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20.04.2012, 23:33 | #1 |
Dabei seit: 03/2012
Ort: Vietnam Villenviertel
Alter: 59
Beiträge: 39
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Brathähnchen
Seit 2 Tagen versucht Saadet sich umzubringen.
Sie sitzt im Hotelzimmer 53, des Classical Wild Boar Hotels in Tirol. Zuerst wollte sie sich aus dem Fenster stürzen, sie hat diese Jahreszeit gewählt, um den Aufprall zu mildern, es liegen 14 cm Schnee. Doch nach einigen Testversuchen, vom Nachttischchen und später sogar vom Bett, entschied sie sich doch lieber eine Nacht darüber zu schlafen und eine andere Methode zu wählen. Außerdem gab es Vanillepudding als Dessert. Am zweiten Tag entschied sie schlafend zu sterben, sie nahm 109 Schlaftabletten und hoffte auf ein friedvolles Einnicken. Nach der Einnahme verstrichen exakt 12 Minuten, sie kamen Saadet wie 4 Stunden vor, als sie sich an die Packungsbeilage erinnerte. Magenkrämpfe bis zu Geschwüren könnten Nebenwirkungen einer Überdosis sein.. sie stürmte ins Badezimmer und erbrach ihren Mageninhalt, die Magensäure brannte ihr im Hals. Sie beschloss eine weitere Nacht abzuwarten. Nun sitzt sie zitternd aufgelöst in der Hotelzimmerecke, sie hat Angst vor dem Leben,sie hat Angst vor dem Tod, sie hat Angst vor den Menschen, Angst vor dem Licht, Angst vor der Dunkelheit, Angst vor dem Tag und Angst vor der Nacht. Angst vor dem Hunger und Angst vor der Sättigung. Sie hat Angst anzufangen und Angst aufzuhören. Aber die Angst vor dem Sein vermochte ihre anderen Ängste vergessen zu machen. Was sollte sie nur tun? Sie erinnert sich an ihr letztes Tief. Ihre Hilferufe wurden erhört, eine ihrer damaligen Busenfreundinnen hatte das Helfersyndrom, so ließ sich einige Monate ganz gut überstehen. Aber Metilda war nicht zur Stelle, sie hatte ihren ersten Freund und ihre Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft wurde nun einem anderen Zuteil. Saadet atmet tief ein " ok .. ich schalte jetzt das iPhone ein!" Hoffnungsvoll schaut sie auf den Bildschirm, Anrufe in Abwesenheit erwartend. Immerhin 3 Tage hatte sie es ausgeschaltet gelassen- nunja, Zweieinhalb um ehrlich zu sein. Kein Anruf von Metilda, kein Anruf von ihren Eltern. Kein Anruf von ihren Arbeitskollegen, auch keine Partybekanntschaft hat ihre Nummer gewählt. Keine Anrufe in Abwesenheit, keine Nachrichten, keine E-Mails. Ihre Sinnsuche legt sich malwieder unerträglich auf sie nieder, das einzige Gefühl, neben der Angst, das ihr täglich Begleiter ist, heißt Sehnen. Sie sehnt sich nach menschlicher Nähe, nach Bewegung, nach Ruhe, nach Glück. "Zu Mittag gibt es Brathähnchen" erinnert sich Saadet flüsternd, wischt die Tränen weg und zieht das dramatisch gestaltete Hochzeitskleid aus, welches sie ausgewählt hatte, um ihrem Tod einen Touch Mangakultur zu verleihen. Mit tief schwarzen Augenrändern stapft sie ins Hotelrestaurant, verspeist das Brathähnchen und überlegt sich ihre neue Nulldiät, um ihren Eltern das verdiente schlechte Gewissen wieder in Erinnerung zu rufen. |
21.04.2012, 00:18 | #2 |
Extravagantes Geschichtchen, Isabelle.
Deine bukowskieske Erzählweise spiegelt eindrücklich die Lebensform der Taubheit mancher Brathähnchenbräute, welche bis ins Suizidäre gedrängt werden. Desweiteren wirfst du mit Zahlen um dich wie Kool G Rap. Mir gefällt es! |
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21.04.2012, 11:43 | #3 |
Hallo Isabelle,
deine Geschichte ist.. schräg irgendwie. Auf dem schmalen Grat von Tragik und Lächerlichkeit. Die Not der Protagonistin, aber auch ihre "neurotischen Muster" kommen klar zum Ausdruck. Die Aufzählung der Zahlen steigert für mich noch die Satire. Zahlen als Ausdruck ihrer Einsamkeit. Sprachlich war ich sofort drin und hörte nicht mehr auf zu lesen... |
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21.04.2012, 12:05 | #4 | ||
Das ist ein Text, der sehr zu Herzen geht! Darüber hinaus richtig gut geschrieben. Ich mag die Abwechslung in der Stimmung:
Zitat:
Da musste ich sehr lachen! Zitat:
Der Schluss ist einfach nur Klasse! Hat wirklich Spaß gemacht, zu lesen. LG |
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21.04.2012, 12:09 | #5 |
abgemeldet
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Der Text ist richtig gut!
Tragisch-traurig. Liebe Grüße Peace |
21.04.2012, 12:23 | #6 |
R.I.P.
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Halli Hallo -
ich finde den Text sehr gelungen. Aber die Angst vor dem Sein vermochte ihre anderen Ängste vergessen zu machen. D e r Satz ist in meinen subjektiven Augen nicht allzugut gelungen. Irgendwie verdreht. "Die Angst vor dem Sein ließ sie die anderen Ängste vergessen" wäre für mich eindeutiger. LG Thing |
21.04.2012, 13:28 | #7 |
Hallo Isabelle,
ich war gespannt auf Deine Geschichte und wurde nicht enttäuscht,
Gut geschrieben, sinnvoll und interessant. Lieben Gruß von mir |
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21.04.2012, 13:54 | #8 | ||
abgemeldet
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bravo. du bist ein wirklich feines talent ISABELLE. schön dich hier zu haben. freue mich sehr auf viel mehr von dir. du wirst dieses forum lieben.
ein bemerkenswerter satz!!!: Zitat:
Zitat:
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21.04.2012, 14:38 | #9 |
Forumsleitung
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Temporeich erzählt, Isabelle, da liest man über einige stilistische Unsauberkeiten hinweg. Mir gefällt, wie Du hier das Psychogramm einer egozentrischen Göre zeichnest - exaltierte Versuche, nach Aufmerksamkeit zu heischen -, ohne auch nur einmal ihr Verhalten zu werten. Die Wertung ergibt sich aus den Handlunen der Protagonistin und bleibt dem Leser nicht verborgen.
Das hast Du fein gemacht. Besten Gruß Ilka |
21.04.2012, 16:43 | #10 |
Dein Text finde ich klasse. Eine Mischung aus Erzählung und Satire, in einfachen aber flüssigen Sätzen geschrieben. Gern gelesen!
LG Scrag |
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21.04.2012, 22:09 | #11 |
Dabei seit: 03/2012
Ort: Vietnam Villenviertel
Alter: 59
Beiträge: 39
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Wow, vielen Dank für die vielen Resonanzen!
Ich finde gut, welche Wirkungen mein Textchen erzeugen konnte und freue mich über jeden der eine Lesefreude erleben durfte, und für sich eine Interpretation getroffen hat. Danke für die vielen Verbesserungsvorschäge, ich werde sie in meine Überarbeitung einfließen lassen! Liebe Grüße! |