|
|
Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken. |
|
Themen-Optionen | Thema durchsuchen |
08.01.2013, 20:07 | #1 |
Ulsambule
Ein leiser Schrecken lässt dich nachts erwachen,
das Haus stockfinster und mit Ahnungen erfüllt, von draußen Wind wie Murmeln, Stimmen, Lachen, und in Dir etwas – ahnend, aber noch verhüllt. Du schlägst die Decke fort in einer Welle, durchquerst den Raum, und wähnst am Fenster Schatten stehn, rinnst aus dem Zimmer, übertrittst die Schwelle, lässt Dich von Nacht und Träumen auf die Treppe wehn. Dort klamm die Leere Dich berührt mit Händen, die dich betasten von den Beinen bis zur Stirn, Du hebst die Arme, tastest nach den Wänden, fühlst Muster, Formen, die dich tiefer noch verwirrn. Und durch die Schwärze leise dringt ein Rufen, das Dich mit einer Ahnung innehalten lässt, dass droben, dort am Ende vieler Stufen, Dein Ziel liegt, das dich zieht und hält für immer fest. Du gehst hinauf, fühlst Eis auf Deinen Wangen, nur mit den innern Augen kannst Du etwas sehn, dein Herz es stockt, die Brust erfüllt von Bangen, dass was dort ist, liegt jenseits – fernab von Verstehn. Und als Du Fuß vor Fuß erreichst das Ende, ist dort ein fahler Schemen, nackt auf Spiegelglas. Die Angst, sie wächst und überströmt die Wände, erfasst mit Macht und einer Kraft Dich ohne Maß. Du läufst mit des Imagos Blick im Rücken die Treppenflucht hinab und endlich aus dem Haus, siehst Häuserschluchten, Welt zersetzt in Stücken, ein Sturm regiert, peitscht Blätter auf mit Weltenbraus. Durch nasse Gassen läufst Du bar an Füßen, noch immer treibt Dich Schrecken, kalt und exogen, bis Du die Stadt verlässt und Felder grüßen, wo hinter Mauern unter Ulmen Steine stehn. Dort springst Du endlich über Fries und Bogen, bis Du der Toten letzte Ruhestatt erreichst, weißt nun, dass etwas Dich hierhin gezogen, vor dem Du schon seit einer Ewigkeit entweichst. Dort siehst Du zwischen Ahnenreihen stehen, ein Mädchen tief gebeugt an einem Grab allein. Du trittst heran und kannst im Mondlicht sehen, den bangen Namen, der dort steht auf einem Stein. |
|
09.01.2013, 16:39 | #2 |
Da hat der/ die / das Elysium mal wieder einen finsteren Brocken ausgespien. Formal erneut über jeden Zweifel erhaben, verleitet mich dieses im Dunkeln glitzernde Schätzchen dazu, ein wenig in der Finsternis herumzustochern. Besonders angetan hat’s mir die Passage mit dem Auf- und Abstieg – da steckt Schmackes hinter!
Noch im heimatlichen Treppenhaus oder schon auf bestem Weg in himmlische Gefilde? Schön dabei: Das eigene Spiegelbild hält vom Erreichen des Ziels ab. Oder ist’s das Ziel? Konfrontation mit sich selbst als Lebens- bzw. Sterbenszweck? Gefällt nicht immer, was man da sieht. Weil man noch nicht bereit war? Weil man noch was zu tun/ zu sagen hat? Eventuell gegenüber neuerdings alleinstehenden Damen, die gebeugt trauernd (oder horchend?) nachts vor stummen Grabsteinen herumstehen? Wir werden’s nie erfahren... |
|
09.01.2013, 17:09 | #3 |
R.I.P.
|
Hallo, Elysium -
ich schließe mich Wenholm an. Ich lese nicht so intellektuell wie er, sondern meist mit meinem Gefühl, kann von daher dialektisch nicht mithalten. Er verwirrendes und gleichzeitig betörendes Gedicht, in dem mich lediglich die (oft unnötigen) Inversionen stören. Der lautmalerische Titel scheint wie angegossen. Das ist in meinen Augen so gut, daß es in meine Favoritenliste kommt. Freundlichen Gruß von Thing |
09.01.2013, 20:28 | #4 |
Hallo Elysium,
das Gedicht ist wirkt sehr intensiv, weil die Ängste in ihrer Steigerung immer durch angemessenen Ausdruck begleitet und plastisch entfaltet werden. Vorzüglich! LG gummibaum |
|
09.01.2013, 21:06 | #5 |
Wort- und bildgewaltig, klasse, Elysium!
Der Titel stellt mich vor Fragen. Erinnert mich irgendwie an Somnambulismus. lg simbaladung |
|
11.01.2013, 13:58 | #6 |
Vielen Dank allerseits für euer Interesse und Lob.
Nach Roland Barthes tragischem Tod des Literaturschaffenden dürft ihr übrigens etwaige Fragezeichen streichen und intentionales Erbe verwalten, wie es der textliche Nachlass zulässt. Wenholm, Deine Auslegung scheint mir mehr als legitim. So könnte ich es in der Tat gemeint haben. Ansonsten von mir kein Sterbenswörtchen... Ungereimte Grüße Elysium |
|
11.01.2013, 14:02 | #7 |
R.I.P.
|
"Ulsambule" gibt mein PETRI hicht mehr.
Ich lasse das Lautmalerische auf mich wirken. Aber warum kein Sterbenswörtchen mehr? Soll die Chambre nicht claire werden? LG Thing |
23.03.2013, 09:30 | #8 | |
Zitat:
Finde, dass nur das Werk und alle Optionen, die ihm sprachlich, kontextuell und inhaltlich gegeben sind sowie die Wahrnehmung/das Mind-Setting des Lesers, welches bedingt, was davon individuell rezipiert wird, die Interpretation bestimmen sollten. Darum lasse ich lieber ihn für mich sprechen. Meine Intention finde ich zweitrangig. Sie stellt ja nur meine Perspektive dar. Der Text verselbstständigt sich gewissermaßen vor Deinen Augen. Bin kein Feund von Biographismus und Hermeneutik. Bitte entschuldige auch meine verspätete Antwort. Habe den Post seinerzeit einfach übersehen. Beste Grüße Elysium |
||
23.03.2013, 11:38 | #9 |
Hallo Elysium!
Wow ... ich finde Dein Poem überwältigend. Gut, die Inversionen sind Geschmackssache, stören aber meine aufkommenden Bilder bzw. Fragmente nicht im geringsten. Mir fiel spontan Edgar Allan Poe ein, denn der Gänsehaut verursachende Thrill Deiner Zeilen erinnerte mich an zumindest eines seiner Werke. Großes Kompliment für diesen besonderen Lesegenuss. VG Pitti |
|
23.03.2013, 13:01 | #10 | |
Zitat:
In der Tat beschäftigen und inspirieren mich die Großen der Fantastik und Schauerromantik, unter anderem auch Poe, im Augenblick wieder sehr. Dein Lob ehrt mich ebenso sehr. Vielen Dank dafür. Elysium |
||