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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt. |
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03.01.2011, 04:35 | #1 |
Seelenbrand
Auf dem Weg zum Seelenbrand,
auf dem Sprung, die Autos zählend, sehe ich ein Häufchen Elend frierend dort am Straßenrand. Ich möchte helfen, aber wie? Denn Geld wird kaum ein Balsam sein. Ein off'nes Ohr, drei Jas, ein Nein, das gönnt man ihm vermutlich nie. Aber meine Uhr erlaubt kein Rasten. Ich bin gütig, denk' ich und beleg' es. Mein Gewissen möchte ich entlasten, lege einen Euro in den Kasten und geh' weiter meines Weges. |
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03.01.2011, 12:07 | #2 |
Ich bin immer der Überzeugung, dass ein gutes Gedicht von Stimmung getragen wird - keineswegs von Reimen oder Versmaß oder Rhythmus per se.
Deswegen fand ich die kleinen Details (beabsichtigt?) so schön. -das "ihm" ist interessant, da ich mich immer noch frage, trotz des Pronomens, welches Geschlecht die Person hat. Vielleicht liegt darin auch die Finesse; jeder kann so ein Häufchen Elend sein -3 Jas, 1 Nein (...) -die Güte Vielleicht hätte man das Gewissen etwas subtiler formulieren können, aber andererseits ist es die drittletzte Zeile. Ich kann gut nachvollziehen, wie es dem Menschen geht, den du darstellst. Thumbs up! |
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03.01.2011, 12:35 | #3 |
R.I.P.
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Halli Hallo, Schmuddelkind -
diese Gefühle kenne ich nur zu gut. Ein Kleines Nagen im Innern ob der Trägheit des Herzens, ein Almosen, ein kurzer Gruß - schon ist das Gedächtnis wieder still. Auf dem Weg zum Seelenbrand. Hast Du prima umgesetzt! Thing |
03.01.2011, 15:16 | #4 |
abgemeldet
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Schande über mich, aber ich verstehe die Seelenbrand-Metapher nicht. Wer hilft?
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03.01.2011, 16:33 | #5 |
R.I.P.
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Ich hab es (für mich!) soo interpretiert:
Man ist in Eile, um dem (oder den) Liebsten entgegenzueilen. Das Herz (metaphorisch!) ist schon heiß (Brennen), alles andere stört oder lenkt nur ganz kurz ab. Das Gewissen regt sich sekundenlang im Erkennen, daß es es bedauerns- und bemitleidenswerte menschliche Kreaturen gibt - man möcht ja gerne mehr tun - aber die Zeit drängt! Außerdem: Wer will sich gerade dann mit dem anonymen Leid Anderer belasten? Es brennen eventuell daheim schon alle möglichen Kerzen! Naja - meine Sicht. Thing |
03.01.2011, 16:42 | #6 |
abgemeldet
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Hm ... aber wieso zählt der sich zu seinem Seelenbrand Begebende noch die Autos? Nur des Reimes wegen?
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03.01.2011, 17:04 | #7 |
R.I.P.
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Weil es ihm nicht schnell genug geht und die Ampel noch nicht auf "grün" geschaltet hat.
Oder keine Ampel den Verkehr regelt. |
03.01.2011, 17:22 | #8 |
abgemeldet
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Ja, kommt hin. Nix für ungut, hatte wohl zu kompliziert gedacht.
Das Gedicht finde ich gut! |
03.01.2011, 17:53 | #9 |
R.I.P.
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Mal sehen, was Schmuddelkind dazu meint ....
Thing |
03.01.2011, 18:00 | #10 |
Danke für die zahlreichen qualifizierten Beiträge!
