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10.10.2021, 06:06 | #1 |
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Das Mädchen
Manfred stand in der Haustür und blickte zum Himmel, einem gleichmäßig verteilten, konturlosen Grau, das einen nassen Tag versprach. Die ersten Tropfen fielen, und er spannte seinen Regenschirm auf. „Scheißwetter!“
Es hielt ihn nicht ab, seinen gewohnten Weg zum Frühschoppen zu gehen, wie jeden Freitag, um mit seinen Kumpanen die Morgenstunden bei mehreren Runden Bier abzuhängen und, so widersprüchlich dieser Raubbau an Leib und Seele scheinen mochte, Energie zu tanken, um ein Wochenende in Einsamkeit zu überstehen. Sobald er diese Prüfung bestanden hätte, würde das Leben wieder seinen normalen Gang gehen: Einkaufen im Supermarkt, ein Arztbesuch, zweimal pro Woche Spaziergang im Park mit Spatzenfütterung, ein Gang durch die Stadt, um zu sehen, welche Geschäfte aufgegeben hatten, eine Stippvisite am Fluss, um sich zu überzeugen, dass er immer noch in dieselbe Richtung floss … Aber heute, am Freitag, war Frühsaufen mit anschließendem Vergessen angesagt. Das übliche Mittagsschläfchen, danach Kaffee und Kuchen, ein bisschen Surfen im Internet, die ersten Fußballergebnisse, danach Tagesschau, ein Krimi, das SWR-Nachtcafé … Ja, auch andere Menschen hatten es schwer … Bis zu „Benny“, dem Schuppen mit der lila Leuchtreklame, die ihn an eine Kuh erinnerte, hatte Manfred nur fünf Minuten und einmal um die Ecke zu gehen. Er hätte den Weg blind finden können. Doch heute war etwas anders, und urplötzlich verfügte er über ein Gesichtsfeld, das ihm bis dahin nie bewusst geworden war: Jemand folgte ihm. Er war sich absolut sicher, und deshalb drehte er sich abrupt um: „Was?“ Das Mädchen hielt erschrocken in ihrem Schritt inne. Es sah ihn nur an, sagte aber kein Wort. Eigentlich war es schon eine junge Frau, er schätze sie auf siebzehn. Mindestens. Sie mochte auch zwanzig sein, das wusste man bei den Gören heutzutage nicht. Sie reiften schnell, blieben lange jung und alterten nur langsam. So langsam wie die Frau auf dem Foto, das er in einem Silberrahmen auf seinem Nachttisch aufs Gesicht gelegt hatte, um sie nicht jeden Tag anschauen zu müssen. „Was willst du von mir?“ Keine Antwort. Er zog den Regenschirm tiefer, weil der Regen stärker geworden war, drehte sich um und ging weiter. Aber sein Rücken hörte nicht auf, mit ihm zu sprechen. Bei Benny schloss er den Regenschirm und nickte der jungen Frau, mit ihm ins Lokal zu kommen. Sie folgte ihm. „He, Freddy, spät dran heute! Wir haben schon mal eine Runde für dich mitgesoffen.“ „Schon gut, die nächste geht auf mich.“ Er zog seinen Trenchcoat aus und warf ihn über einen Stuhl Als er der jungen Frau den Mantel abnehmen wollte schüttelte sie den Kopf und zog mit beiden Händen die Revers eng vor sich zusammen. Er gab ihr mit einem Kopfnicken zu verstehen, sich neben ihn an den Tisch zu setzen. „Wen haste denn da mitgebracht? Seit wann reißt du Bräute auf?“ „Halt’s Maul, Kacki!“ Karsten, den die Kumpels „Kacki“ nannten, weil er selbst nach einem ausgedehnten Bad in Rosenblütenessenz noch nach Kanaldunst roch, ließ nicht locker. „Die ist hübsch. Also Geschmack hast du, das muss man dir lassen. Darf ich da auch mal ran?“ „Willst du in die Fresse haben?“ Manfred war mit der Situation überfordert. Eine junge Frau war ihm nachgestiefelt und hatte ihn in eine peinliche Situation gebracht. Sie war hübsch, ohne Zweifel, und sie berührte ihn. Sie hatte etwas in ihm geweckt, weshalb sonst hätte er sie zu Benny mitgenommen? In seinen jungen Jahren wäre sie absolut sein Typ gewesen. Peter schob ihr einen Schnaps hin. „Der wärmt und macht locker.“ Sie nahm ihn und stürzte ihn hinunter. Peter winkte dem Kellner. „Noch einen für die Dame.“ „Wir gehen!“ Manfred hatte seinen Trenchcoat von der Stuhllehne genommen und die Frau am Arm von ihrem Stuhl hochgezogen. „Die Rechnung bezahle ich nächsten Freitag.“ Draußen riss sie sich von ihm los. „Danke!“ Dann lief sie davon. Der Regen hatte zugenommen. Manfred spannte seinen Regenschirm auf und ging nach Hause. Er war müde. Müde vom Bier, von den Wochentagen und von der jungen Frau, die seinen Freitag durcheinander gebracht hatte. Als er zu Bett ging, nahm er den Bilderrahmen auf, den er so lange auf sein Gesicht gelegt hatte, weil er sich von seinen Erinnerungen nicht trennen, aber sie auch nicht ertragen konnte. Und da erkannte er sie. |
10.10.2021, 12:06 | #2 |
abgemeldet
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Hallo Ilka,
ist eine kleine Kritik erwünscht? |
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