Das große Rad
Henning Schröder hat noch einen Strauß Margeriten für seine Frau gepflückt, den er ihr später ins Krankenhaus bringen wird. Er trägt ihn auf dem Arm wie ein Baby. Mit der freien Hand greift er nach dem Eimer, den er am Vormittag mit den Früchten seines einzigen Apfelbaums bis zum Rand gefüllt hat.
Schröders Garten besteht vorwiegend aus Beeten, auf denen er Salat, Tomaten, Küchenkräuter, Erdbeeren und Heidelbeeren gezüchtet hat. Fünfundzwanzig Jahre lang. Das Gartenhaus und den Geräteschuppen hatte er ganz am Anfang selbst gebaut, ebenso die altmodische Wasserpumpe, die sein ganzer Stolz war. Das alles muss er nun hinter sich lassen.
Alle seine Kameraden vom Schrebergartenverein und ihre Familien sind seit Monaten nicht mehr hergekommen, haben aufgegeben und ihre Parzellen verwildern lassen. Nicht so Schröder. Bis zum bitteren Ende hat er gegen den Beschluss der Stadt gekämpft, das Gelände zur Bebauung von sozial geförderten Mietwohnungen freizusetzen. Er sei naiv, blauäugig, illusorisch, kindisch, weltfremd und was sonst noch alles hat er sich im Bekannten- und Verwandtenkreis anhören müssen für ein und dasselbe Urteil, dass er nämlich ein Träumer sei, der sich irre, als kleines Rädchen im Getriebe der Lokalpolitik das große Rad zum Stehen bringen zu können.
Er bekommt feuchte Augen, als er sich, flankiert von zwei Abgesandten der Stadt, auf den Weg zur Gartentür macht, einem Holzrahmen, gefüllt mit schwachem Drahtgeflecht, wie es den gesamten Garten umgibt. Kein starkes Hindernis für die Gerätschaft, die vor der Schrebergartenanlage bereitsteht, um dieses Stückchen Heimat für ein größeres Wachstum umzupflügen.
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