@Ayatollah: Wahrscheinlich hast du recht. Das mit dem Gewissen hätte man echt metaphorischer gestalten müssen. Ist teilweise dem Umstand geschuldet, dass ich es kurz und pointiert machen wollte. Zumindest das ist mir dabei, glaube ich, gelungen. Das "ihm" steht für "dem Häufchen Elend", womit es immer noch geschlechtsneutral ist. Das war mir, wie du richtig anmerkst wichtig, weil tatsächlich jeder in so eine Lage kommen kann. Obdachlose sind nicht immer nur die ungebildeten Versager, bei denen sich das schon in der Jugend abgezeichnet hat. Ein einschneidendes Erlebnis in der Biographie eines Menschen kann eine Pfadabhängigkeit in Gang setzen und so sitzen dann ehemalige Filialleiter oder Professoren auf der Straße. Zu den Autos: Das LI fühlt sich nicht im Stande, Zeit (und dies bedarf wirklich nicht viel Zeit und Mühe: 3 Jas, 1 Nein) aufzubringen, um einem Menschen das wertvolle Geschenk der Akzeptanz und des Respekts zu machen. Es fühlt sich getrieben von den anonymen Zwängen, die unsere Gesellschaftsordnung uns auferlegt. Dass das LI beim zwanggemäßen Handeln Autos zählt, soll die Bedeutungslosigkeit unseres Tuns herausstellen. Wir denken immer: Dieses Meeting, zu dem ich muss oder jetzt noch schnell Weihnachtsgeschenke zu kaufen, ist total wichtig und alternativlos, aber wohl nur deshalb, weil wir uns keine Gedanken über Alternativen gemacht haben. Dabei ist ein Meeting zum Thema "Synergieeffekte durch interkulturelles Verständnis im Umgang mit Kollegen" oder eine 21. Krawatte für Opa zu Weihnachten doch nicht so bedeutungsvoll wie das Schicksal eines Menschen, das mir auf offener Straße entgegen springt. Und da wir gedanklich und zeitlich so sehr eingespannt sind durch diese anonymen Zwänge, erlangen wir gar nicht die Möglichkeit, uns der Alternativen bewusst zu werden. Wir handeln unbewusst, unvernünftig, programmiert. Wir sind entfremdet von uns selbst, bzw. von dem, was wir wären, wenn wir uns unseres eigenen Verstandes bedienen. Und so brennt mehr und mehr die Seele aus. Das ist in etwa, was ich mit Seelenbrand meinte, auch wenn Thing' gegenteilige Interpretation auch etwas für sich hat. Danke dafür! Ich habe das alles nicht geschrieben, um den moralischen Zeigefinger zu erheben. Dazu fühle ich mich durch meine eigenen Worte zu peinlich getroffen. Ich denke, kaum jemand (außer diejenigen, die die allerletzte Konsequenz ziehen und als Aussteiger im Wald leben), kann sich dieser anonymen antiaufklärerischen Zwänge erwehren. Und so ist es nicht angebracht von Schuld oder so etwas zu reden. Es ist eher ein systemisches Versagen. Und Systeme kann man nicht verurteilen, nur analysieren. |
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03.01.2011, 18:10 | #11 |
abgemeldet
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Vielen Dank, Schmuddelkind.
Der Gedanke kommt mir jedesmal beim Anblick eines Obdachlosen: tat twam asi ... oder simpler, "Das könntest genauso gut Du sein, du hattest nur verdammt Glück." Keiner soll sich einbilden, vor dem totalen Absturz sicher zu sein; das Eis, auf dem wir alle tanzen, ist dünner, als man denkt. "Seelenbrand" ist also alles das, was einem die Seele ausbrennt, verstehe ich das richtig? |
03.01.2011, 18:10 | #12 |
P.S.: Das ist natürlich nur die politische Dimension meines Gedichts. Daneben hat es auch eine emotionale Dimension und mich freut es natürlich, wenn Ayatollah und Thing diese mitempfinden können!
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03.01.2011, 18:17 | #13 | |
Zitat:
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03.01.2011, 18:18 | #14 |
...Und eines dieser Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen, ist das soziale Gewissen, das ja Gegenstand meines Gedichtes ist.
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03.01.2011, 18:20 | #15 |
R.I.P.
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hast mich übersehen??
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03.01.2011, 18:22 | #16 | |
abgemeldet
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Zitat:
Ansonsten kann ich mich sehr mit dem Gedicht identifizieren. |
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03.01.2011, 19:22 | #17 |
03.01.2011, 19:25 | #18 |
R.I.P.
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Vielleicht hab i c h was überlesen?
Thing |
03.01.2011, 19:36 | #19 | |
Zitat:
Aber meine Uhr erlaubt kein Rasten. Die eigentliche Handlung dahinter ist: Ich schaue auf die Uhr und entscheide, dass ich keine Zeit dafür habe. Aber ich habe es bewusst so formuliert, da es keine wirkliche bewusste Entscheidung gibt. Diese äußeren Zwänge sind so wirkmächtig, dass jede Reflexion darüber, welche Bedeutung diese zwanggemäße Handlung hat, im Keim erstickt wird. Es ist, als würde die Uhr mir einen Befehl erteilen - eine extreme Veräußerung meiner Vernunft, dass mir leblose Maschinen diktieren, wie ich mich in einer so bedeutungsschweren sozialen Situation verhalten muss. Hoffe, der Bezug zum Gedicht wurde etwas klarer. Aber wie gesagt: Man kann es auch ohne den ganzen gesellschaftskritischen Quatsch lesen und verstehen. |
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03.01.2011, 19:39 | #20 |