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02.09.2023, 19:39 | #1 |
Forumsleitung
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September
Es war an einem Septemberabend, als Luisa an Thorstens Zimmertür klopfte und er die Stöpsel aus den Ohren nahm, durch die er sich mit Heavy Metal zudröhnen ließ. "Kannst du mal schnell zum Supermarkt laufen und eine Packung Jacobs kaufen? Hab's leider vergessen." Sie drückte ihm dreißig Euro in die Hand. "Und bring mir eine Schachtel Zigaretten mit. Der Rest ist für dich."
"Rest ist gut," dachte Thorsten, nahm das Angebot aber gerne an. Er wusste, dass seine Mutter, wenn sie ihn schickte, zu besoffen war, um selbst zu gehen. Immerhin hatte sie soviel Verstand beisammen, um zu wissen, was sie sich noch zutrauen konnte. Der Sinn für den Wert von Geld war ihr allerdings längst abhandengekommen. Doch an diesem Abend kam Thorsten nicht nach Hause zurück. Luisa wartete die halbe Nacht, ehe sie in den Morgenstunden zum Supermarkt ging, aber die Pforte verschlossen fand. Sie alarmierte die Polizei. "Der kommt schon wieder", beruhigte sie der Polizist im Dienst, "die meisten dieser Streuner kommen wieder heim." Doch Thorsten war nie ein Streuner gewesen, und er kam nicht wieder heim. Der Erdboden schien ihn verschluckt zu haben. Liane, seine Freundin, heulte sich die Augen aus. Sie weinte monatelang, ehe sie sich in einen neuen Boyfriend verliebte und Thorsten vergaß. Aber eine Mutter vergisst nicht. Wenn die Klingel schrillte, riss Luisa die Tür auf in der Hoffnung, Thorsten in die Arme schließen zu können. Aber es war immer der DHL-Bote oder der Hausmeister. Und beide ließen sie als ein Häuflein Unglück zurück. Einmal, in der Kirche, platzte aus ihr die Verzweiflung heraus. Mitten in der Predigt des Pfarrers schrie sie zu Gott: "Was hast du mit meinem Sohn gemacht?" Dass dem Pfarrer der Atem stockte. Nur schwer fand er zu dem zurück, was er einer Herde von Schafsköpfen an Lebensweisheiten zugedacht hatte. Ein Mann des Trostes hätte er sein müssen, aber ihm fehlten die Worte. Statt dessen kam ihm nur herzlos über die Lippen: "Gute Frau, reißen Sie sich zusammen!" Und er las weiter seine Predigt vor, nicht aus dem Herzen, sondern Wort für Wort ausgefeilt wie einen Gesetzestext. Als Luisa im Sterben lag, setzte sich ein alter Mann an ihr Bett, der ihrem verstorbenen Mann ähnlich sah, groß und kräftig, mit schlohweißem Haar. "Thorsten, bist du es?" Er schüttelte den Kopf und nahm ihre Hand. "Wird jetzt alles gut?" Er nickte. |
06.09.2023, 15:35 | #2 |
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Beiträge: 1.681
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Hallo Ilka
... lässt Du mich hier wieder grübelnd zurück, wie gemein. Ich finde es toll, wie herrlich deine Geschichten so schön offen und manchmal eben auch verwirrend enden.
Ich der Versuchung stets erlag, Kuuuurz geee schichte am Nachmittag. beaux rêves |
06.09.2023, 16:27 | #3 | |
Zitat:
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