|
|
Fantasy, Magie und Religion Gedichte über Religion, Mythologie, Magie, Zauber und Fantasy. |
|
Themen-Optionen | Thema durchsuchen |
14.06.2011, 12:28 | #1 |
abgemeldet
|
Tarquinius Superbus
Nimm deine neun vermaledeiten Schwarten
und schieb sie in den Ofen, allesamt! Denn was die Zukunft bringt, bleibt abzuwarten. Und wer sie kennt, soll schweigen, gottverdammt! Ich weiß, dass die Auguren gar nichts wissen aus Federvieh und deren Milz und Darm. Die Vögel fliegen deshalb, weil sie müssen. Und vorzugsweise tun sie das im Schwarm. Ach, sind es nur noch sechs von deinen Büchern? Ich sehe schon, du meinst es wirklich ernst. Du Witzfigur in deinen schwarzen Tüchern. Jetzt hör gut zu, damit du etwas lernst, und unterlaß das mystische Gekakel. Ich sitze nicht für ewig auf dem Thron. Für diese Einsicht brauch ich kein Orakel. Daß ich erledigt bin, das weiß ich schon! Jetzt sind es nur noch drei von deinen Schriften? Gib her, ich leg sie für dich in die Glut. Den Brutus wirst du nicht damit vergiften. Beim Herkules, das brennt ja richtig gut! Das brennt fast so wie ich die nächsten Tage. Ich bin Tarquin. Ich nehme das in Kauf. Man wird nicht hören, daß ich mich beklage. Jetzt hierher, Wachen! Spießt die Alte auf. Geändert von Ex-Schamanski (14.06.2011 um 17:43 Uhr) |
14.06.2011, 12:29 | #2 | |
abgemeldet
|
Zum mythologischen Hintergrund:
Zitat:
|
|
14.06.2011, 12:31 | #3 |
R.I.P.
|
Tullius dankt!
Nein, im Ernst: ein höllisch feines Gedicht, auf das ich später inniger eingehen möchte. Vorerst: Hochachtung! Superb. Thing |
14.06.2011, 14:41 | #4 |
Forumsleitung
|
Gegen freie Bearbeitung eines Mythos ist nichts einzuwenden, wenn es so geschliffen und lebendig gedichtet ist.
LG Ilka-M. |
14.06.2011, 17:41 | #5 |
abgemeldet
|
Mußte noch einmal editieren. Es fehlte eine Strophe, ich habe das aus dem Gedächtnis heruntergeschrieben. Entstanden ca. 1994.
Vielen Dank an poetry für die Edits! |
16.06.2011, 22:41 | #6 |
Die Cumaeische Sybille ist mit ihrem Buch in der Sixtinischen Kapelle zu bewundern. Der Homoerot Michelangelo zeigt ihre Muskeln. Eine Witzfigur ist gegen sie doch eigentlich Tarquinius. Hier aber spielt er sich ganz anders und wirklich überzeugend auf. Denn hinter ihm steht - in der gelungenen "freieren" Gestaltung - die "ureigene Kraft" des "genialischen" Gestalters, eines wahren "Götz v. B.".
Bravo, Schamansky (Fossil des Sturm und Drangs)! LG gummibaum |
|
16.06.2011, 23:10 | #7 |
abgemeldet
|
Nun bin ich aber befremdet. Mein Tarquinius ist als gewissenloser Tyrann gemeint, die Sorte von Despot, dem es vollkommen egal ist, wen und was er mit sich in den Abgrund reißt und der dabei genau weiß, was er tut. Vergleiche zu anderen historischen Figuren kann jeder selber anstellen.
|
16.06.2011, 23:37 | #8 |
Hallo, Schamansky,
hab das Gedicht noch einmal gelesen. Der Mann ist mir als Weltkenner und Magieverächter zunächst nicht unsympatisch gezeichnet, erst das "Spießt die Alte auf" setzt ihn zum Henker herab, überschreitet die Grenze einer maßvollen Abgebrühtheit. Wenn ich es so lesen kann, bin ich wohl selbst so ein Schurke. LG gummibaum |
|
17.06.2011, 00:56 | #9 |
abgemeldet
|
Du bist natürlich kein Schurke.
