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25.02.2024, 10:47 | #1 |
Dabei seit: 10/2019
Ort: in den Wolken
Alter: 56
Beiträge: 544
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poppo... äh, nein, pop-poetry
widersprüchlich
im blickfeld deiner augen steh ich nur ganz am rand und das, obwohl ich niemals bis zum äußersten gegangen bin friedens-aufgabe ich habe die flinte ins korn geworfen ich fühle mich besser ohne waffe In der Online-Ausgabe der NZZ habe ich diese Woche unter dem Stichwort "Instapoetry" (ich habe das schon wieder sprachspielerisch umgetitelt) und der Überschrift "Gedichte treten wieder vermehrt in Erscheinung – ausgerechnet dank Social Media" einen langen Artikel über die Rolle der Lyrik in unserer "schönen neuen Welt" gelesen: https://bellevue.nzz.ch/reisen-entde...tok-ld.1814407 Der ist sehr lang, weshalb ich hier nur einen kurzen Ausschnitt zitiere, der mit das wichtigste auf den Punkt bringt: "So bricht Instapoetry eben mit germanistischen Normen, Reimschemen und poetischen Metren genauso wie mit dem Klischee vom armen Dichter. Kaum eine Poetin oder ein Poet, die oder der unter dem «Link in Bio» nicht noch Jutebeutel, Grusskarten oder Wandteppiche mit Versen verkauft. Als inoffizielle Richtschnur für ein gelungenes Gedicht kann gelten: Es sollte auf eine Kaffeetasse passen." Formalpoetisch ist das ja nun längst nicht Neues, wie die knapp 40 Jahre alten Beispiele aus eigener "Feder" zeigen mögen, die ich eingangs zitiere. Derartige "Spruchdichtung" war schon im Barock verbreitet und beliebt, zum Beispiel bei Friedrich Logau. Bleibt also allenfalls die Frage, ob ihr diese Entwicklung in den "sozialen Medien" ebenfalls nachvollziehen könnt - und welche Haltung ihr dazu habt?: Ist dies das Ende aller "echten" Lyrik - oder werden wir alle noch zu bejubelten Poppoeten? Viele Grüße, Epilog |
25.02.2024, 11:46 | #2 | |
Hallo Epilog,
mit Social Media habe ich nichts am Hut, aber die Aussage Zitat:
Aber es gibt ja auch große Kaffeetassen . LG DieSilbermöwe |
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25.02.2024, 12:36 | #3 |
Dabei seit: 10/2019
Ort: in den Wolken
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Beiträge: 544
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Aha, liebe Silbermöwe
ich ahne schon: Du würdest Dich auch selbst gern mal auf Kaffeetassen wiederfinden (wenn auch nicht bei Instagram) ...
Vielen Dank und beste Grüße EPI |
25.02.2024, 14:34 | #4 | |
Zitat:
Ich hatte noch nie den Ehrgeiz, etwas von mir zu veröffentlichen. Auch nicht auf Kaffeetassen . LG DieSilbermöwe |
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25.02.2024, 14:53 | #5 |
Forumsleitung
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Sehr lang ist der Artikel gar nicht. Mir scheinen jedoch die letzten Sätze wesentich zu sein:
«Hast dir einfach / mein Herz gekrallt, / ohne mir deins zu geben.» Reduzierter geht es nicht. Fast möchte man mit Stefanie Sargnagel fragen: «Ab wann / geht eigentlich / 1 Text / als Gedicht / durch?» Aber vielleicht wäre das zu spiessig gedacht.Demnach müsste bereits ein einzelnes Wort als Lyrik durchgehen, sobald man behauptete, es sei ein Gedicht. Einfach ein Etikett draufgepappt, und fertig. Wer braucht da noch eine Kaffeetasse? Schicken wir sie ins philosophische Weltall zu Bertrand Russells Teekanne! |
25.02.2024, 16:33 | #6 |
abgemeldet
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@Epilog
