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09.07.2012, 18:49 | #1 |
Rahmer See
Die Sonne ist kräftig aber nicht drückend und vor dem dunklen Grün des dichten Tannichts spendet der Anblick der weiten Spiegelfläche, die der Rahmer See bei Wandlitz bildet eine fast vergessene Geborgenheit, als ich mit meiner Liebsten auf der Decke über Heimat rede. Dieser Ort, die Milde des Lichts, die Kinder, die in Ufernähe planschen und sich als Abenteurer wähnen, der kühle Wind, der von Gewitter kündet und zugleich so zahm und angenehm auf der Haut kitzelt, dass die Ankündigung nicht aufschrecken mag - dieser Moment ist vollkommen und es erfüllt mich mit Bedauern, dass die Welt nie wieder so sein wird wie in diesem Moment. Ist es nicht das, was man Heimat nennt? Unweigerlich denke ich daran, was mein Opa über diese Heimat sagte und warum er sie verlassen hat.
Mir kommt plötzlich völlig plastisch in den Sinn, wie er sich einst heimlich an dieser Stelle mit seiner geliebten Rosie traf, wie er all dem drohenden Unheil trotzend einfach glücklich sein musste in der Idylle, von der er noch Jahrzehnte danach so wehmütig schwärmt. Mir kommt auch in den Sinn, wie man ihm die Arbeit schwer gemacht haben muss, nur weil er nicht in der Partei war und dass eine Verbitterung über seine geliebte Heimat immer mehr von ihm Besitz ergriffen haben muss, bis er keinen anderen Weg mehr wusste. Dank der Kontakte ihres Vaters konnte Rosie ihm die Flucht etwas sicherer gestalten, doch Republikflucht war und blieb ein gefährliches Wagnis. Viel schwerer jedoch wog für meinen Opa, dass Rosie nicht mit ihm gehen wollte. Sicher, sie liebte ihn sehr und wäre mit ihm bis ans Ende der Welt gegangen, aber nicht westwärts. Ich habe Großvater noch nie in meinem Leben weinen sehen, bis neulich, als er mir von diesem schwersten Abschied seines Lebens erzählte. Nun ist mir so, als habe ich seine Heimat zurückerobert. Doch auch ich gerate ins Zweifeln, denke ich an Deutschland. Gewiss, ich lebe in einem freien und reichen Land. Aber bin ich deswegen schon ein freier und reicher Mann? Wir können alles haben, was wir wollen; doch wollen wir wirklich alles, was wir haben? Eine Beklemmung stellt sich bei mir ein, beinahe so, als sei mein Vermögen, hierhin und dorthin zu gehen wertlos. Bedrohlich baut sich nun eine schwarze Gewitterwand über uns auf, die Eltern rufen ihre Kinder aus dem Wasser und die Szenerie leert sich rasch. Als ich mich rege, ebenfalls die Flucht vorzubereiten, fasst Sanny zärtlich aber bestimmt meine Hand, küsst mich und sagt: "Jetzt haben wir den Strand für uns." Unter einer Linde genießen wir Baguette und Rotwein aus der Flasche bei strömendem Regen und lieben einander bei harschem Donner und wildem Himmelsleuchten. Ich fühle mich mit einem Mal so frei, dass mir die Erwägung von Unfreiheit lächerlich erscheint und beginne zu begreifen, dass Freiheit keine Möglichkeit ist, die der Mensch durch Beharren wahrt, sondern ein Gefühl, das er durch sein Tun erlangt. |
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09.07.2012, 19:09 | #2 |
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So liebe ich Geschichten!
Es ist eine Geschichte, die aus mehreren kleinen Geschichten besteht. Eine Liebesgeschichte, eine Familiengeschichte, eine Abenteuergeschichte, ein Stück der Geschichte Deutschlands, eine Momentaufnahme, eine Geschichte der Vergangenheit und der Zukunft, eine Geschichte, die sich in der Geschichte und durch die Geschichte wiederholt etc. Sprachlich ein Hochgenuss! Besonders interessant finde ich diesen Gedankengang: "Gewiss, ich lebe in einem freien und reichen Land. Aber bin ich deswegen schon ein freier und reicher Mann?" Sehr gerne gelesen. Liebe Grüße Peace |
09.07.2012, 19:15 | #3 |
Dankesehr!
Ja, das hast du mal wieder sehr aufmerksam gelesen und ich danke dir dafür. Die Verdichtung der vielen Geschichten und Themen zu einer Geschichte war mir hier ein besonderes Anliegen. Besonders der Aspekt "Familiengeschichte vs. deutsche Geschichte" und wie man individuell für sich entscheiden kann, unabhängig aller Umstände frei zu sein. Ganz so naiv sehe ich es natürlich nicht, aber man hat oft mehr Möglichkeiten als man denkt. Toll, dass dir der Satz ins Auge gestochen ist. Ist eine meiner Lieblingsformulierungen in dem Text. Aber "Sicher, sie liebte ihn sehr und wäre mit ihm bis ans Ende der Welt gegangen, aber nicht westwärts." fand ich auch gut. LG |
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09.07.2012, 19:19 | #4 |
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Ja, da hast du absolut recht. Jener Satz macht auch noch eine "Humorgeschichte" daraus. |
09.07.2012, 19:40 | #5 |
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tannicht? dickicht? dünnicht?
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09.07.2012, 19:44 | #6 |
09.07.2012, 21:28 | #7 |
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laubicht+
ein selten schönes stück prosa. |
09.07.2012, 21:36 | #8 |
R.I.P.
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Ich schließe mich allen Lobrednern an.
Welch ein schöner Text! (In dem ich lediglich ein paar Kommas vermisse). Was mir am besten gefällt: Das Tannicht. Wann habe ich dieses schöne Wort wohl zum letzten Mal gelesen? LG Thing (Wo bleiben Deine Briefe?) |
09.07.2012, 22:29 | #9 |
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09.07.2012, 23:22 | #10 |
R.I.P.
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off topic:
Hans und Marlene gingen nicht in' Wald, sie triebens in Paris im forêt D'Arbald .... Verzeih, Schmuddelkind! Diese Frivolität gehört nicht unter Deinen schönen Text. Soll ich löschen? |
09.07.2012, 23:29 | #11 |
Der Text hat es in sich. Vielseitig und auf allen diesen Seiten fein gearbeitet.
LG gummibnaum |
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10.07.2012, 12:19 | #12 | ||
Huch, eine Menge Kommentare!
...für die ich mich herzlich bedanken möchte. Es freut mich über alle Maßen, dass meine Prosatexte solchen Anklang finden und bei diesem hier besonders, denn er beinhaltet ein gutes Stück Autobiographie. Zitat:
Zitat:
LG |
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