Der Kerngedanke des Gedichtes steckt im Beinamen des Tarquinius, der Topos ist "superbia", Hybris. Daß er nicht abergläubisch ist, sei dahingestellt, jedenfalls ist er sich seines unmittelbar bevorstehenden Unterganges auf gänzlich illusionslose und realistische Weise bewußt. "Ich sitze nicht für ewig auf dem Thron", "für diese Einsicht brauch ich kein Orakel", "daß ich erledigt bin, das weiß ich schon", "das brennt fast so wie ich die nächsten Tage". Er weiß sogar schon, durch wen sein Ende eingeläutet wird, nämlich Brutus; hier habe ich mich wieder an die Legende gehalten. Was meinem Tarquinius nun vollständig abgeht, ist die kleinste Gewissensregung, der leiseste Anflug von Reue selbst im Angesicht des bevorstehenden Gerichts. Er wird bis zum letzten Atemzug so mörderisch weitermachen, wie gehabt. In seiner Superbia erhebt er sich frevelhaft über alle ethischen Normen und alle menschlichen, und, wer will, auch göttlichen Gesetze. Wohl scheint er eine gewisse naturgesetzliche Notwendigkeit seines Untergangs anzuerkennen, aber auch das löst in ihm keinerlei Gewissensregung aus. Dieser Tarquin ist kein Held. Er ist ein Monster. |
17.06.2011, 01:24 | #10 |
Hallo, Schamansky,
danke für deine Erläuterung, die sehr gründlich ist und nachweist, dass ich Abwegen unterwegs war. Ich kann alles nachvollziehen, was du schreibst und sehe die Gestalt deutlicher, also unmenschlicher, verabscheuungswürdiger und in ihr zugleich eine plastische Definition von " Monster". LG gummibaum |
|
17.06.2011, 01:51 | #11 |
abgemeldet
|
Es ist das Risiko jeder Form von Kommunikation, daß das, was abgesendet wird, nicht immer mit dem übereinstimmt, was ankommt. Das kann am Sender liegen, am Empfänger, an sender- oder empfängerunabhängigen Interferenzen oder an einer Kombination aus allen diesen Faktoren. Manchmal läßt es sich nicht einmal ausmachen.
Wenn aber jemand diesen Tarquinius als positiven Charakter begreift, dann muß ich mir den Schuh wohl zumindest teilweise anziehen. |
17.06.2011, 16:36 | #12 |
gesperrt
|
Also, ich finde dieses Gedicht einfach nur gut. Und das Hineininterpretieren von positiven oder negativen Eigenschaften der Hauptperson ist doch alles Krümelkacke.
In meinen Augen ist Tarquin ein toller Typ und er hat Recht, die Alte zum Schluß abservieren zu lassen. Einfach ein Gedicht mit einem netten, heiteren Touch. Ich würd so was meiner Mutti zum Muttertag schenken. Babsi |
18.06.2011, 01:10 | #13 | |
abgemeldet
|
Hallo Schamansky,
ein wirklich eindringliches Gedicht, in dem Du einen zynischen, gewalttätigen König eine ebenbürtige Sprache verleihst. Die wörtliche Rede bzw. der Monolog tut sein Übriges. Gut, dass Du die Hintergründe zitiert hast, sonst hätte ich -zumindest spontan- nicht genau gewusst, worauf Du hinaus wolltest. Sicherlich sollte ein Gedicht in der Regel für sich stehen, in diesem Fall kommt es durch das Zitat nicht so elitär herüber, was ich mag. Zitat:
Dieser Zynismus über das Aufwerten des Selbstverständlichen. Der Angriff auf das Okkulte. Toll! (Auch wenn ich die Gewalt des Königs ablehne.) Liebe Grüße Encki |
|
19.06.2011, 13:45 | #14 |
Ohne noch einmal auf Inhalt und Aussage einzugehen, möchte ich meine Bewunderung für die enorm bildhafte, farbige und kraftvolle Ausdrucksweise kundtun. Beim Lesen habe ich die ganze Szenerie wie auf einer Bühne vor Augen und kann nur noch hingerissen applaudieren.
LG Daisy |
|