Endlich traurig
Endlich traurig
Sie waren wieder in Hochform. Sie haben geredet und gelacht, obwohl es nichts zu reden und zu lachen gab. Sie waren wieder gut drauf, weil sie erzählen konnten, ihrem Vakuum eine Gestalt geben konnten. Es erforderte kein aktives Zuhören um herauszufinden, welche Last sie mit sich herumtrugen. Allein dadurch, dass sie redeten, entlarvten sie sich als von ihrer Bedeutungslosigkeit gekränkt. Die Geschichten waren alle alt, es gab nichts Neues. Auch hätte jeder die Geschichten der jeweiligen anderen erzählen können, so allgemein bekannt waren sie schon, aber es wurde gelacht, als ob altbekannte Pointen nie an ihrer Wirkung verlieren würden. Unter ihnen war der erste Vorsitzende des Vereins, der eine leichte Arroganz an den Tag legte, entstanden als Kompensationsmöglichkeit seiner ihn klein machenden Arbeit. 60 Jahre alt und mit sich selbst nicht im Reinen und die sich leider Freunde nennenden anderen lehnten seine Arroganz ab, lehnten dadurch ihn ab und begegneten ihm mit Feindseligkeit. Unfähig zu lieben, mit sich selbst nicht im Reinen, auf der Zielgeraden ihres Lebens. Sie waren wieder in Hochform, haben alles in die Runde gebracht, was sie nur konnten, um den anderen Freude zu machen und das war so gut wie nichts. Versteckt hinter ihrer Mauer, nur lächelnd mit ihrem Mund ohne die Augen, nicht mehr wollend, Fragen zu stellen, äußerlich aufrecht, innerlich gekrümmt, aüßerlich die Brust raus, innerlich die Brust zerreißend, äußerlich trocken, innerlich triefend. Auf dem Weg nach Hause vergoss ich für jeden von ihnen ein paar Tränen, die sie selbst nicht mehr in der Lage sind, fließen zu lassen und an deren Stelle sie als Ersatz ihre Geselligkeit haben. Ich kam zu Hause an, es war keiner da. Ich zog meine Klamotten aus, machte den Ventilator an, setzte mich entkleidet auf das Sofa und dimmte das Licht. Es war still und die Luft strömte angenehm über meinen Körper und es tat gut und ich seufzte und weinte noch etwas und es tat gut. Endlich wieder mal allein, endlich wieder mal traurig. Der Luftzug des Ventilators trocknete mein Gesicht. Ich machte ihn aus und legte mich wieder auf das Sofa um zu schlafen. Es war etwas unbequem, aber ich rollte mich zusammen, umklammerte mich selbst mit meinen Armen und fühlte mich wohl, mit mir im Reinen, mit tränengereinigter Seele, versöhnt mit meiner eigenen Bedeutungslosigkeit und Nichtigkeit und ruhig. Ich war wieder in Hochform.
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