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23.07.2011, 14:49 | #1 |
Irgendwo. Ende.
Am 23. Januar 2009 machte meine kleine Schwester ihre ersten Schritte. Es war ein seltsamer Januartag, die Wolken hingen zwischen Schnee und Regen und ließen doch nichts heraus. Aber es war kalt. An diesem Tag ließ meine kleine Schwester das Gitter, die dicken Mauern und die verschlossenen Türen hinter sich und machte ihre ersten Schritte in ein neues Leben. Im Beisein unserer Eltern ließ sie die Geschlossene Anstalt hinter sich. Mir war kalt.
Als sie nach Hause kam, schaute ich fern, saß im düsteren Licht des Abends und schaute einfach fern. Ich erfuhr im Laufe der Zeit ziemlich wenig, dafür, dass ich meinen Freundinnen eine Woche lang erzählt hatte, meine Schwester wäre krank, Grippe oder so. Ich erfuhr ziemlich wenig, dafür, dass ich am 18. Januar selbst in den Gängen des Gebäudes stand und etwa eine Stunde lang mein kleines Mädchen betrachtete. Und die weißen Wände, die viel zu weiß waren. Es wurde nicht viel gesprochen, nicht vorher, nicht nachher. Eigentlich nie. Aber sie war wieder da. Sie war wieder hier bei uns, dort wo ihr zu Hause war, gewesen war, sein sollte. Dort, wo wir waren. Immer noch. Irgendwo zwischen Sofa und Fernseher, irgendwo zwischen Mittagessen und Schlaf. Doch man erklärt uns: Depression ist heilbar. Und wenn nicht heilbar, so kann sie doch gelindert werden. Ende. Wir setzten viele Schlusspunkte und doch hörte die Geschichte nicht auf. Ich weiß nicht genau, was meine kleine Schwester am 23. Januar 2009 mit dem Verlassen der Klinik hinter sich ließ, aber es war nicht die Depression. Es waren nicht die Selbstmordgedanken. Ich weiß auch nicht, in welches neues Leben sie die ersten Schritte aus dem Gebäude machte, denn es blieb im Großen und Ganzen beim Alten. Irgendwo zwischen Haustür und Fenster zur Straße hin. |
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23.07.2011, 16:08 | #2 |
abgemeldet
Dabei seit: 12/2010
Beiträge: 2.884
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Ich gebe keine Gründe (sie sind mir noch nicht klar), aber aus dem Bauch heraus finde ich, das ist ein starker Text.
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23.07.2011, 19:17 | #3 |
mir gefällts auch wirklich gut, ist Ehrlich, mit viel Gefühl geschrieben, ich fühl mich hineinversetzt,
auch schon der "Abschiedsbrief" hat mir gefallen, kompliment ... LG Z. |
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24.07.2011, 00:06 | #4 |
Dabei seit: 07/2011
Alter: 30
Beiträge: 7
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Ich kann mich nur anschließen. Sehr ausdrucksstark, gut geschrieben. Nicht zu simpel trotz einfachen Wortschatzes und Satzbaus. Ich weiß nicht, irgendwas macht den Text besonders
LG |
24.07.2011, 17:47 | #5 |
Vielen Dank euch allen für eure Antworten!
Wie ihr vielleicht schon öfter gemerkt habt, steckt in vielen meiner "Kurzgeschichten" so manch wahrer Kern oder eben Erfahrung und persönliche Erlebnisse. Dennoch ist es mir immer ein Anliegen, hier keine Tagebucheinträge zu präsentieren, wie sie sich auf so manch zerknittertem Papier wiederfinden lassen, auch bei mir Zuhause. Denn nur so verschwimmen vor meinen Augen die Grenzen von Realität und Fiktion, was mich zu dem Hobby"autor" (-schreiberling) macht, der ich bin. Eure Worte bestärken mich in meinen Schreibversuchen und vor allem darin, diese fast-aber-irgendwie-ja-doch-nicht-Tagebucheinträge zu veröffentlichen. Danke. |
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