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Sonstiges und Experimentelles Andersartige, experimentelle Texte und sonstige Querschläger. |
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13.09.2006, 21:57 | #1 |
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 13
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Vernetzt
Du lässt mich nicht ran. Ein Schritt nach vorn und
dann drei Kilometer rückwärts taumeln müssen. Die Mittel moderner Kommunikation streichen räumliche Ferne völlig und verätzen dir die Außenhaut und einen Teil deiner Innereien. Namen hinter Namen, Gesichter hinter Bildschirmen - und Nullen und Einsen, haufenweise, tonnenweise Ziffern, sekundenschnell weltweit in grauen Kisten, verbunden, verdrahtet, vernetzt. Und hinter all dieser Fassade der Mensch. Zuflucht suchend hinter der Technologie, in die er alle Hoffnung stecken wird, bis der letzte Vorhang gefallen ist und er vor dem steht, was er geschaffen haben wird. Alles Futurzweifuturistik. Und währenddessen immer weiter rennen und verstecken hinter der nächstbesten Null, zu viel Lärm um Nichts und zu wenig Präsensdenken. Tiefer dahinter birgt sich nur der urmenschlichste Wunsch, die ewige Suche nach Erlösung. Diese Blende lässt nichts hindurch, weder Gesichter noch Herzen. Dein Monitor ist das Silbertablett, das dir mein verwischtes Spiegelbild zum Fraß vorwirft. Ich bin nicht blind. Ich blicke durch das Muster und sehe dich darin. Wie gern wäre ich blind, das passt zu deiner Taubheit. Wenigstens bin ich still. Und durch den Wind. Ich liebe dich. Du musst dich in die Nacht legen und lauschen. Hörst du nicht den Widerhall meiner stummen Worte? Lass mich. Lass mich an dich ran. Ganz nah. Spreng die Wand weg. Spreng endlich diese verdammte Wand weg. Sonst erblinde auch ich. Eine Generation von Gedankenstrichinterpretierenden gegen eine, die durch ihren Kampf zeigt, dass sie sich auf das Aufgeben eingestellt hat und alle Wärme beständig ignorieren wird. Eine Generation. Hörst du. Und spreng endlich die Wand weg. |
14.09.2006, 00:09 | #2 |
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 265
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RE: Vernetzt
wow,
Mich begeistert dein Blick auf den Zeitgeist und die heranwachsende Epoche. Soetwas hab ich bisher nicht oft lesen können. Trotzdem lässt mich dein Text nicht ganz hinein, irgendetwas abweisendes hat er. Was den Text nicht schlechter macht, es ist mir nur aufgefallen und jetzt will ich es noch kurz Begründen. Ich denke es liegt daran das er insgesamt etwas kalt ist, aber auch sehr kraftvoll, zum Ende hin auch mit einer stärker werdenden Verzweiflung. Es wird auch an dem (interessanten) Gemisch deiner Wortfelder und Themen liegen. Auf der einen Seite ist die distanzierte Technik, auf der anderen das Gefühl; (das künstliche in Beziehung mit dem Natürlichen) auf der einen immer wieder Gesellschaftsaussagen auf der anderen Subjektive. hmm.. kommen wir jetzt zu den Details Den zweiten Satz verstehe ich nicht (ich verstehe auch andere Sätze nicht, aber hier ist es etwas anderes), prinzipiell würde ich das auch nicht kritisieren, ich finde das man nicht alles immer verstehen oder interpretieren können muss, meistens wird auch so ein Gefühl was in die Stimmung des Textes eingeht ausgedrückt, hier aber bei mir nicht. Es bringt mich eher im lesen raus. Daher würde ich ein "anschließend" oder "dann" an Stelle des "deshalb" besser finden. Zwischen "deiner Innereien" und "Namen hinter Namen" würde ich zu einen Absatz raten. Die nächsten Sätze sind wirklich gut und würden so besser zur Geltung kommen. Außerdem sind die ersten Sätze des Textes eher etwas wie eine Einleitung. "Zuflucht suchend hinter der Technologie, in die er alle Hoffnung stecken wird, bis der letzte Vorhang gefallen ist und er vor dem steht, was er geschaffen haben wird." Das ist ein "wird" zuviel. Besser wäre: "in die er alle Hoffnung steckt". (Ich bin übrigens begeistert wie du dort die Technophilie thematisierst) "Futurzweifuturistik" - das sagt mir gar nichts, meinst du vielleicht "zweifel" ? Präsensdenken, Gedankenstrichinterpretierenden - tolle Neologismen Die Wiederholung von "lass mich" sehr gelungen "Und spreng endlich die verdammte Wand weg" - besser das "verdammte" weg lassen, sonst ähnelt der Satz, dem zuvor zu sehr und es verliert seine Wirkung und klingt nur noch langweilig |
14.09.2006, 16:34 | #3 |
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 13
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Grünkreuz,
Der Blick auf den Zeitgeist und die heranwachsende Epoche ist sehr leicht zu erklären. Dieser Text ist nicht aus der Sicht hergeholter Prinzen geschrieben und auch nicht aus der Sicht herbeigezauberter Gestalten, sondern aus meiner. Und ein bisschen verstärkt. Gedichte und literarische Texte können lauter schreien als alles andere an Buchstabensalat. Zu dem zweiten Satz: Du hast Recht, ein "dann" passt besser. Zu den Innereien: Gute Idee. Zu dem "Zuflucht suchend"-Satz: Da ist kein "wird" zu viel. Das passt. Futurzweifuturistik: Irgendwann wird der Mensch nicht bloß etwas erreichen, sondern etwas erreicht haben. Das ist ein Unterschied. Futurzweifuturistik. Auf diesen Begriff bin ich noch immer stolz . das zweite "verdammte" wegzulassen ist eine Idee, die ganz gut ist. Nimmt zwar ein bisschen Gewalt aber das ist nicht unbedingt schlecht. Vielen Dank! |
14.09.2006, 21:45 | #4 | |
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 265
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Zitat:
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16.09.2006, 09:13 | #5 |
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 13
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Ja, du hast wohl recht. Könnte daran liegen, dass das Schreiben heutzutage teilweise wieder Grundzüge der Romantik angenommen hat - Realitätsflucht, kaum politische Hintergründe. Ich sage "kaum", weil es natürlich viele politische Texte gibt und politische Autoren, aber noch viel mehr unpolitische Sachen. Früher war viel mehr gesellschaftskritisch.
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