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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken. |
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09.09.2017, 11:11 | #1 |
Wiener Vorstadtromantik
Abgelebte Hausfassaden, blass und staubig, schmutzigbraun,
und dahinter die Gesichter sind recht ähnlich anzuschaun. Aus den feuchten Innenhöfen wächst der Schimmel in die Luft, ernste Kinder husten hölzern, bleich wie Tote aus der Gruft. Vater will viel Zeit verbringen mit dem hübschen Töchterlein, Mutter säuft sich ins Vergessen, lässt ihn mit dem Kind allein. In der Wohnung gegenüber stellt man laut das Radio an, schlägt sich blutig, wirft mit Möbeln, zetert schrill und vögelt dann. Längst zum Abriss freigegeben, modert der Gemeindebau vor sich hin. Die darin leben, sind wie die Tapeten grau, die sich von den Wänden schälen, und im morschen Fensterstock hängen welk die letzten Träume - und ein nasser Unterrock. |
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09.09.2017, 11:43 | #2 |
Forumsleitung
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Wieder vom Feinsten! Das Gedicht zeigt, wie man mit "gewohnter" Sprache - also ohne sich zu verkünsteln, indem man bemüht originell dichten will - ein lebendiges Bild über die Abgründe einer Stadt zeichnen kann. Es ist wohltuend, dass es noch Menschen gibt, die unserer Sprache so viel Aufmerksamkeit widmen, statt schnell mal etwas im SMS-Stil, in Halbsätzen, in schlechter Grammatik und mit einem Wust an Rechtschreibfehlern rauszuhauen (das meine ich generell und ist nicht auf Poetry beschränkt).
Ich kenne Wien nicht, aber ich vermute, dass diese Stadt exemplarisch gewählt ist, denn das Gedicht könnte auf jede andere Stadt ebenso gut passen, vor allem auf die Metropolen. Wo Menschen leben, tun sich Abgründe auf - leider. Das Gedicht zeigt davon einige Aspekte, aber die Auswahl genügt, um das volle Ausmaß zu ahnen. LG Ilka |
09.09.2017, 20:28 | #3 |
Hi Ilka!
Ich selbst war ein paar mal auf Stippvisite in Wien, und wie jeder österr. Nicht-Wiener habe ich ein eher ambivalentes Verhältnis zu diesem Stadtmoloch. In jeder alten Stadt finden sich hinter den Kulturfassaden und touristischen potjemkin'schen Dörfern die bröckelnden, schimmeligen Ecken von Verwahrlosung und Zerfall. Der typische Wiener "Gemeindebau", der "soziale" Wohnsilo für pekuniär wie moralisch Minderbemittelte, ist ein gutes Beispiel. Nicht die moderne Variante, sondern die alten Mietskasernen von bis vor über hundert Jahren, wo man Wasser und Toilette noch ausschließlich in den Stiegenhäusern hatte und die "Parteien" sich pro Etage so die sanitären Anlagen teilen mussten, bzw. das Wasser holen. Damals, vor dem ersten Weltkrieg, galt das als modern - man musste das Wasser nicht mehr von den Strassenbrunnen herauftragen! Heute sind die meisten dieser alten Klötze abgerissen oder sind grundsaniert und stehen unter Denkmalschutz. Aber ich kann mich noch gut an die Siebziger und Achtziger des letzten Jhdts erinnern - da gab es sie noch überall rund ums Zentrum von Wien, und sie waren trotz Schimmel, Moder und Versifftheit noch bewohnt! Kennst du die Krimireihe "Kottan ermittelt"? Heute eine Kultserie, damals auch viel angefeindet, weil sie die Polizei gekonnt veräppelte und karrikierte. Damals verstand man beim Thema Staatsgewalt noch keinen Spass - zu viele "Alte Kameraden" waren noch aktiv in Machtpositionen oder verfügten über Seilschaften ... Jedenfalls spielen viele Folgen in diesem so typischen Wiener Gemeindebaumilieu unter ebenso typischen Wiener Urproleten (der ebenso berühmt-berüchtigte "Mundl" (Serie: "Ein echter Wiener geht nicht unter") war da ein Chorknäblein dagegen ...). Zur Sprache: Gerade diese zu feiern, ist ja ein Grundstein der Poesie (einer der Gründe, warum ich keine "moderne" Lyrik mag) und ein Grundanliegen diesbezüglicher Foren - oder sollte es zumindest sein. Vielen Dank für deine Gedanken! LG, eKy |
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09.09.2017, 20:48 | #4 |
Forumsleitung
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09.09.2017, 21:49 | #5 |
Hi Ilka!
Für mich bietet das TV eine Inspirationsquelle - viele meiner Gedichte gehen auf Sendungen aller Art, Dokus oder Filme zurück. Ich habe auch eine große DvD und BluRay Sammlung ... LG, eKy |
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10.09.2017, 18:15 | #6 | |
Hi Erich,
ein sprachlich sehr schönes Gedicht mit einer modernen Wortwahl, also geschrieben wie gesprochen, dass gibt ihm etwas. Allerdings hat mich die letzte Strophe komplett herausgerissen, was an den (Zäsuren?) lag die nach "Gemeindebau" und nach "hin." kommen, da ich dort Stops beim Lesen habe, die mir innerlich sprechunüblich vorkommen. Zitat:
Insgesamt hat das Gedicht für mich viel von einer realistischen Darstellung eines heruntergekommenen Gemäuers, ausgedrückt in einer subtilkritisierenden Form. Es wirkt auch leicht anwidernd, das Bild das du mir da im Kopf malst. Es tut glaube ich etwas in meinem Kopf, nur die .. eine Strophe da .. hm :-) |
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10.09.2017, 21:15 | #7 |
Hi MK!
Also ich habe nicht solche Stolperprobleme mit S3. Sicher, sie mag vielleicht nicht ganz so melodisch sein wie die anderen, aber das verlangt die Thematik ja auch nicht. Ist wohl Geschmacksache ... Vielen Dank für deine Gedanken. LG, eKy |
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