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Sonstiges und Experimentelles Andersartige, experimentelle Texte und sonstige Querschläger.

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Alt 14.06.2007, 19:28   #1
Aesta
 
Dabei seit: 05/2007
Beiträge: 26

Standard Der Strick

Guten Abend

Ich habe irgendwann mal spontan mit diesen Zeilen hier begonnen, aber nie weitergeschrieben. Bitte um aufrichtige Kritik.


Ich war schon immer derjenige, den man zuletzt wählte. Jemand, der nie genug hat und aufsteht. Jemand, der nicht fähig ist zu schreien und um sich zu schlagen. Wo ich aufwuchs war man kalt und höflich – Hindernisse wurden gemieden oder nicht angesprochen. Eine typische laue, vom Geld durchweichte Kleinbürgerfamilie, in der weder Genies noch Versager grossgezogen werden, sondern ein langweiliger Durchschnitt ohne Schnörkel oder Temperament. Dieses mittelmässige Klima ist das einzige, das ihre Opfer lebenslang derart in Watte packt, dass jene völlig unfähig sind, dem Leben entgegenzutreten oder zu entrinnen.
So wuchs ich heran als einer derjenigen, der sich innerlich zwar ungern, aber nach aussen hin bereitwillig schlagen liess. Nicht in meinem Elternhaus – sonst wäre alles anders gekommen – wo man emotionale und moralische bis an die Schmerzgrenze gehende Ignoranz an mir praktizierte. Aber sonst überall und auf jede erdenkliche Art und Weise. Schon früh wurde jede Facette meines Lebens durch meinen schlechtgebildeten Charakter zu einem unüberwindbaren Problem. Sobald mir eine bisher unbekannte Person begegnete – sei es geschäftlich oder privat – konnte ich die Stoppuhr drücken, in welcher Zeit sie all ihren Respekt mir gegenüber über Bord geworfen haben würde. Diejenigen, die zu beissen wissen und sogar die, die's nicht tun, sind bestrebt, solche wie mich möglichst weit unten zu halten. Es ist der bewahrende Drang im Menschen, alles in einem bestimmten Zustand zu konservieren und dies vor allem, wenn der Status quo zu seinen Gunsten steht. Ein sozial schwacher Mensch soll am Boden bleiben und sich nicht aufrappeln, denn er könnte eines Tages fremde Plätze anderen Leuten streitig machen. Somit war jeder Mensch, der mir je begegnet ist, immer hauptsächlich darum besorgt, mir zu zeigen, wie gleichgültig und zweitrangig ich sei, um meine Duckhaltung zu unterstützen.
Ich war willkommenes Übungsfeld für zwischenmenschliche Manöver der übelsten Art. Und ich versuchte mir immerfort einzureden, dass es mir egal sei, wenn man mich ausnutze. Dass es mir an Gelassenheit fehle, mit unverschämtem Verhalten umzugehen. Dass ja alles nicht so schlimm und tragisch sei etc. etc. und dabei habe ich mir stets jegliche Träne verboten, den Leuten meine Meinung nur in Gedanken gesagt, mir nur vorgestellt, was ich mit ihnen tun könnte. Mir ausgemalt wie ich aufstehen würde, einen strengen Ton anschlagen würde und „so nicht!“ in die versammelte Menge aller Übeltäter, die je mit mir zu tun hatten, schreien würde. Man möchte meinen, man gewöhne sich daran, was andere an einem verbrechen. Ich tat es nicht. Mir drehte sich jedes Mal der Magen um, weil alles Schlechte in ihm lagern musste. Ich wollte jedesmal etwas sagen, tat es aber dann doch nicht und wollte es dafür beim nächsten Mal umso nachdrücklicher tun und tat es wieder nicht und die Geschichte begann von vorn.

