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Alt 10.04.2012, 10:58   #1
männlich Desperado
 
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Standard Der Schlangentanz der Hopi

Der kleine Colorado bildet die Grenze zwischen Apache im Westen und Hopi im Osten.

Die merkwürdigen Gestalten, die durch die Canyonwüste der gelbrot gestreiften Steine geistern, kommen mir merkwürdig vor, der ich mit Infini den kühlen Schatten eines Felsüberhangs aufgesucht habe und träge das berauschend schöne Hopiland unter mir betrachte. Ihre nackten Oberkörper sind mit braunroten Längsstreifen bemalt, was ausgesprochen gut ins Landschaftsbild passt, außer einem weißen Schurz, mit grünen und roten Mustern bestickt, tragen sie nichts am Leibe, mit einer Hacke graben und stochern sie im Boden herum, besonders unter Steinen und Sträuchern, dann zeichnen sie mit einem Holzschaft Spuren in den Sand und ziehen gleichzeitig einen Ledersack mit der Öffnung in Richtung des befiederten Stockes durchs Gestein.
Ganz offensichtlich handelt es sich bei der wundersamen Truppe um Schlangenfänger.

Bald treibt mich die Neugier aus meinem Siesta Quartier, langsam reite ich auf die Hopi zu, sie kennen meine Erscheinung und lassen sich nicht von ihrer eifrigen Suche ablenken. Beim Näherkommen kann ich die Bewegungen sich windender Schlangen in ihren Ledersäcken erkennen und lass es mir nach freundlicher Begrüßung natürlich nicht nehmen, höflich aber bestimmt um einen Blick auf das Gezücht zu bitten. Kornnatter, Schlanknatter, Wüstenkönigsnatter und die wunderschön gezeichnete Strumpfbandnatter bilden ein wildes Knäuel im ersten Sack, was mir sofort auffällt ist die fehlende Klapperschlange.

Tagelang hätten sie gefastet und sich bestmöglich vorbereitet, erzählt mir einer der Bemalten, um die Schlangen für das große Fest des heiligen Schlangentanzes einzusammeln, heute sei schon der zweite Tag ihrer mühseligen Suche, aber die Klapperschlange scheint in diesem Jahr keine rechte Freude daran zu haben, mit ihnen zu tanzen und sei wie vom Erdboden verschluckt. Obwohl ich die Sprache der Hopi gut verstehe, macht es mir immer noch große Mühe, mit ihrer seltsamen Sprechweise zurecht zu kommen, aber mit der nötigen Zeichensprache mache ich der Gruppe verständlich, dass das überhaupt kein Problem sei, gerade an den Richtigen seien sie geraten, sie sollen mir einfach nur folgen. Die erfolglosen Männer willigen erfreut und sichtlich erleichtert ein.

Spätnachmittags haben wir den Gebirgsstock erreicht, in dessen Höhlen sich die Schlafplätze der Diamantklapperschlange befinden, in deren Schutz sie sich in den Wintermonaten in Scharen flüchten, nicht selten an die zweihundert Exemplare. Aber auch in der brüllenden Hitze des Tages und in den frischen Sommernächten bevorzugen sie diesen Ort ob seiner kaum vorhandenen Temperaturschwankungen. Ich schnapp mir also drei leere Säcke und zwänge mich durch den engen Zugangsschacht, bald kehre ich mit den prallgefüllten Beuteln zurück, es machte keine große Mühe, die trägen und fast bewegungslosen Vipern aufzulesen, die sich im kühlen Grund ineinander verknotet und zusammengeschlängelt haben.

Jubel und Freude sind groß, ich werde kurzerhand eingeladen, an ihrer Zeremonie teilzunehmen, ein außergewöhnlicher Ehrenbezeig für ein Bleichgesicht, ihre Einladung abzulehnen käme einer tödlichen Beleidigung gleich, also ziehe ich ergeben mit ihnen los in Richtung Pueblo. Dort angekommen ist ihr misstrauischer Schlangenhäuptling schnell von meiner Eignung und Erwählung überzeugt, als er einen Blick auf das fette Bündel der etwa zwei Meter langen Schlangenkörper wirft. Diese werden in Körbe gesteckt, aus dem Abzugsschlot eines Gebäudes steigt eine weiße Rauchfahne, der Häuptling verschwindet gemeinsam mit einer Gruppe von Priestern mit je einem Korb in Händen über eine Leiter in der Dachluke des Hauses, in dessen Keller sich offenbar der Sakralraum der Kiva befindet.

