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15.04.2012, 19:23 | #1 |
Ein glücklicher Tag
Ich ahnte schon, es könne kein guter Sonntag werden, als der Chorgesang zu "Oh happy day" mich morgens um sechs Uhr aus dem Schlaf riss. Wäre ich bei vollem Bewusstsein gewesen, wäre ich wohl gar nicht erst ans Handy gegangen und hätte mich noch drei Stunden unter die Decke gekuschelt. Aber im Halbschlaf war es mir ziemlich egal, was ich machte. Doch was ich hören musste, drang in meinen Kopf mit solcher Macht, dass ich unweigerlich wach wurde und es war mir plötzlich alles andere als egal: Tiefes, wildes Röcheln. Vor meinem geistigen Augen sah ich einen Menschen um Atemluft kämpfen, sah ihn leiden, sah ihn hilflos und an seiner Hilflosigkeit verzweifeln. Ich rief etwas unbeholfen: "Hallo... Hallo?... Hallo, kann ich Ihnen helfen?" Was für eine dumme Frage - das kann ich natürlich nicht, jedenfalls nicht, indem ich noch so oft "hallo" durch den Hörer brülle.
Ich legte auf und kam erst jetzt auf die Idee, nachzusehen, wer mich denn angerufen hat. Es war Babsi, meine beste Freundin. Ich habe mich noch nie so gefürchtet, den Namen eines geliebten Menschen zu lesen. Für Minuten - so kam es mir jedenfalls vor - war ich gelähmt, stand einfach da vor meinem Schreibtisch, mein Handy in der Hand und blickte in die Leere. Ich wusste nicht, was passiert ist, aber ich fühlte mich schrecklich. Kurz schüttelte ich den Kopf und besann mich auf das Wesentliche. Doch so oft ich versuchte, sie zurückzurufen, sie ging nicht ans Telefon. Ich spürte ihre Hilflosigkeit und fühlte mich selbst so hilflos. Sollten wir so lange miteinander befreundet sein, um einander in diesem entscheidenden Augenblick doch nicht zu helfen, einander gar in die Hilflosigkeit zu stürzen? Mit einem Augenblick fühlte ich mich der Sinnhaftigkeit meiner eigenen Existenz beraubt. Was dann folgte, war kein Ergebnis von Idee, Planung, Entwurf; es war eine Fahrt in Trance der Verzweiflung. Ich fuhr zu ihr nach Saarbrücken, etwas mehr als 200 km, ohne zu wissen, was ich dort tun soll. In den zwei Stunden Autofahrt habe ich keinen klaren Gedanken mehr gefasst. Ich sah nur diese unheimlichen Bilder immer und immer wieder und hatte keine Ahnung, wie ich ihr helfen soll. An dem Mehrfamilienhaus angekommen, konnte ich gerade noch durch die sich schließende Tür huschen und in der Ahnung, der Fahrstuhl brauche etwas länger bin ich die vier Stockwerke zu ihrer Wohnung hoch gerannt, jede zweite Treppenstufe auslassend. Was mich hinter der Wohnungstür wohl erwarten würde? Könnte ich dieses Bild wohl vertragen? Ängstlich, aber fest entschlossen, es heraszufinden, habe ich geläutet. Keine Reaktion! Wieder geläutet. Nichts! Ich wählte mit dem Handy, über dessen Mitnahme ich mich bei meinem geistigen Zustand gewundert habe ihre Nummer. Aus dem Apartment drang ein gedämpfter Chor: "Oh happy day!". Als hätte sich unser gemeinsamer Scherz verselbstständigt und machte sich in diesem bittersten Moment über mich lustig; denn sie nahm nicht ab. Plötzlich hatte ich einen Geistesblitz: Schlüsseldienst! Glücklicher Weise war die Nummer in meinem Handy eingespreichert und tatsächlich kam der Mann mit der roten Weste recht bald. Nicht dass ich die Lage nicht schon sehr ausführlich der genervten Telefonistin erklärt hätte - nein, der etwas dickliche Mann, der vor Ort auftauchte, wollte auch wissen, worum es geht (haben die Leute beim Schlüsseldienst so einen weit gefassten Aufgabenbereich?). Also erklärte