Meine Entwicklung verlief in Wellen. In guten Zeiten konnte ich über Vieles hinwegsehen. In schlechten drohte alles über mir zusammenzubrechen. Die guten Zeiten wurden immer besser, die schlechten immer schlimmer. Bisweilen ging ich von einem Geschäftstermin zum nächsten..mit flauem Magen, weil wieder das Opfer..und alle Büsche flüsterten „Versager Versager Versager!“ und ich hörte im Bus in der Menschenmenge wie es murmelte „Schwächling Schwächling Schwächling“ und in diesen Momenten sah ich zwischen Häuserfassaden Galgen hängen, die für mich bereit waren. Jemand gab mir eine schnippische Antwort und ich sah sie an Bäumen und besonders auf Dachböden mit stabilen Balken. Der Tod schien mir immer als ein tröstlicher Gedanke – eine Lösung sämtlicher Probleme. Aber er wurde nie konkret genug, um seinen Schrecken zu entfalten. Gedanken an Handlungen sind gänzlich anders als Taten selbst. Erstere sind ätherisch, leicht, wohltuend. Letztere hingegen zwingen einen ihre grausame Realität mit allen Konsequenzen auf.
Aesta ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.06.2007, 22:40   #2
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007

Hallo Aesta,

das hier eignet sich keineswegs als abgeschlossene Geschichte - Du müsstest auf alle Fälle weiterschreiben, um etwas daraus zu machen.
Das ganze liest sich wie eine Rieseneinleitung, zieht sich insgesamt zu lange hin. Grund sind die sehr allgemein gehaltenen Beschreibungen, die bis zum Ende bestehen. Konkrete Situationen werden nur erwähnt, nicht ausgebaut. Ich würde dazu raten, ein wenig zu kürzen und dem - wie schon gesagt - eine richtige Geschichte hinzuzufügen oder aber die allgemeinen Beschreibungen stattdessen in eine Geschichte zu verpacken.
Sprachlich ist es in Ordnung.

Struppige Grüße!
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.06.2007, 18:44   #3
JohnDT
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 6

Hallo,

ich finde den Text sehr prägnant formuliert und durch dezent eingefügte sprachliche Bilder reich illustriert. Du zeichnest das Bild eines gefühlskalten, von Traurigkeit geprägten Aufwachsens eines jungen Menschen, das Hineingeborenwerden in eine Familie zu der der Protagonist keinen Bezug hat.Das Ganze erinnert insbesondere zu Beginn an ein Pamphlet, ein Aufbegehren gegen eine Ungerechtigkeit. Der Handlungsstrang steuert auf einen möglichen Selbstmord zu. Wichtig wäre die Intention des Textes, worauf möchtest du hinaus.Ist es von dir selbst als abgeschlossene Geschichte gedacht oder ist es eher ein Fragment?

Grüsse,
john
JohnDT ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.06.2007, 01:57   #4
Aesta
 
Dabei seit: 05/2007
Beiträge: 26

Guten Tag

Besten Dank für Eure Kritik. Ich habe den Text auf jeden Fall als Fragment gepostet. Habe irgendwann einmal diesen Teil geschrieben und mir nie grossartig Gedanken über den Rest gemacht; und ja...gefühlsmässig war von Anfang an klar, dass das erzählende Ich Selbstmord begehen wird oder etwas Ähnliches.
Die Kritken sind jetzt dahingehend verschieden, dass Struppigel meinen Text für zu lange und allgemein hält, JohnDT dagegen den Schreibstil mag; ich habe nicht vor, den Text zu kürzen..aber dass Beispiele gut wären, hatte ich mir schon vorher überlegt. Allerdings sollten diese, wie ich finde, dann nicht in Form von erzählten Anekdoten auftauchen, sondern eher hintergründig eingeflochten werden.
Ich weiss sowieso nicht, ob ich noch daran schreiben will, der Text war eigentlich mehr ein spontaner Geistesblitz.

Grüsse
Aesta ist offline   Mit Zitat antworten
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