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Kolumnen, Briefe und Tageseinträge Eure Essays und Glossen, Briefe, Tagebücher und Reiseberichte. |
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19.03.2013, 12:45 | #1 |
Das Tagebuch des S.
Ich habe nun also beschlossen, dieses Tagebuch zu schreiben, um mich zu vergewissern, dass ich nicht wahnsinnig bin - um mich zu beschwichtigen, mich zu betrügen? Doch indem ich damit ernst mache, beschleicht mich umso mehr das Gefühl, dass ich es wohlmöglich wirklich bin oder dass etwas Anderes vor sich geht, das ich mit meinen Sinnen nicht begreifen kann.
Montag, 18. März Der erste Arbeitstag der Woche ist immer recht bedrückend, teils aufgrund des frischen Kontrasts zwischen den stillen und einsamen Wochenenden und des geräuschvollen Chaos, das eine Lehrtätigkeit zu Wochenanfang mit sich bringt, teils weil die nächsten freien Tage so fern sind. Ermüdet und mit dem nagenden Gefühl, etwas auf der Arbeit vergessen zu haben, betrat ich meine Altbauwohnung. Das Knarren des Parketts im langen, schmalen Flur war das Einzige, das zu dieser späten Stunde im Haus zu hören war. Ein eigenartiger Geruch zog durch den Flur und war auch am anderen Ende im Schlafzimmer zu vernehmen, in welchem ich mich inzwischen angelangt war. Sofort stach mir ein gelber Zettel auf dem Nachttisch ins Auge: "Du hast den Gasherd angelassen." Eilig lief ich in die Küche. Tatsächlich entwich unablässig Gas aus der Düse, bis ich den Herd abgestellt habe. Rasch das Fenster weit auf! Erst jetzt wunderte ich mich darüber, dass ich mir hierzu eine Notiz gemacht haben soll, zumal ich ohnehin nicht der Typ bin, der sich irgendwelche Memos schreibt. Hier jedenfalls entbehrt das doch jeder Plausibilität.Wenn ich merke, dass der Herd läuft, schalte ich ihn doch aus und erinnere mich nicht handschriftlich daran, es später zu tun. Oder? Und warum kann ich mich daran nicht erinnern? Ich betrachtete den Zettel genauer. Es war definitiv meine Handschrift. Sie ist mit keiner anderen zu verwechseln - so klein, gedrungen und verschmiert; diese eigenwillige Interpretation des "s", wie ich sie bisher nur bei mir gesehen habe. Wer sollte auch sonst diese Notiz verfasst haben? Ich beginne mich zu fragen, was wohl ein driftigerer Grund zur Sorge sei: wenn ich Derartiges an mich selbst adressiere oder wenn ein Fremder in meine Wohnung gedrungen ist und meine Schrift gefälscht hat. Vor nichts fühle ich mich mehr sicher - nicht einmal vor mir selbst. |
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19.03.2013, 12:52 | #2 |
R.I.P.
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Ganz rasch vorab, solange noch Zeit ist:
Soll ich Dir die Tippfehler lieber per PN aufzeigen? U. |
19.03.2013, 12:55 | #3 |
Nein, mach ruhig öffentlich.
Oh, ich sehe jetzt schon ein paar. Hatte nicht viel Zeit und musste es eben rasch in die Tastatur hauen. |
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19.03.2013, 13:14 | #4 | |
R.I.P.
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Zitat:
Eine zu Herzen gehende Schilderung des Morbus Alzheimer (oder Ähnliches). Vom Stil her erinnert es mich stark an Robert Walser, und das ist ein Kompliment! Herzlichen Gruß von Thing |
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19.03.2013, 13:59 | #5 |
abgemeldet
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Liebes Schmuddelkind,
wirklich sehr merkwürdig und rätselhaft. Nun bin ich aber mächtig gespannt was du noch schreiben wirst. Derweil lieben Gruß, pass auf dich auf. Carina |
19.03.2013, 14:37 | #6 | |||
Danke für die Verbesserungen, Thing. Bin mit fast allem einverstanden. Aber mit dem Wort "Interpretation" bin ich ganz zufrieden - so aus dem Bauch heraus.
Zitat:
Zitat:
Zitat:
LG |
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21.03.2013, 21:02 | #7 |
2. Teil
Donnerstag, 21. März
Heute Vormittag soll ich ein neues Gedicht im Forum eingestellt haben: Man lebt, man stirbt (Fornyrðislag) Man lebt, man stirbt und nichts inmitten. Der Tod verdirbt das erste Bitten um Leben, das so manches Sterben durch Unterlass weiß zu verderben. Ich kann mich nicht daran erinnern, dieses Gedicht geschrieben zu haben, aber wenn ich diese Tatsache außer Acht ließe, ich könnte nicht ausschließen, dass es eines meiner Gedichte sei. Die Sprache kommt meiner Sprache sehr nahe und auch thematisch liegt es nahe. Außerdem ist es ein Fornyrðislag, eine Strophenform, die sich unter zeitgenössischen Hobby-Poeten bei niemandem außer mir finden lässt. Hat sich etwa jemand meines Accounts bemächtigt, meinen Schreibstil kopiert, um mir einen Streich zu spielen? Derselbe etwa, der möglicher Weise bereits vor ein paar Tagen meine Handschrift gefälscht hat? Mich beschleicht das Gefühl, dass sich jemand sukzessiv meine Identität erschleicht. Aber wem sollte daran gelegen sein? Ich habe vorsichtshalber meine sämtlichen Passwörter geändert. Glücklicher Weise hat das Gedicht niemand kommentiert, so dass ich nicht in die missliche Lage geriet, Kommentare zu einem Gedicht beantworten zu müssen, das ich nicht geschrieben habe. |
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21.03.2013, 21:14 | #8 |
R.I.P.
