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06.07.2022, 16:58 | #1 |
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Champagner zum Frühstück
Acht Jahre, nachdem sie sich getrennt hatten, wobei die Fetzen reichlich geflogen waren, saßen Judith und Helmut wieder zusammen, innerlich aufgeräumt und in neuer Offenheit. „Schön, dass wir wieder miteinander reden können,“ sagte Helmut und reichte Judith die Frühstückskarte. Sie schob sie zurück. „Ich trinke nur einen Kaffee.“
Während Helmut sein Brötchen mit Schinken belegte und mit dem Messer sein Ei köpfte, plauderten sie über die Belanglosigkeiten der Gegenwart, im stillen Einvernehmen darauf bedacht, keine schlafenden Hunde zu wecken und noch offene Rechnungen zu begleichen. Die Atmosphäre war entspannt, und fast stellte sich die Vertrautheit längst vergessener Tage ein. „Warum hast du mich damals verlassen?“, fragte Helmut dann aber doch, und Judiths Stirn zeigte Furchen des Erstaunens. „Weil du es wolltest. Du hattest es darauf angelegt.“ Er sah sie verständnislos an, und weil er dazu nichts zu erwidern wusste, rief er die Bedienung herbei und bestellte ein Flasche Champagner. „Champagner? Am Vormittag?“ „Auf uns. Dass wir wieder zueinandergefunden haben.“ „Haben wir das?“ „Ich hoffe es. Mir tut leid, was damals gelaufen ist.“ „Um mir das zu sagen, hast du so viele Jahre gebraucht?“ Beide hatten den Gast nicht bemerkt, der sich an den Nebentisch gesetzt hatte und scheinbar unentschlossen die Karte einsah. Ein junger Mann, unauffällig und von jener Art, die jeder Zeuge später der Polizei anders und wenig hilfreich zu Protokoll gegeben hätte. Plötzlich stand dieser Mann neben Helmut und hielt ihm eine Pistole an die Schläfe. „Du fiese Bitch!“, waren die letzten Worte, die Helmut, nackte Panik in den Augen, Judith entgegenschleudern konnte, ehe der Mann abdrückte. Seine Worte stachen in Judiths Herz und verwundeten es zum zweiten Mal. Und viel tiefer als zuvor. Das Ergebnis der Ermittler, dass der Täter an paranoider Schizophrenie litt und Helmut mit jemandem verwechselt hatte, der ihm ähnlich sah und den er für die Inkarnation des Satans hielt, brachte ihr keinen Trost. „Du fiese Bitch!“, war der Eisenring, der seit Helmuts Tod ihre Brust umschloss und ihr den Atem zu nehmen drohte. Ein Missverständnis, das sie bis ins Grab verfolgen würde, weil sie es nicht auflösen konnte. Ohne schuldig geworden zu sein trug sie die Bürde einer fremden Macht, denn in Wahrheit hatte sie sich in Helmut neu verliebt, als er für sie Champagner bestellte. |
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