Bald dringen eintönige Gesänge und jammerndes Flötenspiel nach oben, die Zeremonie beginnt mit den monotonen Liedern der Schlangenbesinger und den seltsamen Melodien der Flötenspieler, deren Klänge die Schlangenhäupter ganz offenkundig beruhigen und in die rechte Stimmung bringen sollen.

Sehr zu meiner Überraschung wird mir sogar ein Blick ins verborgene Heiligtum gestattet, was ich da auf der Leiter stehend zu sehen bekomme, ist ein rechteckiger, sehr geräumiger, angenehm kühler und erstaunlich gut durchlüfteter Raum, zwei dicke Balken tragen eine rustikale Holzdecke, von einer kleinen Mauer umrahmt flackter ein kleines Feuer einem Rauchabzug entgegen, Lehmbänke schmiegen sich an die Wände, die sparsam mit Wolkengebilden, gezackten Blitzen und Regensymbolen bemalt sind, in der Mitte gähnt ein kleines Loch im Boden.

Ein hözerner Altar ist im schmalen Winkel des Rechtecks auszumachen, auf dem ordentlich aneinandergereiht allerlei sakrale und nicht genau zu unterscheidende Gegenstände liegen, ich glaube Antilopengeweihe zu erkennen, ein Schamanenpriester steht davor, nur mit einem farbigen bänderbehangenen Lendenschurz bekeidet, den nackten Oberkörper und die Arme mit weißen Strichen bemalt, Armreifen um den Bizeps, Muschelketten und Perlenschnüre um den Hals, ein mondsichelförmiges Amulett über dem Brustbein, einen gefärbten wilden Federschopf auf dem Scheitel, weiße Striche auf den Wangen, eine ehrfurchtgebietende Gestalt und geisterhafte Erscheinung.

Aus dem Innern eines Beutels lässt er feinen Sand rieseln und zeichnet geheimnisvolle Zeichen und Bilder auf den Boden, dazu fächelt er mit zwei großen Adlerfedern in der andern Hand. Eine Gruppe von Flötenspielern sitzt in großem Bogen um die kreisförmig inmitten des Raumes aufgestellten Schlangenkörbe, die von ein paar wie der Priester gekleideten und gezierten Tänzern umtanzt und umsprungen werden.

Was hier genau geschieht, weiß ich nicht zu sagen, der Raum ist voller Magie und Mystik, die Tänzer halten Federn in Händen und lassen diese über den geöffneten Körben kreisen, aus denen sich mehrere Schlangenhälse nach oben winden und den Bewegungen der Feder folgen, ob das nun eine Art Beschwörung ist oder schlichte Dressur, ich habe das Gefühl, hier am falschen Ort zu sein und zu stören, so klettere ich wieder nach oben ans Tageslicht.

Später wird mir mitgeteilt, dass dieser Tanz sowohl mit der großen Antilope zusammenhängt als mit der Flötenbitte um Regen, Vorbereitungstänze auf den letzten Tag und Höhepunkt der Zeremonie, den geheimnisumwitterten großen Schlangentanz auf der Plaza des Pueblo. Auf den Plateaus der Dächer sammeln sich allmählich die Leute des Dorfes, Männer, Frauen und Kinder einschließlich meiner Wenigkeit, die leuchtenden Augen voll gespannter Erwartung.

Inzwischen sind die Schlangen in ihren Gefäßen auf der Plaza in einem Verschlag aus Strohwänden mit belaubten Pappelzweigen als Dach, dem sogenannten Kisi untergebracht und werden von einer Gruppe von Antilopentänzern umstanden, die weiße Schlangenlinien auf den Rücken gemalt tragen und eben ihren grazilen Antilopentanz getanzt haben bis an die tuchverhangene Öffnung des Kisi.

Und dann kommen sie endlich aus dem Kiwa geklettert und hintereinander in Schlangenlinien angetanzt, die unheimlich wirkenden beeindruckenden Schlangentänzer mit den Federbüscheln auf dem Kopf, kettenbehangen, bemalt und in befransten Mokassins. Viermal umrunden sie den Verschlag im Gleichschritt, wobei sich ihre Körper mit geschmeidiger Anmut faszinierend schlangenähnlich winden und die Tänzer zudem beschwörende Gesänge singen, bis hierhin ist alles unwirklich genug, was aber nun folgt, verschlägt mir regelrecht den Atem.

Die Schlangentänzer haben sich in einer Reihe gegenüber den Antilopentänzern zur Rechten vor dem Verschlag aufgestellt, wo sie spalierbildend gemeinsam ein Lied singen, ihre Körper dabei wiegen und mit den Armen gemeinsame Bewegungen ausführen in vollkommenem Einklang. Der Schlangenpriester und Wächter der Schlangen tritt majestätisch aus dem Kisi, mit weit ausgebreiteten Armen, in Händen eine große Klapperschlange, mit der Rechten hat er sie hinterm Kopf gepackt, aber keineswegs klammernd, mit der linken hält er ihren muskulösen Leib, der Klapperschwanz windet sich schlängelnd.