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Lieber Schmuddelkind,
außer der Getrenntschreibung
(möglicherweise und glücklicherweise) hab ich meinem ersten Kommentar nichts hinzuzufügen! Lieben Gruß von Thing (Na, warte!) |
21.03.2013, 21:23 | #9 |
Dabei seit: 10/2012
Beiträge: 141
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Hey, Schmuddelkind
Das war ein Kunstgriff, dass du eines deiner (oder eben nicht deiner) Gedichte mit eingebaut hast, was wirklich hier im Forum zu lesen ist! Gruselig... Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf den nächsten Teil! Lieben Gruß Nebelfuchs |
21.03.2013, 21:39 | #10 |
@Nebelfuchs: Freut mich, dass dich das Gruseln erreicht hat. Muahahaha!
Meine eigenen Gedichte in meinen Prosatexten einzubauen, das mache ich öfter; aber hier hatte es einen besonderen Reiz für mich. @Thing: Stimmt. Danke für die Verbesserung. Freut mich, dass dir der zweite Eintrag offensichtlich auch gefällt. LG |
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22.03.2013, 00:23 | #11 |
Na, da bin ich aber auch sehr gespannt, wie du das auflösen wirst.
mit einem Kommentar zu deinem Gedicht musst du dich aber nun doch rumschlagen! gruß, simba |
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22.03.2013, 08:35 | #12 |
Hallo Schmuddelkind!
Schaurig schön ist Deine short story. Ich tippe auf gespaltene Persönlichkeit (Jekyll-Hyde-Syndrom). Hast mich jedenfalls „infiziert“ und so harre ich der gespenstischen Dinge, die da noch folgen werden. VG Pitti |
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22.03.2013, 13:00 | #13 | |||
Super, dass die Spannung allseits erlebt wird!
Zitat:
Zitat:
Zitat:
LG |
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22.03.2013, 13:00 | #14 |
R.I.P.
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Multiple Persönlichkeit kam mir auch in den Sinn.
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22.03.2013, 13:02 | #15 |
...
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23.03.2013, 18:54 | #16 |
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909
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Liest sich schon gut, das Stück der Geschichte.
LG gummibaum |
24.03.2013, 18:18 | #17 |
Freut mich. Ich hoffe, dass ich bald weiter schreiben kann. Aber ich hab so viele Baustellen grad...
LG |
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15.04.2013, 11:56 | #18 |
3. Teil
Montag, 15. April
Da wähnte ich mich auf den Weg zur Normalität - die letzten Wochen waren langweilig und gewöhnlich, was nicht das Schlechteste ist - da erwischt es mich wieder: Heute früh bin ich in der Badewanne aufgewacht - in kühlem Wasser. Mein Schlafwandeln hat mich schon so Einiges durchmachen lassen, aber so schlimm war es noch nie. Das Erschreckende jedoch war, dass auch mein Handy im Badezimmer war, wo es in der Regel nichts verloren hat und nachdem ich meinen triefenden, schweren Schlafanzug ausgezogen und über der Heizung ausgebreitet habe, sich mit einer Erinnerung meldete: "Guten Morgen. Du wirst es vergessen." Die ganze Zeit über, bis ich auf der Arbeit war, ließ mich dieser Satz nicht mehr los: "Du wirst es vergessen." Was denn vergessen? Dass ich heute Morgen in der Badewanne aufgewacht bin? Wohl kaum. Was sollte ich vergessen? Woran sollte ich mich denn erinnern? Und wieso sollte ich mir selbst eine Erinnerung schreiben mit der Bemerkung, dass ich "es" vergessen werde? Immer noch in diesen Gedanken vertieft, kam ich am Büro an, kramte zwischen den Schlüsseln in meiner Hosentasche und... da war kein Büroschlüssel. Ich war ohnehin schon zu spät dran und da ich wieder nach Hause fahren und den Schlüssel mitnehmen musste, kam ich nicht umhin, den ersten drei Schülern abzusagen. Das war mehr als ärgerlich. Vor allem aber, war es unheimlich, dass wieder einmal eine Notiz mehr über mich wusste, als ich selbst. Es widerstrebt mir, diese Frage zu formulieren und doch will sie gestellt sein: ist es ein Geist? Fast ist es, als könne ich ihn lachen hören, weil er mir immer einen Schritt voraus ist, da ich nicht einmal weiß, ob er existiert. |
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05.11.2018, 21:16 | #19 |
4. Teil
Sonntag, 4. November
Du bist nur eine literarische Figur. Hast du ernsthaft geglaubt, du könntest in der Wirklichkeit dieses Leben führen? Du bist ein Versager und nur in der Phantasie hat dein Leben Bestand. Ich habe dich erschaffen. Ich sehe alles voraus, was du tust, noch ehe du es weißt. |
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06.11.2018, 12:24 | #20 |
5. Teil
Dienstag, 6. November
Wer schreibt in meinem Tagebuch? |
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angst, tagebuch, wahnsinn |
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