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Theorie und Dichterlatein Ratschläge und theoretisches Wissen rund um das Schreiben. |
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30.01.2005, 04:09 | #1 |
Dabei seit: 01/2005
Beiträge: 13
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Jeder macht es anders
Jeder Autor hat seine individuelle Art des Was und Wie des Sehens und Beobachtens, des Sichtens und Einordnens des Gesehenen oder des Erfahrenen; im zweiten Schritt spielen seine sprachlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten eine Rolle, auch die Tiefe und die Bandbreite seines Denkens und die Bereitschaft, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Banale Gedanken und banale Gefühle bringen banale Literatur hervor. Ebenso machen tiefschürfende Gedanken oder tief empfundene Gefühle allein kein gutes Gedicht. Die Kombination von mehrdimensionalem Geist und sprachlicher Ausdrucksfähigkeit oder -talent bringen es.
Ich finde, es geht beim Schreiben - sei es Lyrik oder Prosa - um die Fähigkeit, ein einzelnes Erlebnis, eine einzelne Beobachtung oder ein persönliches Empfinden in einen größeren, übergeordneten Rahmen zu stellen, sie als Symbol für etwas uns alle Betreffendes zu erkennen und auszudrücken. Beispielsweise Liebeskummer: Während ich diese Zeilen tippe, leiden einige hundert Millionen Menschen auf dem Globus darunter. Manche drücken ihn schriftlich aus, als Gedicht oder als Erlebnisbericht. Es mag den betreffenden Menschen als Erleichterung dienen und sei als solche respektiert. Aber wen interessiert das, außer den Menschen, die solcherlei Geplagte persönlich kennen? Wir alle wissen um den Schmerz einer enttäuschten Liebe, da brauche ich ehrlich gesagt nicht die Ausflüsse weiterer Millionen Leidender. Wenn es aber ein paar dieser Geplagten schaffen, in der Beschreibung ihres aktuellen persönlichen Leids eine Ebene hinzuzugewinnen, die über ihr persönliches Leid hinausgeht und mir mitzuteilen, wie menschliche Psyche funktioniert oder wie man mit Leid umgehen kann, so kommt eine neue Perspektive hinzu. Mich persönlich - und ich kann nur für mich persönlich sprechen - interessieren nicht persönliche Schicksale, sondern wie die Betreffenden damit umgehen, welche Erkenntnisse und Konsequenzen sie daraus ziehen. Ganz pragmatisch: Mich interessiert nicht das Was, sondern das Wie und Warum. Das kann Dünnschiß sein, den man mit einem Schlauch locker wegspritzt und es bleibt nichts übrig. Oder es entpuppt sich als solider Haufen, der einigen Aufwand erfordert, ihn zu beseitigen und der wegen der aufgewendeten Arbeit länger in Erinnerung und damit präsent bleibt. Wie enstehen meine Gedichte? Wen interessiert das? Wen kann das überhaupt interessieren? Das Leben hat für die wenigsten Dinge Kochrezepte bereit, bei denen man Punkt für Punkt nach einem festen Schema abarbeitet - und dann wird das schon. Ich arbeite pragmatisch: Nachdem ich über die Menschen, über psychische Empfindlichkeiten und Zustände generell schreibe, ist der Fundus unerschöpflich. Dank einer guten Beobachtungsgabe und psychologischem Fachwissen kommen Ideen zu Gedichten immer spontan, ich haue ein paar Zeilen hin und werfe sie in meinen Zettelkasten. Für meine Ideen brauche ich nicht unbedingt real erlebte Begebenheiten, vielleicht noch nicht einmal echte Menschen: deren Verhalten, Auswüchse, Abwege, Abartigkeiten oder lässliche Eitelkeiten werden mir täglich vorgeführt in Werbung, Klatschblättern, Nachrichten, Talkshows u.s.w. Zwanzig Jahre hautnahes Erleben und Hinschauen reichen: Es wiederholt sich alles; der Mensch ist im Grunde ziemlich berechenbar in seinen Grundmustern - sei es im Verhältnis zu anderen einzelnen Menchen oder in seinem Verhalten innerhalb einer Gruppe und der "Gesellschaft". Wenn ich dann eine Lesung plane - im Hinterkopf wissend, daß ausreichend Themenmaterial vorhanden ist -, krame ich die Zettel mit den Ideen wieder hervor und bearbeite sie genauer, aus manchem entsteht - je nach momentaner Befindlichkeit und damit Zugang zu dem jeweiligen Thema - ein Gedicht oder auch nicht oder während des Schreibens läuft ein Gedicht auf etwas ganz anderes hinaus, als ich zunächst vorhatte. Für mich wichtig beim Schreiben: sich nicht an eine geplante Pointe oder Aussage klammernd, sondern offen bleiben. Das Material im Zettelkasten ist ein roter Faden, eine Stimulans, mehr nicht. Während des Schreibens kommen bisweilen nach einigen Zeilen Text ganz andere Ideen und Schlußfolgerungen, als geplant. Oh mei, der Text war so ausführlich nicht geplant. Aber wenn die Schreibe mal am Laufen ist... Vielleicht hilft es ja jemandem? Eure Karin |
08.06.2006, 12:46 | #2 |
Dabei seit: 04/2005
Beiträge: 257
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hmmm... ich arbeite ähnlich wie du...
du scheinst dich ebenfalls sehr mit dem, was du schreibst auseinanderzusetzen! lg lycrael ps: könntest du mir einen gefallen tun und mal über einige meiner werke `drübergucken? |
08.06.2006, 13:05 | #3 |
gesperrt
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Toll, dass du uns so aufklärst. Dass du Gedichte die mit Seele und Herzblut geschrieben sind mit Dünnschiss vergleichst, war vermutlich nur ein kleiner Ausrutscher.
Ich bin auf deine Gedichte gespannt. LG Gem |