ich auch ihm das Problem und jedes Wort, das ich darüber verlieren musste, jede Sekunde, die verging tat so weh! Er aber meinte lediglich mit einem arrogant wirkendem Gesichtsausdruck: "Aber das ist nicht ihre Wohnung?" "Nein" "Tja, dann brauche ich leider eine polizeiliche Anordnung, sonst kann ich nichts machen." "Sie meinen, Gott sei dank habe ich keine polizeiliche Anordnung. Dann haben Sie Pause. Es geht hier um ein Menschenleben!" schrieh ich ihn an. "Vorschrift ist Vorschrift." Ich unterdrückte meinen Impuls, mich über die Telefonistin zu beschweren, die das alles schon hätte viel früher einleiten können, drosselte meine Leidenschaft, den arroganten Dicken zu beleidigen und griff sofort zum Handy, um die Staatsmacht herbeizurufen. Während der ewig langen Wartezeit machte ich mir unablässig Vorwürfe, ich hätte das alles schon während der Fahrt organisieren können, wenn ich mich nur einmal selbst überwunden hätte für Babsi. Als die Beamten so langsam den Gang entlang schlenderten, hatte ich große Lust, ihnen Gelegenheit zum Gebrauch ihrer Schusswaffen zu geben, aber ich verhielt mich zweckdienlich und erklärte ihnen die Lage. Nach kurzem Gespräch waren sie bereit, dem Mann vom Schlüsseldients aufzutragen, er möge die Tür aufschließen. Hastig stürzte ich ins Zimmer hinein und stellte zu meiner Überraschung fest, dass Babsi sich mit wunderlichem und äußerst verschlafenem Blick vom Schlafzimmer auf uns zu bewegte - offensichtlich kerngesund. Ich hätte sie erwürgen können. Stattdessen fiel ich ihr um den Hals, um sie zu umarmen und weinte vor Freude und Erleichterung, während sie, die Polizisten und der Dicke einen Blick aufsetzten, der an Transparenz nicht mehr zu überbieten war, so verwundert und etwas verärgert, wie sie dreinschauten. Die Polizei machte ihren Job und nahm ein Protokoll auf: wie sich herausstellte, hat Babsi mit dem Handy im Bett geschlafen und beim Hin- und Herwälzen versehntlich meine Nummer gewählt. Ihr penetrantes Schnarchen ließ mich für drei Stunden glauben, ich könne im Leben nicht mehr glücklich werden. |
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15.04.2012, 19:30 | #2 |
abgemeldet
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Einfach spitze!!!
Spannend, dazu ein unerwartetes Ende und letztendlich noch eine Prise Humor. Toll ge- und beschrieben. Ich mag besonders die Wut auf den Schlüsseldienst, das Schwanken zwischen Wut und Erleichterung beim Wiedersehen und die Beschreibungen des Inneren/der Gedanken des LIs. Ganz genau so müssen Geschichten sein! Liebe Grüße Peace |
15.04.2012, 19:38 | #3 |
Du bist so schnell, Peace!
Freut mich, wenn es dir gefallen hat. Ehrlich gesagt, habe ich mich beim Lesen gelangweilt, aber seit gestern ist ohnehin alles so stumpf; also liegt es vielleicht an mir. Den subtilen Humor fand ich aber auch gut. Mal sehen, vielleicht finde ich morgen meinen Frieden damit, Peace... LG und tausend dank fürs schnelle Lesen und deinen wundervollen Kommentar! |
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16.04.2012, 12:54 | #4 |
R.I.P.
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Dolle Geschichte. Realität?
Der Titel verrät, daß sie gut ausgeht, da hätte ich etwas weniger Deutliches genommen. Trotzdem ist der clou gelungen! Halli Hallo, Schmuddelkind - es sind noch ein paar Längen und RS-Fehler drin. Aber wahrscheinlich nur für mich Erbsenzähler. Du wirst nicht mehr korrigieren können. LG Thing |
16.04.2012, 13:24 | #5 | |||
Danke, Thing!