Der Aufschwung der Instalyrik kam mit Clara Louise, eine Musikerin, die damit begann, Schnippsel ihrer Liedtexte auf Instagram zu posten. Diese Art und Weise gab es schon eher mit Trumblr, dort aber erhielt es keinerlei Aufmerksamkeit von der breiteren Masse. Wenig später wurde das soziale Medium dann mit emotional aufgeladenen Kurztexten des Mainstreams überflutet. Es sind kleinere Bedürfnissehnsuchtsfenster, die primär die Liebe und Trennungsschmerz thematisieren. Das übertrug sich zu kurzen und prägnanten Texten, die in Städten mittels Graffiti oder dicken Eddings an Wänden und Geländern zu finden sind. Diese wird auch auf Instagram verbreitet und umfasst den Zeitgeist der derzeitigen Jugendsprachkultur. Diese sind aber vom literarischen Schreiben abzugrenzen. "Flusslaut" beispielsweise, geführt von Christoph Wenzel, fördert zeitgenössische Lyrik in NRW, in dem regelmäßig zeitgenössische Texte von Lyrikern aus NRW auf Instagram von Flusslaut gepostet werden, neben hunderten anderen Literaturzeitungen, die zunehmend Präsenz in den sozialen Medien finden und zunehmend fördern. Diese haben aber mit Instalyrik wenig zu tun. In Deutschland ist die Lyrik nicht so leblos, wie viele User in Foren denken und in Österreich ist sie am florieren. Jan Wagner schrieb, dass Lyrik ein Grundbedürfnis sei und die zunehmende Anzahl der Förderpreise für junge Lyrik spiegeln das wieder. Was allerdings stimmt, ist, dass Strukturgebundene klassische Literatur untergeht und durch neue Wahrnehmungsformen ersetzt wird. Was ich damit meine, kann man hier anhand einer Übertragung von Shakespeare's Sonett Nummer 1 sehen. Hier eine Übersetzung von Simone K. Paul und die Übertragung von Ulrike Draesner. Simone K. Paul, 1998 Von herrlichsten Geschöpfen sei ein Spross dass die Rose der Schönheit nie schwinde gewünscht, falls Reife mit der Zeit verschoss dass ihr Erbe dann stets von ihr künde. Doch Du, mit eigner Augen Schein vergnügt nährst ihre Flammenglut mit eignem Holz schaffst Mangel, wo der Überfluss sonst liegt Dir selber Feind, fürs süße Selbst zu stolz. Du, für die Welt grad eine frische Zier und einzger Herold für des Frühlings Reiz begräbst, was Dein eigner Keim in sich birgt und schaffst, zarter Knicker, Wüsten mit Geiz. Erbarm dich der Welt, wenn nicht, Du Vielfraß esst ihr ihr Eigentum, Du und das Grab. Ulrike Draesner von hellsten kreaturen begehren wir anstieg, dass das mandelbrot der gekrümmten schönheit nie sterbe, doch wie die fertigen mit der zeit verschwinden, so mag ein kopierer be lockend die erinnerung an sie tragen: in sich. du aber, getackert an die schlauheit deiner augen fütterst die flamme des anscheins mit dem selbst referentiellen öl der sprache des einzelnen, wo überfluss zu zellen gerinnt, bist dir mit dir genug, das ornament dieser welt: naturident blühn im kasten die karten deines kontinents auf, durch deinen glasstabkörper, steigt sie längst im spendesaal, die zarte locke dna. bedaure die gezeugten, sonst ist es antropophagie, das ihre zu essen, wie ihr grab behandelst du sie. Wer sich dafür interessiert, findet hier die Quelle! https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=w-B5pTsEN6c |
25.02.2024, 17:41 | #7 |
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Hallo Ilka und Eisenvorhang
vielen Dank für eure Antworten.
@ Ilka: Grundsätzlich sehe ich das schon sehr ähnlich wie Du, in dem NZZ-Artikel geht es wohl vor allem darum, wie sich Wortjongleure die neuen Kanäle zunutze machen, um den Zeitgeist zu treffen und die eigenen Äußerungen zu vermarkten. Der "sprachkünstlerische" Anspruch ist dabei meistens zweitrangig. @ EV: Du hast das ja wie immer überaus kenntnisreich ausgeführt und den profunden Unterschied zur "Flusslaut"-Lyrik hervorgehoben - nur wird die auch weiterhin nicht wirklich ein größeres Publikum finden und nicht auf Kaffeetassen abgedruckt (will sie höchstwahrscheinlich auch gar nicht). Interessant finde ich den Hinweis "mittels Grafitti oder dicken Eddings an Wänden oder Geländern zu finden" - das unterstützt ja in gewisser Weise meine Vermutung, dass es das "schon immer" gab - nur noch nicht die Möglichkeiten der Verbreitung in den sozialen Medien. Ich musste unwillkürlich an Ina Deter aus den 80ern denken: "Ich schreib`s auf jede Wand: Neue Männer braucht das Land." Schönen Restsonntag wünscht Epilog |