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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt. |
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20.03.2010, 13:52 | #1 |
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Sonntagsglockengeläut
Sechs Uhr,
die Bremse des ersten Busses an der Haltestelle Goethestraße, Hausnummer achtundvierzig, kreischt durch geschlossene Fenster - weiterschlafen, doch am Sonntag läßt uns der Herrgott nicht ruhen. Acht Uhr, der Küster der Johannesgemeinde läutet kraftvoll die Glocken, sie hängen im Hof an einem Gerüst, kein Geld für eine Kirche mit Turm, kleine, aufdringliche Schepperglocken: Aufstehen, aufstehen, Zeit für die Predigt. Neun Uhr, wieder die Glocken, zehn Minuten lang, bald ist Gottesdienst, ich muß hin, die Konfirmanten werden überprüft, kurzer Eintrag ins Anwesenheitsheft. Im Unterricht bekamen wir eine Blechdose mit Schlitz: hausieren für den Kirchenbau. Zehn Uhr, nur um die Ecke, drei, vier Minuten, dort steht das schlichte Gemeindehaus. Nächste Woche soll ich betteln gehen um Geld für den Bau einer Kirche. Dabei habe ich noch nicht einmal mein eigenes Mädchenzimmer. Dienstag, Konfirmantenkurs, der Pfarrer keift, er hat eine feuchte Aussprache, ich spüre Tröpfchen seiner Spucke auf Nase und Wangen, mich ekelt. Nie werde ich glauben, daß Menschen auf dem Mond landen, das läßt Gott nicht zu! Sieben Jahre später, Amtsgericht Offenbach, Hospitalstraße, vor mir ein Antragsformular, neben mir mein Ehemann, gestern standesamtlich geheiratet, Mischehe, evangelisch-katholisch, zwei Unterschriften, Kirche ade. 20. März 2010 © by Ilka-M. |
20.03.2010, 14:02 | #2 |
Hi Ilka,
gefällt mir wirklich gut dein Werk, es beinhaltet schöne Formulierungen. Zum Thema kann ich nur sagen, da ich schon mein ganzes Leben überzeugter Atheist bin, dass mir die letzte Strophe am besten gefällt. Zum Gruß Lifrathil |
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20.03.2010, 14:16 | #3 |
Forumsleitung
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Lieber Lifrathil, das war aber eine kurze Reaktionszeit!
Ich will hier keinem Atheisten oder Agnostiker das Wort reden, mein frisch angetrauter Ehemann war übrigens damals noch ein überzeugter Katholik. Der hing nur zu sehr am Geld, um Kirchensteuer bezahlen zu wollen. Bei mir war das anders. Ich wurde vor allem von meinen Paten zu der ganzen Show gedrängt, die sich das auch etwas kosten ließen. Bei meiner Konfirmierung saß mein bedauernswerter Vater in der hintersten Gemeindebank, weil er wegen eines Bandscheibenschadens starke Schmerzen hatte und zwischendurch immer raus auf den Hof mußte, um sich zu bewegen. Alles für die Katz und von mir nicht gewollt. Vielleicht gefällt Dir mein Gedicht deshalb, weil es authentisch ist - wirklich so erlebt, nichts erfunden. Danke und liebe Grüße, Ilka-M. |