ich sehr gut, im Englischen sagt man pun und im Deutschen Wortspiel
Wortspiele vermeiden Wortschwüle. Ich finde es extrem schwer einen gut verdichteten fünfer Jambus zu schreiben. Es ist sehr leicht in fließender Sprache einen zu schreiben, aber verdichtet eine Kunst. (Die ich im Moment lernen will) |
07.03.2020, 21:09 | #10 |
Dabei seit: 10/2019
Ort: in den Wolken
Alter: 56
Beiträge: 542
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Hallo Ilka & die anderen Mitstreiter,
weiß nicht, ob ich mit meinem "Hilfe"-Ruf bezüglich "ungeliebter Inversionen" diesen Thread mit ausgelöst habe - aber ich kann mich Deiner/eurer Argumentation nur voll anschließen. Die Inversion entspricht vielleicht nicht dem "natürlichen" Sprachempfinden, aber:
"Die künstliche Natur hat darumb dich vmbfangen (...) auff daß man wissen soll (...) daß auch nichts so schön / es sey schwer zu erlangen." (Martin Opitz, Vom Wolfesbrunnen bei Heidelberg, 1619) Schöne Grüße Epilog |
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