Einem Tänzer nach dem andern übergibt er eine Schlange, aber nicht wie man glauben möchte in die Hände, sondern er steckt das Reptil behutsam ein gutes Stück hinterm Kopfansatz in dessen geöffneten Mund, wo die Diamantklapperschlange nach unten baumelnd sich scheinbar entspannt zu winden beginnt.

Mit den Schlangen im Mund beginnen die Tänzer den eigentlichen Tanz, erst mit einer gewissen Zurückhaltung und verständlichem Respekt, aber es scheint, als würden sie durch die Berührung ihrer Lippen an der trockenen warmen Schlangenhaut etwas von deren Wesen in sich aufnehmen, ihre Bewegungen werden runder, geschmeidiger und gelenkiger, fast möchte man meinen, sie haben keine Knochen mehr in Armen, Beinen und Hüften, es ist als würden sich ihre Gliedmaßen ohne ihr Zutun bewegen und sie sich ohne deren Einsatz im Kreis herum bewegen wie eine Schlange, die auf dem Boden kriecht und sich vorwärtsschlängelt. Ich kann dieses unglaubliche Schauspiel nicht anders beschreiben, die Tänzer werden zu Schlangen, dieselben hängen geradezu gelassen aus ihren Mündern, die sich windenden Menschenkörper wie eine Liane zierend, herab oft bis hinunter an den Boden.

Manchmal ringelt sich eins der Tiere zusammen und nach oben, ein andermal züngelt sein Kopf Richtung Ohr des Tänzers, aber dieselben sind vollkommen furchtlos und wie entrückt, sie wissen, dass ihnen keine der außergewöhnlichen Tanzpartnerinnen Leid und Schaden zufügen wird, und so ist es auch. Die hochgiftigen Wüstenvipern scheinen eine Beißhemmung zu haben oder keine Lust, ihr Gift zu verspritzen, fast möchte man glauben, sie würden sich im Rhythmus ihrer Tänzer mitbewegen, vielleicht tun sie es auch, mir sind die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum längst verschwommen.

Ich weiß nicht mehr, wie lange das überirdische Spektakel gedauert hat, irgendwann betritt der Priester den inneren Kreis der Tänzer, die sich längst in Trance befinden, und verteilt die mitgebrachten Nattern auf dem Boden, ein Tänzer nach dem andern nähert sich dem schlängelnden Häufchen, beugt sich immer noch tanzend so tief wie möglich nach vorn und lässt seine Tänzerin sanft zu Boden gleiten, die sich keineswegs eilig in den Schutz der Gemeinschaft der verwandten Nattern begibt, bis alle Klapperschlangen den Mund der Tänzer verlassen und ihre Erdung wiedergefunden haben.

Die Tänzer ziehen sich erschöpft und schweißgebadet zurück, der Priester sammelt die Schlangenbrut in aller Seelenruhe ein, bündelweise hält er ihre Lianen in Händen und trägt die immer noch sehr ruhigen Vipern samt Nattern in ihre Körbe zurück, um ihnen mit ein paar eifrigen Helfern meist kindlicher Statur die verdiente Freiheit zurückzugeben. Es wird noch lange gesungen, getanzt und ausgelassen gefeiert, die Zeremonie als solche jedoch hat ihren Höhepunkt und ihr Ende erreicht, mich zieht es erschöpft und von den Eindrücken wie betäubt der heimatlichen Blockhütte zu.

Auf Infinis Rücken schwebe ich durch die hereinbrechende Nacht und werde zur Klapperschlange, schlängle mich über den steinigen Wüstenboden mit magischer Geschmeidigkeit, bewege mich fort mit reiner Muskelkraft ohne einen Finger zu rühren dabei, von einer übernatürlichen Macht geführt winde ich mich lautlos wie aus mir selbst heraus dahin und komme mühelos gleitend voran.

Ich schmecke den leisesten Windstoß an meiner Zungenspitze, rieche die Wüstenmäuse im Nachthauch und ihren süßlichen Kot, ihr Rascheln knistert in verfeinerten Nerven wie das nächtliche Rauschen der Blätter von Pyramidenpappeln, ich spüre die tödliche Gewalt meines Giftes in den spitzen Schneidezähnen.

Wird es mir jemals gelingen, meine Erdung wiederzufinden?
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