Zitat:
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Zitat:
Schön, dass du gelesen und kommentiert hast und dass du es nicht als Zeitverschwendung empfunden hast! LG |
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16.04.2012, 13:28 | #6 |
R.I.P.
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Gute Texte aufmerksam zu lesen -
das kann niemals Zeitverschwendung sein! |
16.04.2012, 13:31 | #7 |
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20.04.2012, 22:51 | #8 |
Dabei seit: 03/2012
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Alter: 59
Beiträge: 39
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"Aus dem Apartment drang ein gedämpfter Chor: "Oh happy day!". Als hätte sich unser gemeinsamer Scherz verselbstständigt und machte sich in diesem bittersten Moment über mich lustig; denn sie nahm nicht ab."
Diese Stelle hat mir ein kleines Schmunzeln bescherrt, ein unerträgliches Ziehen am Geduldsfaden welches durch diese Provokation intensiviert wird. Ich mag die handelnde Fürsorge ganz gern, muss aber sagen das mich die Geschichte ansonsten nicht richtig gepackt hat, ich konnte nicht mitfiebern, konnte das Babsibangen nicht nachempfinden. Liebe Grüße! |
20.04.2012, 23:12 | #9 | |
Zitat:
Danke für deinen Kommentar! LG |
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21.04.2012, 11:57 | #10 |
Hallo Schmuddelkind,
das ist eine tolle Geschichte mit vielen guten Zutaten. Ich dachte aber auch, einiges könnte straffer sein. Das glückliche Ende ahnte ich auch schon recht früh wegen der Überschrift. Manchmal ist es so, dass nach einiger Zeit (und Abstand) sich die Ideen zur Überarbeitung von selbst einstellen ;-) Es lohnt m.E. auf jeden Fall, da nochmal dranzugehen. LG Carita |
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21.04.2012, 12:07 | #11 | |
Freut mich, wenn dir die Geschichte gefällt, auch wenn du recht hast, dass es sich manchmal dehnt wie Kaugummi.
Zitat:
LG |
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21.04.2012, 17:18 | #12 |
Ich finde es irgendwie schade, dass die Überschrift den Ausgang deiner Geschichte vorwegnimmt. Ich wusste dadurch schon, es gibt ein Happy End. Eine andere Überschrift ohne Andeutung auf das Ende und deine Geschichte würde noch spannender auf den Leser wirken.
Ansonsten gefällt mir dein Text! LG Scrag |
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21.04.2012, 21:48 | #13 |
Danke!
Na, wenn es jetzt schon der dritte so sieht, dass die Überschrift den Ausgang vorwegnimmt, dann wird das wohl so sein. Schade! LG |
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21.04.2012, 23:24 | #14 |
abgemeldet
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Ich kann nur sagen, dass ich bei der Überschrift an kein glückliches Ende dachte und zwar aufgrund des ersten Satzes. Der Chorgesang von "Oh Happy Day" hatte mich auf eine ganz andere Fährte gebracht. Deshalb war es meiner Meinung nach keine Vorwegnahme.
Mich konntest du überraschen. |
21.04.2012, 23:26 | #15 | |
Zitat:
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22.04.2012, 09:35 | #16 |
gesperrt
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Schmuddi, hat mir sehr gut gefallen. Lediglich der letzte Satz geht ja numa janich!! Babsis schnarchen nicht penetrant!!!
LG Babsi |
22.04.2012, 10:52 | #17 | ||
abgemeldet
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ein feiner text, den man zu ende liest SCHMUDDI. und wassn lezzen satz betrifft, babselinchen hat ein wenig recht, aber auch ein wenig unrecht, denn: das wort trägt passende synonyme in sich:
Zitat:
aber auch jene, die nicht passend sind: Zitat:
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22.04.2012, 11:55 | #18 |
Danke, ihr Beiden!
Mit dem "penetrant" hab ich mich schwer getan. Habe lange nach dem passenden Adjektiv gesucht und mich letztendlich aus den von Ralfchen erwähnten Gründen dafür entschieden. LG |
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