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22.09.2018, 19:18 | #1 |
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Daniels Spaziergang
Daniel war der Vernunft erlegen und hatte sich gegen alles Säuseln seines inneren Schweinehundes zu einem Spaziergang aufgerafft. Die Angst hatte keine unwesentliche Rolle an diesem Entschluss gespielt, denn in letzter Zeit fühlten sich seine Füße oft taub an, und dort, wo sein Herz schlug, machte sich zuweilen ein zwar nicht schmerzhaftes, aber unangenehmes Ziehen bemerkbar.
Er betrat den Hauptweg des Waldes und bog nach zehn Minuten strammen Marsches nach links auf einen Nebenweg ab. Wenige Minuten später breitete sich eine große Blumenwiese vor ihm aus, der gegenüber sich ein Jägerstand in die Höhe reckte. Er kletterte die Leiter hinauf und ruhte auf der Holzbank aus, gewiss, dass er um diese Tageszeit kein Wild zu Gesicht bekommen würde. Doch die Farben der Wiese entschädigten ihn. Das Glühen des roten Mohns und des gelben Löwenzahns sättigten seine Augen, während das Blau der Kornblumen, das Lila der Lupinen und das Weiß der Margeriten sich wie Balsam auf sie legten. Nachdem er ausgeruht hatte, stieg er hinab und näherte sich dem Teich am Ende der Blumenwiese. Hier verweilte er und hörte dem Quaken der Frösche zu, die um ihre Partner warben. Plötzlich kam Bewegung in das ansonsten stille Gewässer. Eine Schwanzflosse brach durch die Oberfläche, dann ein beschuppter Hinterleib von beachtlicher Größe. „Das muss ein kapitaler Fisch sein,“ bewunderte Daniel, was er sah. Im nächsten Moment entschwand das schuppige Wesen unter Wasser und tauchte mit seiner Vorderseite vor Daniel auf. Sein Anblick verschlug ihm die Sprache. Vor seinen Augen ragte der Oberkörper einer nackten Frau aus dem Wasser. Ihr üppiger Busen war schlaff, ihr Gesicht trug tiefe Falten, und das dünne Haar hing ihr in Strähnen an den Schläfen herab. „Erkennst du mich nicht?“ „Wer bist du?“ „Hast du es wirklich vergessen?“ In Daniel stiegen schattige Erinnerungen auf, schwammig wie jene Träume, bei denen sich Menschen fragen, ob sie wirklich nur geträumt haben oder reale Erlebnisse verdrängen wollen. Daniel fühlte, das Gesicht der Frau zu kennen, doch er wusste nicht woher. “Was vergessen?“ „Damals, wir beide auf dem Schiff. Es sollte eine Versöhnungsreise sein. Aber wir stritten. Wie immer. Und dann, an der Reling …“ Daniel hielt sich die Ohren zu. „Hör auf! Das ist alles nicht wahr. Du bist eine Hexe.“ „Ich bin eine Nixe. Und unsterblich.“ Sie tauchte ab. Dabei schlug sie so heftig mit ihren Schwanzflossen auf das Wasser, dass es Daniel vollspritzte. Er klopfte sich die Tropfen von Jacke und Hose. Zu Hause sah ihn seine Frau bekümmert an. „Du bist ganz nass, Liebling. Und käseweiß. Was ist passiert? Geht es dir nicht gut?“ Daniel sah sie lange und intensiv an, ehe er antwortete: „Ich bin nach dreißig Jahren meinem Gewissen begegnet, von dessen Existenz ich nicht wusste. Wenn du mir nicht beistehst, wird es mich töten.“ 22.09.2018 |
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